Das Eulenrätsel. Ghila Pan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ghila Pan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738004762
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dreißigmal Tag und Nachtwechsel! Oder besser ...“ Lisa sah zum Himmel, gegen Osten, aber natürlich war es noch zu früh. „... wenn einmal der Mond zu und dann wieder abnimmt!“

      „Hmmm…“ Der Löwe schwieg.

      Eine Gruppe Japaner war hinter Lisa stehen geblieben. Sie begann, den steinernen Löwen zu fotografieren, obwohl er mit seiner Taubenkacke am Kopf überhaupt nicht fotogen aussah. Doch ihm tat die vermehrte Aufmerksamkeit gar nicht schlecht. In etwas besserer Stimmung erwiderte er, „Soso, der Mond… ja, das weiß ich noch! Ungefähr vor einem Monat, wie ihr meint, da habe ich so ein eigenartiges Ziehen verspürt. Ich dachte kurz an ein Erdbeben, es hatte aber nur einen Moment gedauert, dann war es vorbei. Ich weiß es noch genau, weil unter mir eine wunderschöne Siamkatze durch die Menge lief, und ich mir dachte, jetzt auf sie raufzufallen wäre ein schöner Tod für uns beide!“

      „Danke, Sir Leo, der Vierte hoch 3! Danke, Sie haben mir sehr weitergeholfen.“

      Lisa sah Alwin an und meinte, „Ich weiß jetzt genug!“ Als sie weitergingen, wurden sie von einer kleinen Menschenmenge verfolgt und stiegen schnell in ihre Limousine. Ein glatzköpfiger Mann äffte Lisas Worte nach: „Danke, Sir Leo der Vierte hoch 3… Ich weiß jetzt genug!“ Lisa war froh, dass das kugelsichere und verdunkelte Fensterglas einiges aushielt. Immer wieder sah sie Handflächen an den Seitenscheiben picken und neugierige Gesichter, die erfolglos ins Innere des Wagens spähten.

      „Vielleicht sollten wir doch auf Sir Leos Angebot zurückkommen und uns im Taubenschlag von St. Pauls verkriechen!“

      „Ach was. Stell dir vor, du bist ein berühmter Schauspieler und alle lieben dich!“, erwiderte Lisa.

      Doch Alwin sah ungeduldig auf die Uhr. „Es ist schon spät. Ich kann mir wirklich Schöneres vorstellen als hier im Stau zu stehen!“

      „Wir stehen nicht, wir sitzen“, erwiderte Lisa.

      „Gut, aber was eigentlich weißt du jetzt?“. Alwin blickte seine Frau von der Seite her an. Doch diese starrte weiter aus dem Fenster. Offenbar hatten ein paar Jugendliche jetzt auch die Straße vor ihnen blockiert, denn das Auto hielt. Bobbys versuchten die Menschentraube aufzulösen.

      „Ein bisschen unheimlich… hoffentlich wird niemand verletzt!“, meinte sie besorgt. Es dauerte nicht lange, als Reiter der königlichen Garde auftauchten und der Limousine Geleit gaben.

      „Hoffentlich werden wir jetzt nicht zum Buckingham Palace chauffiert!“, stöhnte Alwin, während Lisa sich schon einen Orden für den Verdienst entgegennehmen sah, einen neuen Königinnenbruder sechsten Grades erfunden zu haben. Schließlich konnten die beiden aufatmen. Der Verkehr wurde flüssiger und die Garde verabschiedete sich salutierend. Auf dem Weg zurück zum Hotel kam Alwin auf seine Frage zurück.

      Lisa schwieg und blickte wieder hinaus auf die vorübereilenden Passanten.

      „He, was ist los mit dir?“

      Aber was sollte sie Alwin sagen? Das hatte doch nur sie mitbekommen: Kats Übelkeit, vor ungefähr einem Monat. Er hatte am ganzen Köper ein Ziehen verspürt, ihm war schwindlig geworden, und er hatte sich nicht mehr auf den Beinen halten können. Es hatte aber nur wenige Minuten gedauert.

      Schließlich wagte es Lisa, Alwin jetzt davon zu erzählen.

      „Na ja, eine kurze Kreislaufgeschichte wahrscheinlich“, murmelte er und begann plötzlich zu schwitzen.

      „Aber der steinerne Löwe hatte doch auch von einem Ziehen gesprochen! Und das war ebenfalls vor einem Monat, genau zu der Zeit, als Jim Hicksley von einem Moment auf den anderen verschwunden ist!“

      „Gut, und was sagt dir deine Intuition damit? Und vor allem, warum tust du das? Versuchst du noch immer an deinem Roman herumzubasteln?“

      „Vielleicht schreibe ich einen neuen Roman!“, antwortete Lisa prompt.

      Alwin stöhnte auf.

      „Hast übrigens du mir vorgeschlagen! Nein, vergiß es, war ein Scherz. Was mich viel mehr beschäftigt, ist, wie wirklich ist unsere äußere Welt überhaupt? Alwin, dieser Traum und dann der Schreibfluss… Ich hab so etwas nie zuvor erlebt, bin weder Esoterikerin, noch halte ich viel von paranormalen Phänomenen – aber ich möchte verstehen, warum so etwas passiert. Wir alle leben doch so sicher in unserer Alltagswelt, während die moderne Naturwissenschaft schon längst von Parallelwelten und multidimensionalen Persönlichkeiten spricht. Ich meine, ich bin kein Wissenschaftler und habe keine Ahnung, aber ich erlebe zur Zeit täglich, dass es eine Welt in mir gibt, die über etwas Bescheid zu wissen scheint was ich mir nicht im Geringsten, nicht einmal im Traum, vorstellen könnte!“

      „Falsch!“, konterte Alwin und fügte beschwichtigend hinzu: „Nun gut, du hast recht, es gibt wahrscheinlich unendlich viele Welten, ineinander geschachtelt oder wie auch immer, und die Wissenschaft weiß wenig darüber – aber was uns beide betrifft, sehe ich das etwas anders!“

      Jetzt war es Lisa, die aufstöhnte. Sie wusste, was kommen würde und ließ Alwin daher nicht zu Wort kommen. „Okay, Herr Psychologe, ich bin elternlos aufgewachsen und aus meiner unerfüllten Sehnsucht heraus habe ich einen Mann geheiratet, der mein Vater sein könnte. Nach den erfüllenden erotischen Erlebnissen einer Dreierbeziehung habe ich eine mythische Göttin erfunden, auf die ich eine nie erlebte Mutterliebe projeziere. Das ist doch, was du sagen willst?“

      Alwin schwieg.

      „Nun, wie auch immer, sind wir nicht alle wie elternlose verwahrloste Kinder, die glauben, die intellegentesten Wesen auf diesem Planeten zu sein? Und sind wir nicht alle dabei, unsere Lebensquellen zu vernichten, indem wir die Natur und andere Lebewesen zerstören? Und was wissen wir wirklich?“

      Wie pathetisch Lisa in solchen Momenten werden konnte!

      „Nun gut, wahrscheinlich verbringen wir sowieso den Rest des Nachmittags in diesem Auto. Lass uns also ruhig ein bisschen an deinen Beobachtungen weiterrätseln, immerhin ist es unterhaltsam. Also, was hat Jim Hicksley wohl mit Kat Waterrise und dem Steinernen Löwen gemein?“

      Lisa schwieg zuerst, konnte es Alwin aber nicht verübeln, dass es schwierig war für ihn, sie zu begreifen. Sie verstand sich ja nicht einmal selbst. Schließlich atmete sie tief ein und meinte leise, „Kat und der steinerne Löwe haben vielleicht zur selben Zeit ein komisches Ziehen verspürt – genau zu der Zeit, als Jim Hicksley verschwunden sein könnte!“

      „Ja, und?“

      „Alwin, es war eben alles zur selben Zeit!“, wiederholte Lisa.

      „Mein Gott, vielleicht hat der große steinerne Löwe am Trafalgar Square Jim gerade nicht bemerkt, weil ihm eine Taube aufs Auge gekackt hat. Daraufhin kam sich Jim so unbeachtet vor, dass er in den nächsten Bus gestiegen ist, sich in Kings Cross in einen Güterwaggon gelegt hat, eingeschlafen ist und jetzt in Liverpool Tauben füttert! Wäre doch auch eine Lösung!“ Alwins Seufzen klang wie das einer kalbenden Seekuh und er fragte sich insgeheim, ob er nicht besser mit Lisa einen Arzt aufsuchen sollte.

      „Die Worte auf dem Korken waren eindeutig ein Hilferuf!“, entgegnete sie jedoch vehement.

      „Natürlich, auf einem verschimmelten Korken rufen dich Romanfiguren zu Hilfe! Was uns veranlasst, unseren Urlaub abzubrechen, nach London zu fliegen und im Stau zu stecken!“ Resigniert schüttelte er den Kopf.

      Lisa schwieg. Erst nachdem Alwin lange genug durch die Frontscheiben gestarrt hatte, fuhr er gelassener fort: „So sehr ich deine atemberaubende Intuition schätze, aber im Moment sehe ich nur, dass die Ampel rot ist, wir bei grün zwei Meter weiter kommen, wieder anhalten, und das seit einer halben Stunde!“

      „Gefangen im Nichtigen Reich. Ob das symbolisch gemeint ist oder wirklich?“, murmelte Lisa leise.

      „Gefangen im Straßenverkehr, reicht doch“, gab Alwin entnervt zur Antwort. Er versuchte zu lächeln und sah wieder aus dem Fenster. Lisa hasste es, wenn er so lächelte und sich dabei von ihr abwandte. Sie fühlte sich plötzlich sehr verlassen.

      „Halten Sie!“, zischte