Die Dämonen. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754188668
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Verlangen nach Zerstreuung. Man mußte ihm unbedingt eine Klatschgeschichte erzählen, eine Stadtbegebenheit, und zwar alle Tage etwas Neues. Wenn längere Zeit niemand zu ihm gekommen war, wanderte er unruhig durch die Zimmer, trat ans Fenster, kaute nachdenklich an den Lippen, seufzte tief und fing am Ende beinah an zu schluchzen. Er ahnte etwas und fürchtete immer etwas Unerwartetes, Unvermeidliches; er wurde schreckhaft und achtete sehr auf seine Träume.

      Diesen ganzen Tag sowie den Abend verbrachte er in sehr trüber Stimmung; er ließ mich holen, war sehr aufgeregt, sprach lange, erzählte lange, aber alles sehr unzusammenhängend. Warwara Petrowna wußte schon lange, daß er vor mir keine Geheimnisse hatte. Zuletzt gewann ich den Eindruck, daß ihn etwas Besonderes quäle, etwas, worüber er sich vielleicht selbst nicht klar werden konnte. Wenn wir früher unter vier Augen zusammen waren und er mir etwas vorklagte, wurde fast immer nach einiger Zeit ein Fläschchen gebracht, und alles gewann dann eine weit freundlichere Färbung. Diesmal erschien kein Wein, und er unterdrückte offenbar den mehrmals bei ihm rege werdenden Wunsch, welchen holen zu lassen.

      »Und worüber ist sie immer so aufgebracht?« klagte er alle Augenblicke wie ein Kind. »Tous les hommes de génie et de progrès en Russie étaient, sont et seront toujours des Kartenspieler et des Trinker, qui boivent periodisch ... und ich bin noch gar kein solcher Kartenspieler und kein solcher Trinker ... Sie macht mir Vorwürfe, warum ich nichts schriebe! Ein sonderbarer Gedanke! ... Warum ich still läge! Sie sagt: ›Sie müssen als Muster und als Vorwurf dastehen.‹ Mais entre nous soit dit, was soll denn ein Mensch, dessen Bestimmung es ist, als ›Vorwurf‹ dazustehen, anders tun als still liegen? Kann sie das sagen?«

      Und schließlich wurde mir der hauptsächlichste, besondere Kummer klar, der ihn diesmal so hartnäckig quälte. Viele Male an diesem Abend trat er zum Spiegel und blieb lange vor ihm stehen. Endlich wendete er sich vom Spiegel ab und zu mir hin und sagte in seltsamer Verzweiflung:

      »Mon cher, je suis un heruntergekommener Mensch!«

      Ja, in der Tat, bis dahin, bis auf diesen Tag hatte er, trotzdem Warwara Petrowna oft zu »neuen Anschauungen« überging und ihre »Ideen wechselte«, doch an einer Überzeugung unwandelbar festgehalten, nämlich daß er immer noch ihr weibliches Herz bezaubere, das heißt nicht nur als Verbannter oder als berühmter Gelehrter, sondern auch als schöner Mann. Zwanzig Jahre lang hatte diese für ihn schmeichelhafte und beruhigende Überzeugung in seiner Seele fest gewurzelt, und vielleicht fiel ihm unter allen seinen Überzeugungen die Trennung von dieser am schwersten. Ahnte er an diesem Abend, welch eine gewaltige Prüfung ihm in der nächsten Zukunft bevorstand?

      VI.

      Ich komme jetzt zu der Schilderung des zum Teil spaßhaften Ereignisses, mit welchem meine Erzählung eigentlich erst beginnt.

      In den letzten Tagen des August kehrten endlich auch Drosdows zurück. Ihr Eintreffen erfolgte etwas früher als die von der ganzen Stadt seit langem erwartete Ankunft ihrer Verwandtin, unserer neuen Frau Gouverneur, und brachte einen bemerkenswerten Eindruck in der Gesellschaft hervor. Aber über all diese interessanten Ereignisse werde ich später reden; jetzt beschränke ich mich auf die Bemerkung, daß Praskowja Iwanowna der sie ungeduldig erwartenden Warwara Petrowna ein sehr beunruhigendes Rätsel mitbrachte: Nikolai hatte sich von ihnen schon im Juli getrennt und, nachdem er am Rhein mit dem Grafen K*** zusammengetroffen war, sich mit diesem und der Familie desselben nach Petersburg begeben (NB. Der Graf hatte drei erwachsene Töchter).

      »Von Lisaweta habe ich infolge ihres Stolzes und ihrer Verstocktheit nichts erfahren können,« schloß Praskowja Iwanowna; »aber ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, daß zwischen ihr und Nikolai Wsewolodowitsch etwas vorgefallen ist. Ich weiß die Ursachen nicht; aber ich glaube, es wird zweckmäßig sein, wenn Sie, meine liebe Freundin Warwara Petrowna, nach den Ursachen Ihre Darja Pawlowna fragen. Meiner Ansicht nach ist Lisa gekränkt worden. Ich bin heilfroh, daß ich Ihnen endlich Ihren Liebling Darja Pawlowna habe wiederbringen können, und übergebe sie Ihnen hiermit. Nun bin ich sie los.«

      Sie sprach diese giftigen Worte in merklicher Gereiztheit. Es war klar, daß die »apathische Frau« sie sich schon vorher zurechtgelegt und sich im voraus auf ihre Wirkung gefreut hatte. Aber Warwara Petrowna war nicht diejenige, die sich durch affektvolle Reden und durch Rätsel verblüffen ließ. Sie verlangte energisch ganz genaue, ausreichende Erklärungen. Praskowja Iwanowna stimmte ihren Ton sofort herab, brach schließlich sogar in Tränen aus und ging zu den wärmsten Freundschaftsversicherungen über. Diese reizbare, aber gefühlvolle Dame hatte ebenso wie Stepan Trofimowitsch fortwährend ein Bedürfnis nach wahrer Freundschaft, und ihre hauptsächlichste Klage über ihre Tochter Lisaweta Nikolajewna bestand gerade darin, daß ihre Tochter nicht ihre Freundin sei.

      Aber aus allen ihren Erklärungen und Herzensergüssen ergab sich mit Sicherheit nur das eine, daß tatsächlich zwischen Lisa und Nikolai ein Zerwürfnis stattgefunden hatte; aber von welcher Art dieses Zerwürfnis war, darüber konnte Praskowja Iwanowna sich offenbar keine bestimmte Vorstellung machen. Schließlich zog sie nicht nur die Beschuldigungen, die sie gegen Darja Pawlowna ausgesprochen hatte, vollständig zurück, sondern sie bat auch ausdrücklich, ihren Worten von vorhin keinerlei Bedeutung beizulegen, weil sie sie »in der Erregung« gesprochen habe. Kurz, alles kam sehr unklar heraus, sogar verdächtig. Nach ihrer Darstellung hatte Lisas »eigensinniges, spöttisches Wesen« den ersten Anlaß zu dem Zerwürfnisse gegeben; der »stolze« Nikolai Wsewolodowitsch habe trotz all seiner Verliebtheit die Spöttereien nicht ertragen können und sei selbst spöttisch geworden. »Bald darauf«, erzählte sie, »wurden wir mit einem jungen Manne bekannt, ich glaube, einem Neffen Ihres Professors; er führt auch denselben Familiennamen ...«

      »Es ist sein Sohn, nicht sein Neffe,« verbesserte Warwara Petrowna.

      Praskowja Iwanowna hatte auch früher Stepan Trofimowitschs Familiennamen niemals behalten können und ihn immer den »Professor« genannt.

      »Nun, meinetwegen sein Sohn, um so besser; mir ganz gleich. Es ist ein gewöhnlicher junger Mensch, sehr lebhaft und ungeniert; aber etwas Besonderes ist nicht an ihm. Nun, da hat nun Lisa selbst sich nicht richtig benommen; sie zog den jungen Mann an sich heran, um Nikolai Wsewolodowitschs Eifersucht zu erregen. Ich will darüber nicht zu streng urteilen; die jungen Mädchen machen es nun einmal so; es ist etwas ganz Gewöhnliches und nimmt sich sogar recht nett aus. Aber statt eifersüchtig zu werden, befreundete sich vielmehr Nikolai Wsewolodowitsch selbst mit dem jungen Menschen, als ob er nichts sähe und ihm alles gleich wäre. Darüber war nun Lisa empört. Der junge Mensch reiste bald ab (er mußte sehr eilig irgendwohin); Lisa aber suchte nun bei jeder Gelegenheit mit Nikolai Wsewolodowitsch Händel. Als sie bemerkte, daß dieser mit Dascha einige Male sprach, da geriet sie in Wut; ich konnte es schon gar nicht mehr aushalten, liebe Freundin. Die Ärzte hatten mir jede Aufregung verboten, und ihr gepriesener See war mir schon ganz zuwider geworden; nur die Zähne taten mir von ihm weh, einen solchen Rheumatismus hatte ich bekommen. Man kann es auch gedruckt lesen, daß man vom Genfer See Zahnschmerzen bekommt; das ist nun einmal so eine Besonderheit von ihm. Aber da erhielt Nikolai Wsewolodowitsch auf einmal einen Brief von der Gräfin und reiste sofort von uns ab; an einem einzigen Tage machte er sich reisefertig. Abschied nahmen die beiden voneinander in freundschaftlicher Weise, und Lisa war, als sie ihn zur Bahn begleitete, sehr heiter und vergnügt und lachte viel. Aber das war alles nur Maske. Sowie er weg war, wurde sie sehr nachdenklich, sprach gar nicht mehr von ihm und wollte auch nicht, daß ich ihn erwähnte. Und auch Ihnen, liebe Warwara Petrowna, möchte ich raten, jetzt im Gespräch mit Lisa nicht von diesem Gegenstande anzufangen; Sie würden die Sache dadurch nur verderben. Wenn Sie dagegen schweigen, so wird sie zuerst mit Ihnen davon zu reden beginnen; dann werden Sie mehr zu hören bekommen. Meiner Ansicht nach werden die beiden jungen Leute sich wieder zusammenfinden, wenn nur Nikolai Wsewolodowitsch bald herkommt, wie er versprochen hat.«

      »Ich werde sofort an ihn schreiben. Wenn alles sich so verhält, dann ist es mit dem Zerwürfnis nicht weit her. Es ist alles Unsinn. Auch Darja kenne ich hinreichend; Unsinn!«

      »An der lieben Dascha habe ich mich mit meinem Verdachte versündigt und bereue es. Es waren nur Gespräche ganz gewöhnlicher Art, und sie wurden laut geführt. Aber das alles hat mich