Plötzlich schrie MacAndrew auf, als hätte ihn der Russe ins Knie gebissen.
„Finley!“
„Was ist denn?“
„Wir werden verfolgt!“, keuchte MacAndrew nervös.
„Quatsch!“
„Sieh doch selbst!“
Buchanan war längst herumgefahren. Er sah das abgeblendete Scheinwerferpaar.
„Irgendein Wagen“; knurrte er.
„Würde ich auch sagen“, presste MacAndrew hervor.
„Aber?“
„Aber dieser Wagen ist seit dem Hotel hinter uns her, und da fällt es mir verflucht schwer, an einen Zufall zu glauben, Finley.“
„Bist du sicher, dass der Wagen uns schon seit dem Hotel folgt?“
„Shit! Natürlich bin ich mir sicher!“
„Dann muss etwas geschehen“, brummte Buchanan mit schmalen Augen.
„Und was?“
„Aidan!“, sagte Buchanan scharf.
„Hm?“
„Dreh das Fenster runter und bring den Verfolgerwagen zum Stehen!“
„Mit 'ner Kugel?“
„Mit 'ner Seifenblase wird's wohl kaum gelingen!“, bellte Buchanan gereizt.
Aidan Lymond kurbelte das Fenster herunter. Als er sich nach draußen beugte, verlangte Buchanan vom Fahrer, er solle rasch Gas zurücknehmen. Fraser gehorchte sofort. Der Mercedes wurde merklich langsamer. Der Verfolgerwagen holte auf. Lymond hob die Waffe, auf der immer noch der klobige Schalldämpfer saß.
„Na los!“, schrie MacAndrew nervös. „Mach doch schon, Aidan!“
Und Lymond begann zu feuern. Dicke, grelle Feuerlanzen fauchten aus dem Schalldämpfer. Die Schüsse waren nicht zu hören. Fraser zitterte bis in den Gasfuß hinunter. Dicke Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Er hasste Gewalt in jeder Form. Und das da war Gewalt in höchster Potenz. Hierbei konnte ein Mensch zu Tode kommen. Und nichts fürchtete Gavin Fraser mehr als das. Er wollte an keinem Mord beteiligt sein, weder direkt noch indirekt. Kidnapping war das Äußerste, wofür er sich hergab. Doch bei Mord war bei ihm der Ofen aus.
Und nun beschoss der gewissenlose Lymond den Verfolgerwagen. Das konnte die schlimmste Katastrophe geben. Deshalb stand dem Fahrer der eiskalte Schweiß auf der Stirn.
Er hoffte für den Verfolger, dass er mit dem Leben davonkommen möge.
Als ich die orangefarbenen Mündungsblitze aufzucken sah, duckte ich mich instinktiv. Ich erkannte den Körper des Gangsters, der weit aus dem Mercedes hing. Das Licht ihrer Scheinwerfer erhellte seine rote Teufelsfratze. Er sah unheimlich aus.
Drei Schüsse blieben ohne Wirkung. Ich hatte natürlich sofort den Cadillac zurückfallen lassen, um nicht Gefahr zu laufen, von dem Kidnapper getroffen zu werden.
Doch da auch das Gangsterauto seine Geschwindigkeit vermindert hatte, blieb der Abstand ungefähr gleich. Und dann klatschte die vierte Kugel in den linken Vorderreifen des Cadillacs.
Das Fahrzeug machte sofort einen wilden Satz nach links. Ich umklammerte verbissen das Lenkrad, steuerte dagegen, während ich gleichzeitig auskuppelte, aber nicht bremste, denn bei dieser Geschwindigkeit hätte ich mich mit der mächtigen Limousine vermutlich überschlagen, wenn ich auf die Bremse getreten hätte.
Keuchend zerrte ich am Lenkrad. Der Gangsterwagen nahm wieder Fahrt auf. Ich konnte ihm nicht mehr folgen, sondern war atemlos darum bemüht, einen folgenschweren Unfall zu verhindern. Der Cadillac tänzelte mit kreischenden Pneus über die Betonpiste. Ein Glück, dass um diese Zeit kein Verkehr mehr über die Landstraße rollte. Ich brauchte die ganze Breite, um den Wagen schließlich ohne einen Kratzer zum Stehen zu bringen.
Wütend stieg ich aus.
Der Gummimantel hatte sich von der Felge gelöst. Von dem zerschossenen Reifen war so gut wie nichts mehr vorhanden.
Und von den Kidnappern konnte man dasselbe behaupten. Es war den Verbrechern geradezu spielend gelungen, sich ihres einzigen Verfolgers zu entledigen und sich mit unbekanntem Ziel ungehindert abzusetzen. Allein der Gedanke daran, dass ich das nicht verhindern konnte, machte mich rasend vor Zorn. Schlappen wie diese konnte ich auf den Tod nicht ausstehen.
Ich war mir nicht zu fein, den Reifen selbst zu wechseln. Zu warten, bis in zwei, drei Stunden mal jemand vorbeikam, schien mir nicht sinnvoll zu sein. Deshalb legte ich selbst Hand an, und ich machte die Sache zumindest genauso gut wie jeder Mechaniker. Schmutzig bis ans Kinn und ein wenig abgeschlafft von der Anstrengung ließ ich mich wieder in den Cadillac fallen.
Ich drehte auf der Landstraße um, und sauste dann zum Apex Waterloo Place Hotel zurück.
Inzwischen hatte sich die Lähmung von den Gästen gelöst. Die Stimmung hatte sich verflüchtigt wie Parfüm aus der unverschlossenen Flasche.
Irgendwer - es war nicht mal der Oberbürgermeister selbst - hatte die Polizei verständigt, die jedoch noch nicht eingetroffen war.
Ich fand den Weg in eine Damentoilette, ohne dass mir jemand begegnete. Ich wusch schnell die Spuren von mir ab, die der Reifenwechsel an mir zurückgelassen hatte. Dann ging ich zurück in die Halle.
Dort stand Donald Wilson, halb ohnmächtig vor Aufregung, ratlos, verschwitzt und verstört.
Als er mich auf sich zukommen sah, blitzte es zornig in seinen Augen. Draußen jammerten die Sirenen zweier Streifenwagen auf das Hotel zu.
Der Oberbürgermeister wies mit zitterndem Finger auf meinen festen Busen und sagte, ich solle mit ihm in ein Nebenzimmer kommen, er hätte dringend mit mir zu reden.
In dem angrenzenden Raum fiel er dann über mich her, als wollte er mich wegen des Kidnappings mit Prügel bestrafen.
„Ich hab's geahnt“, jammerte der Oberbürgermeister. „Ich hab's von Anfang an gewusst.“
Er schüttelte verzweifelt den Kopf. Sein faltiges, glattrasiertes Gesicht war schmerzlich verzerrt. Er schob die Brille auf der Nase rauf und wieder runter.
„Was haben Sie gewusst, Mister Wilson?“, fragte ich kühl.
„Dass das nicht gutgehen kann.“
„Wovon reden Sie?“
„Ich habe mich an die betreffende Stelle gewandt, um einen Leibwächter für meinen russischen Gast zu bekommen. Und was kam an? Sie, Miss Pallas, eine junge Frau! Ich will Ihnen wirklich nicht nahetreten. Sie sind ein hochgebildetes, attraktives Geschöpf. Und Lebedev hat sich gewiss sehr darüber gefreut, dass man Sie ihm an die Seite stellte statt eines Mannes. Aber ein Mann hätte - verdammt noch mal - besser auf ihn aufgepasst. Ein Mann hätte nicht zugelassen, dass man den Russen entführt.“
Ich blickte den zeternden Oberbürgermeister distanziert an.
„Was hätte ein Mann Ihrer Meinung nach dagegen unternommen, Mr. Wilson?“
„Keine Ahnung. Ich bin doch kein Geheimagent, Miss Pallas. Ich weiß nur, dass der Russe sich noch in Sicherheit befinden würde, wenn man zu seinem Schutz einen erfahrenen Mann abgestellt hätte. Stattdessen kamen Sie an, ein junges, unerfahrenes Ding, zerbrechlich, viel zu weiblich. Das musste doch schiefgehen.“
Es war nicht das erste Mal, dass ich mit dieser Art von Vorurteilen zu kämpfen hatte. Natürlich hätte ich Wort für Wort widerlegen können, das Ganze hätte vermutlich in einen handfesten Streit gemündet. Aus diesem Grund schluckte ich meinen Groll vorerst hinunter. Kein Mann hätte die Entführung vereiteln können. Jeder männliche Agent hätte dieselbe Schlappe erlitten.
Donald Wilson fuhr sich nervös über das Gesicht. Er kniff die Augen zusammen und stieß erregt hervor: „Sie sind sich doch darüber im Klaren,