»Meine Chancen mit auf Tour gehen zu können möchte ich natürlich nicht vermasseln.« Jessica lachte. »Obwohl ich ja manchmal das Gefühl habe, Mr. Gleeson akzeptiert mich nur deinetwegen. Ich möchte meine Chancen nicht vermasseln.
Melody lächelte sanft. »Du hast bewiesen, dass du eine gute Schauspielerin bist«, beruhigte sie Jessica, »und das weiß Edward jetzt. Er brauchte am Anfang nur einen kleinen Schubs.«
»Ich bin nur froh, dass du ihn in meine Richtung geschubst hast.« Jessica sah, wie der Bühnenmanager hinter Ihrer Freundin auftauchte. »Mr. Walker kommt«, raunte sie ihr zu und grinste. »Ich bin dann mal weg, bevor er mich beschuldigt, dass du zu spät dran bist!« Damit verschwand sie schnell in einem der Umkleideräume, den sie sich mit einigen anderen jungen Frauen der Besetzung teilte.
Melody drehte sich herum. »Hallo Noah«. Grüßte sie den strengen, aber fairen Bühnenmanager. »Du solltest dich ein wenig vorsehen.«
»Warum?«
»Bei den anderen Darstellern hast du schnell einen schlechten Ruf als Ungeheuer weg, wenn du so weitermachst.«
Der Dreißigjährige, der jetzt zu ihr aufgeschlossen hatte, lächelte und fuhr sich mit einer Hand durch sein zerzaustes Haar. »Damit kann ich gut leben, solange ich dadurch die Arbeit erledigt bekomme … Du hast übrigens nur noch dreißig Sekunden, um es auf der Bühne bis zu deiner Marke zu schaffen!«
Melody grinste den Mann an, der behauptete, dass es ihm gleichgültig sei, was die Ensemble-Mitglieder von ihm dachten und der Meinung war, keine Freunde zu brauchen. Dennoch hatte er sich schon zu Beginn der Proben mit ihr angefreundet. Außerdem war ihr aufgefallen, wie oft er Jessica mit seinen grüblerischen grauen Augen gefolgt war. Sie wusste, dass es nur eines gewissen Anstoßes brauchte, die beiden zusammenzubringen, obwohl der Altersunterschied mehr als zehn Jahre betrug – und ungeachtet besseren Wissens, verspürte sie das unstillbare Bedürfnis, den ›Cupido‹ für die beiden zu spielen. Wissend lächelte sie ihn an. Dann schritt sie schnell zur Bühne hinauf.
***
Kapitel 2
Es war fast drei Stunden später, als sich Melody auf der Ensemble-Party nach der letzten Vorstellung ein wenig entspannte. Selbst vor dem Feuer war sie nie eine Partygängerin gewesen und so hatte sie sich auch diesmal in eine abgeschiedene Ecke zurückgezogen, von wo aus sie alles gut beobachten konnte. Am meisten interessierte sie dabei, welche Fortschritte ihre Verkuppelungsversuche machten, die Jessica und Noah zusammenbringen sollten.
Schon immer war es ihr eine Freude gewesen, andere Menschen zu beobachten, aber seit dem Feuer hatte sie die Fähigkeit des Beobachtens zur Kunstform erhoben. Es war eine Gabe, die sie erstmals während ihrer langen Rehabilitationsphase an sich festgestellt hatte, weil sie es hasste, dass Menschen sie anstarrten. Ihr war schnell bewusst geworden, dass es am besten war, einfach irgendwo ruhig dazusitzen, um so jegliche Aufmerksamkeit zu vermeiden.
Lächelnd erinnerte sie sich an einen ihrer Psychiater, der ihr schauspielerisches Können darauf zurückführte, dass sie in der Lage war, vollkommen in die zu verkörpernden Charaktere eintauchen zu können – ja darüber hinaus sogar vollkommen zu diesem zu werden, während sie ihr Publikum völlig ignorierte. Sie seufzte. Für sie gehörten Psychiater zu einem Menschenschlag, auf den sie gut und gern verzichten konnte. Nur auf wiederholtes Drängen ihrer Eltern hatte sie verschiedene Konsultationen wahrgenommen, weil diese glaubten, dass ihr diese Treffen guttun würden. Sie selbst war nie davon überzeugt gewesen.
In ihrer Familie war sie die Einzige, die sich mit der Tatsache arrangiert hatte, dass nach dem Feuer nichts mehr war wie zuvor. Ihr war schnell bewusst geworden, dass ihr Leben nicht mehr dasselbe märchenhafte Abenteuer sein würde, an das sie einstmals geglaubt hatte – ganz gleich wie sehr sich auch alle bemühten.
Einer der zahlreichen Psychiater hatte ihr im Laufe der Jahre gesagt, dass dieses ›unwirkliche‹ Leben, in das sie hineingeboren worden war, die Ursache ihrer Probleme sei. Sie hätte dieses und das reale Leben niemals getrennt, und so habe das Feuer die Idylle ein für alle Mal beendet und ihr eine Realität hinterlassen, mit der sie nicht konfrontiert werden wollte.
Natürlich war ihre Familie immer noch in das eigene Unternehmen verstrickt: eine Seifenoper, oder besser gesagt ein ›tägliches Drama‹. Es wurde Regie geführt und es galt Hauptrollen zu besetzen. Es war eine der am längsten laufenden Fernsehserien der Geschichte, wie ihr Vater nicht zu erwähnen müde wurde.
Ihre Eltern spielten die ursprünglichen verheirateten Hauptfiguren – er einen Mediziner, der im örtlichen Krankenhaus den Vorstand leitete, und sie eine Rechtsanwältin, in einer Ehe, die gegen alles und jeden gewappnet schien. Ihr ältester Bruder Leslie mimte in der Serie ebenfalls einen Arzt und seiner tatsächlichen Gattin Geena war ebenfalls eine Rolle auf den Leib geschrieben worden. Ihre anderen Brüder, Robert, der Jüngste, und Georg waren ausführende Produzenten der Fernsehserie und Roberts Frau Cathrine war eine ihrer Drehbuchautoren. Ihre Schwester Veronica war später in die Show eingestiegen und spielte eine Cousine von außerhalb der Stadt, deren Besuch nie zu enden schien. Daneben gab es noch ihre Tante Becky und ihren Onkel Richard. Becky, die Schwester ihres Vaters, hatte die Rolle der städtischen Wichtigtuerin übernommen – mit einer phänomenalen Intuition, die nichts mit dem wirklichen Leben zu tun hatte.
Ihr Onkel Richard, der schon früh in seiner Ehe mit Becky entdeckt hatte, ein Händchen fürs ›Business‹ zu haben, war nun unglaublich erfolgreich darin, seinen geschäftlichen Scharfsinn mit der Welt der ›Daily Soap‹ zu verbinden, deren Finanzjongleur er inzwischen war. Bei dem Gedanken daran, gestattete sie sich ein Lächeln.
Mit der Zeit waren auch diverse Verwandte immer mal wieder in die Show eingebunden worden. Nur sie selbst arbeitete augenblicklich nicht für die Sendung. Allerdings hatte auch sie schon im Alter von nur vier Wochen die altehrwürdige Babyrolle des Starpaares gespielt – Sie war quasi im und mit dem Fernsehen aufgewachsen.
Im Laufe der Jahre hatte sie viele Dramen des Lebens durch die Vorstellungskraft der Schriftsteller der Serie erlebt. Man hatte ihr die Probleme nur so auf den Leib geschrieben: Sie trug eine hässliche Zahnspange, schaffte es nicht sich in die Schule zu integrieren, bekam eine ausgeprägte Akne, wegen der sie keine Verabredungen bekam, gefolgt von einer nicht unerheblichen Gewichtszunahme. Nicht zuletzt wurde sie auch noch vom beliebtesten Jungen der High School abgelehnt. Dem Drehbuch nach, war natürlich er, derjenige aus der Show ausscheiden musste. Anschließen hatte niemand mehr die heiß geliebte Mallory abgelehnt, wie die Figur hieß, die sie in der Serie verkörperte. Ihre Eltern hatten sich für diesen Namen entschieden, der so nah an ihrem eigenen war, damit sie gut darauf reagieren konnte. Melody hatte oft darüber gescherzt, dass sie wohl eine gespaltene Persönlichkeit sei. Und dann war da natürlich Stuart – ihr vermeintlicher Traummann.
Bei Gott, ging es ihr durch den Kopf, wenn ich so darüber nachdenke, kommt es mir wie ein völlig anderes Leben vor.
Stuart war zur ›Daily Soap‹ gekommen, als sie gerade siebzehn geworden war. Jetzt, fünfzehn Jahre später, war er einer der wenigen, die noch immer dabei waren – einer, der noch immer mit und für ihre Familie arbeitete. Durch ihre Abkehr von der Serie hatte er eine Popularität erreicht, dass er sich buchstäblich seinen eigenen Vertrag schreiben konnte, wenn es zur Verlängerung kam. Er war zum tragischen Helden geworden, von der Liebe verlassen und allein. Die weiblichen Zuschauer der Show, die die Mehrheit der Fans ausmachten, hatten ihn unter ihre schützenden Fittiche genommen. In ihren Augen konnte Adam, wie sein Charakter hieß, nichts falsch machen. Er hatte Fanclubs im ganzen Land, ja sogar in Ländern wie England und Japan.
Melody hatte auch erfahren, dass er jetzt etwa jede fünfte Episode drehte, was ihm noch mehr Einfluss verlieh als zuvor. Wenn sie sich