„Ausser...“
Als er nicht weiterspricht, sehe ich ihn auffordernd an. „Ausser?“
„Wenn du kündigen würdest, würde vieles anders aussehen.“ Er versucht zu Lächeln, aber es erreicht seine Augen nicht.
„Du willst, dass ich bei Meyers Enterprises aufhöre?“ Ich klinge etwas atemlos und versuche meine Hand wegzuziehen, doch er verstärkt seinen Griff nur noch mehr.
„Vielleicht wäre es besser. Aber glaub keine Sekunde, dass ich es möchte.“ Seine Miene hat einen beschwörenden Ausdruck angenommen.
„Warum machst du dann einen solchen Vorschlag?“
„Ich versuche nur eine geeignete Lösung zu finden. Denn ich weiss schon jetzt, dass es mir unheimlich schwer fallen wird, die Finger von dir zu lassen.“ Seine Mundwinkel wandern ein klein wenig nach oben, gleichzeitig betrachten mich seine Augen mit einem glutvollen Strahlen, die seine Gedanken ganz offen darlegen.
„Ich mag meinen Job.“ gebe ich ihm zur Antwort zurück.
„Gut.“ antwortet er mit einem leisen Seufzen. „Ich habe schon befürchtet, du könntest meine üble Idee befolgen.“
Ich kann nicht anders, es kriecht einfach empor und steigt schliesslich aus meiner Kehle. Ein herzhaftes Lachen verdrängt die Anspannung, die für einen kurzen Moment unsere gemütliche Ecke in Beschlag genommen hat und zu meiner grössten Verblüffung fällt Damian in mein Lachen.
Ich denke für den Augenblick haben wir dieses Thema abgehackt. Wir werden ja sehen, wie wir im Büro miteinander zurechtkommen werden.
Es ist schon über vier Monate her, seit wir diesen schmalen Waldweg das erste Mal gemeinsam nahmen. Schon so viel ist seit jenem Tag vergangen. Damals bekam ich noch Panikattacken, wenn ich nur die Waffe von Pietro sah. Jene Anfälle haben ziemlich abgegeben, seit ich Damian kenne. Wir beide sind in dieser Zeit über so viele Hürden gegangen, dass es uns auf eine ganz eigene Art und Weise zusammengeschweisst hat. Wir haben viel Leid und Trauer erfahren. Wir haben uns immer wieder voneinander zurückgezogen und dem anderen damit wehgetan. Was für den einen reiner Selbstschutz war, war für den anderen purer Egoismus. Doch jetzt sind wir einiges weiter und ebnen unseren Pfad gemeinsam.
Zwar ist es noch immer kühl, aber die Bäume, Pflanzen und die Sonne deuten auf den kommenden Frühling hin. Ich freue mich auf diese Jahreszeit. Es ist wie ein Neubeginn.
Ich hacke mich bei Damians Arm unter, während wir über den Waldboden Richtung See gehen. Es fühlt sich völlig richtig an, als hätte es nie etwas anderes gegeben, als wir beide zusammen.
Leute kommen uns entgegen und begrüssen uns mit einem freundlichen Lächeln. Für die sind wir ein ganz normales Paar und in diesem Moment fühlt es sich auch wirklich so an, was mich noch glücklicher macht. Denn diese Fremden bestärken meinen Gedanken, dass wir es schaffen können. So wie es Damian heute zu mir gesagt hat. Wir schaffen das.
Nach einigen Minuten kommt der blaue See in Sicht. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und hebe das Gesicht der Sonne entgegen. Sie wärmt mich von aussen, gleichzeitig erhitzt meine Liebe zu Damian mein Innenleben.
Wir gehen am Ufer entlang, lassen die unberührte Landschaft auf uns wirken und geniessen die Nähe des anderen. Als wir das erste Mal hier vorbeigingen, hat er mich geküsst. Es war unser erster Kuss und es waren jene Berührungen seiner Lippen, die sich fest in meinen Erinnerungen verankert haben.
Wie immer reagiert mein Körper sofort mit einem angenehmen Kribbeln im Bauch, wenn ich an jenen Tag zurückdenke. Mir wird heiss und kalt zugleich. Wahrscheinlich habe ich mich in jenem Augenblick, als er mich an diesen Ort führte, schon in ihn verliebt. Auch wenn ich es mir noch längere Zeit nicht eingestehen wollte.
„Wenn du mich weiter so anschmachtest, kann ich für nichts mehr garantieren.“
Mir war gar nicht klar, dass ich ihn die ganze Zeit angestarrt habe und laufe rot an.
„Es braucht dir nicht peinlich zu sein. Ich mag es, nein, es macht mich richtig scharf, wenn du mich mit deinen Blicken ausziehst.“
„Hör auf.“ Ich gebe ihm einen freundschaftlichen Knuff auf den Arm. „Ich habe dich nicht ausgezogen.“
„Nein?“ fragt er mich mit hochgezogener Augenbraue.
„Nein.“ beharre ich auf meiner Aussage.
„Da sagen deine Augen aber etwas ganz anderes.“ Er sieht mich belustigt an.
„Okay. Du hast Recht.“
„An was hast du gedacht?“
„An unseren ersten Kuss.“
„Oh, ähm,...“ Er dreht sich von mir weg und sieht auf den See hinaus, der ganz still vor uns liegt.
Es kränkt mich etwas, dass er sich von mir abwendet, nachdem ich ihm offen gezeigt habe, was unser erster Kuss in mir auslöst. Aber ich versuche ihn zu verstehen. Nicht nur er hatte vor all diesen Wochen mit etlichen anderen Gefühlen zu kämpfen. Auch ich selbst war ganz verunsichert, als das mit uns geschah und jetzt, da wir beide unsere Vergangenheit voreinander ausgebreitet haben, ist es einiges einfacher dem anderen das richtige Verständnis entgegenzubringen. Also gebe ich ihm die Zeit, um das zu verdauen, was ihn gerade quält.
Sein ganzer Körper ist vollkommen angespannt, was mich etwas beunruhigt. Ist er gerade bei seiner Frau und Tochter? Bittet er sie um Verständnis, dass er eine Beziehung mit mir eingegangen ist? Bittet er sie um Erlaubnis? Ich würde gerne meine Arme um seine Taille legen und ihn an mich drücken, ihn mit meiner Zärtlichkeit stärken.
Ich möchte wissen, was ihn beschäftigt. Stattdessen entferne ich mich ein paar Schritte von ihm, um ihm den nötigen Freiraum zu geben. Ich hoffe nur, dass er mir irgendwann seine jetzigen Gedanken anvertrauen wird, weil das meine innere Unruhe etwas lockern würde.
In wenigen Metern Entfernung steht eine leere Bank. Ich setze mich darauf und versuche mich wieder auf die Umgebung zu konzentrieren. Denn wir sind viel zu selten hier.
Ich sehe kurz zu Damian, der noch immer an der gleichen Stelle steht. Dann wandern meine Augen zu Pietro, der sich in angemessener Entfernung befindet und der nun Damian ebenso mustert, wie ich vor wenigen Minuten. Er spürt meinen Blick und lächelt mir aufmunternd zu, was doch tatsächlich Wirkung zeigt. Ich löse mich aus meiner Erregung und sehe einigen Sittichen zu, wie sie über die Bäume fliegen und wie Enten fröhlich im Wasser schwimmen.
„Schöner Anblick, nicht?“ ertönt seine tiefe Stimme.
Ich schaue auf und sehe geradewegs in seine braunen Augen, in denen ein trauriger Ausdruck steht.
„Willst du darüber sprechen?“ frage ich ihn, nachdem er neben mir Platz genommen hat.
„Es ist schwer...“ Er bricht mitten im Satz ab und sieht nach vorne.
Wir bleiben in den nächsten Minuten bewegungslos und still nebeneinander sitzen. Ich halte nur tröstend seine Hand, was er zu meiner Überraschung zugelassen hat.
„Wir haben sehr oft Ausflüge an den See gemacht. Luna und Helen haben das Wasser geliebt. Irgendwie hatte es eine beruhigende Wirkung auf sie. Ich verstand sie erst viel später. Erst nachdem sie....“ Damian holt tief Atem. „schon weg waren. Ich behielt unsere Tradition bei und versuchte an solchen Orten wie diesem, näher zu ihnen zu kommen. Und dann...“ Er dreht sein Gesicht in meine Richtung. „habe ich dich mit hierher genommen. Ich habe überhaupt nicht daran gedacht, was das für mich und meine Familie bedeuten könnte. Aber als ich dich hier geküsst habe, hatte ich das Gefühl sie zu betrügen. Es war falsch gegenüber Luna und Helen und es war dir gegenüber ebenso wenig aufrichtig.“
„Und jetzt?“ Auch wenn ich noch so sehr versuche meine Ängste vor ihm zu verheimlichen, zittert meine Stimme.
„Ich muss lernen damit klarzukommen. Ich muss sie gehen lassen.“
Ich