Das Eulenrätsel. Ghila Pan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ghila Pan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738004762
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lag Alwin angezogen auf dem Bett und starrte zur Decke. Sie setzte sich zu ihm.

      „Glaubst du, dass es eine Form von zirkularer Bewegung geben könnte, die Romanfiguren aus einem Buch zieht? Ich meine, ihre geistige Essenz…, ich hab da so eine Ahnung.“

      „Hmm, ist nicht ganz mein Fachbereich, aber wir können ja mal überlegen“, murmelte er, als plötzlich der Ruf der Internationalen ertönte: „Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht…“ Alwin fummelte sein Mobiltelefon aus dem Jackett. Doch ehe er den Anruf entgegennehmen konnte, nahm ihm Lisa das Telefon aus der Hand.

      „Ja, hallo? Lerry?! Jaa…, danke, äh, uns geht es gut…!“

      Alwin erbleichte.

      „Ja…, nein…, was? Ja, bei uns ist es schon finster. Nun sag, wie geht es denn euch? Alles in Ordnung? Also…, was ist los?“ Lisas Augenbrauen zuckten. „Was für eine Grenze…? Die Grenze des Nichtigen Reiches, das sich irgendwo innerhalb der Atmosphäre, aber über den Wolken Schottlands...Was? Der Sumpf der Banalen Belanglosigkeiten, die Mauer der tausend unhinterfragten Glaubenssätze... Wessen Reich? Aha, des nie gesehenen immer gegenwärtigen Monsters unendlicher Gier“ Fassungslos blickte Lisa zu Alwin.

      „Des nie gesehenen immer gegenwärtigen Monsters unendlicher Gier?“, wiederholte er und fügte ausdruckslos hinzu, „Nun, vielleicht sollten wir demnächst mal bei ‚Harrods’ vorbeischauen!“ Auf seinem Gesicht schienen sich die Falten ihre Plätze streitig zu machen. Er wusste nicht, ob er lachen oder durchdrehen sollte! Schließlich riss er Lisa das Telefon aus der Hand. Auf dem Display stand „Unbekannter Teilnehmer“.

      „Hallo, wer spricht? Verdammt noch mal!“ Nachdem er kurz das Telefon ans Ohr gepresst hatte, ließ er seine Hand sinken und starrte Lisa an. „Willst du mich verrückt machen? Warst du eifersüchtig wegen Leonhard, hast du einen Geliebten, den du mir verschweigst? Wenn ich durchdrehe, gibt’s nichts zum Erben, verdammt noch mal, was machst du?“ Voller Verzweifelung blickte er auf seine Frau.

      „Alwin, ich… ich mache nichts. Ich weiß auch nicht, wer angerufen hat. Der Anrufer meldete sich mit Lerry und… seine Stimme, naja, die Entfernung… Ich sah ihn vor mir, als ich telefonierte… Es war… so normal für mich. Als dein Telefon klingelte, wusste ich, es hätte etwas mit meiner Geschichte zu tun. Alwin, ich liebe dich. Ich bin weder eifersüchtig auf Leonhard, noch habe ich einen geheimen Geliebten und am wenigsten will ich, dass du durchdrehst. Schon gar nicht jetzt!“ Lisa wurde immer lauter und schrie die letzten Worte fast.

      Ihr Mann atmete lange aus und ließ sein Gegenüber nicht aus den Augen. „Kommt vermutlich vom vielen Skypen!“, entgegnete er dann trocken. „Wahrscheinlich hat irgendein Irrer angerufen, und als du auf ihn eingegangen bist, hat er dir irgendeine Geschichte erzäht…!“ Alwin versuchte sich zu beruhigen. Nur nicht zuviel nachdenken!

      Beide schwiegen, bis Lisas Blick auf das Mobiltelefon in Alwins Hand fiel. Dann meinte sie leise, „Seit wann kleben denn Fluglinien Werbevignetten auf Handys?“ Nun blickte auch Alwin erstaunt auf den runden Aufkleber mit einer Flughafenlegende an der Rückseite des Telefons.

      Sie sahen sich beide an.

      „Was denkst du?“

      „Hm…, weißt du noch, wie unsere Fluglinie hieß?“

      „Chickenwings?... Nein, im Ernst, kann mich nicht mehr erinnern. Aber warte, hier steht in kleiner Schrift ein Name.“ Lisa hielt das Handy unter den Lampenschirm und versuchte angestrengt die Buchstaben zu entziffern. Als sie wieder ihren Mann anblickte, war auch sie bleich. „Da steht ‚Tochronoth wings’… “ Sie bestellte beim Hotelservice eine Lupe, um sich zu vergewissern, dass sie Recht hatte.

      „Komischer Zufall“, meinte Alwin leise. Sein Gesicht erschien Lisa irgendwie seltsam wächsern.

      „Könnte jemand durch diese Vignette deine Telefonnumer herrausfinden?“, fragte Lisa kaum hörbar.

      Alwin lachte hell auf und all die Spannung wich aus seinem Gesicht. „Vielleicht solltest du doch einen Roman schreiben! Einen Thriller. Darüber, dass eine Großmacht, am besten die USA, einen amerikanischen Staatsbürger verfolgt, weil er die Überwachungs-und Spionagepraktiken britischer und amerikanischer Geheimdienste aufdeckt… Lisa…!“

      Anschließend surften sie im Internet. Eine Fluglinie namens „Tochronoth wings“ schien freilich nicht zu existieren. Allerdings gab es einige Artikel zu dem Thema „Flugvinetten“. Es wurde sogar in der „Times“ erwähnt, dass das Aufkleben von Vignetten zur Zeit an den Kontrollschaltern der Flughäfen zu zahlreichen Beschwerden führte, da so der Flugverkehr erheblich verzögert würde. Angeblich wollte das Sicherheitspersonal damit nur eine automatische Zählung der technischen Geräte an Bord vornehmen, da diese durch die Vignette automatisch registriert würden. Sogar eine Bürgerinitiative hatte sich gegründet, die gegen diese Art Überwachung protestierte.

      Alwin und Lisa wurden immer nachdenklicher. Bei einem Glas Whisky, das keinem der beiden schmeckte, saßen sie in ihrem Hotelzimmer und überlegten.

      „Was hat Lerry…, ich meine, dieser ‚wer auch immer’ zu dir gesagt?“, brach Lisa schließlich das Schweigen, während sie mit ihren Fingernägel die Vignette von Alwins Handy kratzte.

      „Er behauptete, er hieße Lerry Miller. Dann entschuldigte er sich für die offensichtliche Störung und legte auf. Was hälst du davon?“

      Lisa dachte lange nach. Gefasst entgegnete sie, „Alwin, vielleicht denkst du jetzt, ich wäre total übergeschnappt… Aber tun wir mal so, als könntest du mit meinen Romanfiguren telefonieren. Tun wir so, als wären wir selbst in meinem Buch gewesen und als wären all die Figuren auf irgendeiner Ebene real…“

      Alwin vergrub sein Gesicht in den Händen. „Lisa…, bitte!“

      „Schau mal, bei diesem Text… habe ich uns in ein Buch geschrieben. Es gibt uns also als Romanfiguren und als Menschen. Was ist, wenn Lerry und all die anderen Figuren nicht nur Romanfiguren sind?! Vielleicht leben auch sie in anderen Realitäten, genauso wie wir Menschen auf mehreren Ebenen zu Hause sind. Manche kennen wir, manche sind uns aber gänzlich fremd! Übrigens, kannst du dich an eine Gans erinnern, der du letztes Jahr im Buch begegnet bist?“ Den letzten Satz fügte sie wie beiläufig hinzu.

      Ob das beinahe tierische Aufseufzen ihres Mannes eine positive Anwort versprach?

      „Nein, die muss ein Außenposten gewesen sein. Das Nichtige Reich und seine Grenze haben einen besonderen Esprit, nicht?“, meinte er todernst.

      In sich gekehrt sinnierte Lisa. „Gefangen im Nichtigen Reich!“, stellte sie gewichtig fest.

      Alwin nickte, seine Lippen befanden sich auf Talfahrt. Was anderes konnte er jetzt noch tun außer mitzuspielen? Irgendwie schien es hoffnungslos, Lisa von ihrer fixen Idee abzubringen. Und nach zwei weiteren Schlücken Whisky war es ihm fast egal. „Also gut, irgendwo über den Wolken Schottlands irren ein paar Romanfiguren herum. Vielleicht sollten wir am besten alle Bodenkontrollstationen in der Umgebung verständigen, damit Jim Hicksley und Co. nicht den internationalen Flugverkehr lahm legen! Aber wahrscheinlich gibt es dort oben schon Landemöglichkeiten für Flugzeuge der ‚Tochronoth wings’. Fahren wir doch morgen zum Flughafen und bestellen einen Flug ins Nichtige Reich. Ich fände es äußerst spannend zu erfahren, wo wir dann landen!“

      „Danke für deine Ironie! Du tust immer so, als wäre das ganze Schlamassel hier bloß mir zuzuschreiben. Du vergisst, ich habe dieses Buch wie in Trance geschrieben! Was ist, wenn es wirklich so etwas wie eine göttliche Macht oder ein Wesen gibt, dem es nicht egal ist, was hier auf dem Planeten passiert? Was, wenn von ‚oben’ jemand eingreift, um den Menschen etwas zu vermitteln? Okay, es war nur Fantasy. Und ich behaupte ja nicht Sri Aurobindo zu sein. Aber das Symbol eines ‚Göttervogels’ gibt es schon lange in unterschiedlichen Kulturen. Vielleicht gibt es ihn wirklich…“

      „Lisa, nneeein!“

      „Und dieses Wesen hatte einen Träumer wie mich gebraucht, um sich zu vermitteln! Nun gut, dass es sein Ei– metaphorisch gesprochen– in einen Bestseller legte, versteh’