„Los“, fordere ich Kendra auf und ziehe sie gleichzeitig wieder auf die Füße.
Für den Bruchteil einer Sekunde sieht sie mich an. Ihre Augen sind geweitet und zeigen mir die Angst, die sie gerade verspürt. Nicht zum ersten Mal wird mir bewusst, dass sie keine Ahnung hat, wie meine Welt ist. Doch jetzt kann ich mich nicht damit beschäftigen.
Gemeinsam rennen wir auf meinen Wagen zu, als weitere Schüsse abgefeuert werden.
„Steig ein“, fordere ich Kendra auf, nachdem ich den Knopf für die Zentralverriegelung meines Autos betätigt habe.
In der nächsten Sekunde wird mir jedoch klar, dass ich das nicht machen müsste. Ich habe noch nicht einmal ausgesprochen, da hat sie sich bereits auf den Beifahrersitz gesetzt und versinkt so tief im Sitz, dass man sie von außen kaum noch sehen kann.
Während ich den Motor starte und den Rückwärtsgang einlege, spüre ich das Zittern, welches von ihrem Körper ausgeht. Ihre Augen sind geschlossen, als würde sie ausblenden wollen, was hier gerade geschieht und das kann ich ihr nicht übel nehmen. Den meisten geht es so.
Doch darum kann ich mich jetzt nicht kümmern. Stattdessen ziehe ich meine Waffe unter dem Sitz hervor, während ich auf die Straße brettere.
Als ich sie das nächste Mal ansehe, erkenne ich, dass sich ihre Augen ein Stück geöffnet haben. Mit großen Augen betrachtet sie mich.
„Wo hast du die denn jetzt so schnell her?“, fragt sie mich, nachdem ich mich ein Stück von ihrem Haus entfernt habe.
Kurz sehe ich in den Rückspiegel und erkenne dabei zwei Männer, die auf die Straße rennen und uns nachsehen. Zu gerne würde ich wissen, wer sie sind und was sie von mir wollen. Und das sie nur etwas von mir wollen, ist mir durchaus klar. Es gibt keinen Grund, wieso sie hinter Kendra her sein sollte. Bei meinem Job gibt es aber verdammt viele, wieso sie Jagd auf mich machen.
Doch wenn ich jetzt umdrehe, gehe ich das Risiko ein, dass Kendra etwas passiert und das will ich um jeden Preis verhindern.
„Wir haben uns in den letzten Stunden über alles unterhalten“, stelle ich fest, als ich mich wieder auf sie konzentriere.
Dabei greife ich nach ihrer Hand, da ich das Gefühl habe, als müsste ich ihr nah sein. In diesem Moment kommt es mir so vor, als würde sich zu viel Abstand zwischen uns befinden und das gefällt mir überhaupt nicht. Ich will ihr zeigen, dass sie keine Angst haben muss und sie bei mir in Sicherheit ist.
„Ja, das haben wir“, murmelt sie nun mit zittriger Stimme.
„Wir haben aber nie darüber gesprochen, was ich beruflich mache.“
Aus dem Augenwinkel erkenne ich, dass sie mich so ansieht, als würde sie nicht wissen, wie sie darauf reagieren soll. Und ehrlich gesagt weiß ich das auch nicht.
Ich habe bei anderen Männern gesehen, wo es hinführen kann, wenn man sich auf eine Beziehung einlässt, oder eine Frau darin einweiht, was man macht.
Man geht jedem Risiko aus dem Weg, weil die Frau, mit der man zusammen ist, immer Angst hat, dass einem etwas passiert. Doch ich will es ihr nicht verheimlichen. Sie hat ein Recht darauf, es zu erfahren und zu wissen, auf was sie sich eingelassen hat. Ganz davon abgesehen kann ich es eh nicht ewig vor ihr verheimlichen.
„Ich bin ein Navy Seal“, erkläre ich ihr schließlich und breche so das Schweigen, welches sich zwischen uns gebildet hat.
Das Geräusch, als sie scharf die Luft einzieht, dringt an meine Ohren. Ich verstärke meinen Griff um ihre Hand, während ich gleichzeitig Angst habe, dass sie sich mir entzieht. Doch das macht sie nicht.
Es ist eher das Gegenteil der Fall. Sie greift auch mit der anderen Hand nach mir, als würde sie sich an mir festhalten wollen.
„Ist das dein Ernst?“, fragt sie mich schließlich.
Keine Sekunde wendet sie sich von mir ab. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sie sich wieder ein wenig aufrichtet und sich so in meine Richtung dreht, dass sie mich besser ansehen kann.
„Ja.“
Mehr sage ich nicht. Allerdings weiß ich auch nicht, was ich sonst dazu sagen soll. Ich glaube, dass sich wohl jeder vorstellen kann, dass es ein gefährlicher Job ist. Daher brauche ich ihr das nicht extra zu sagen.
„Und wo fahren wir jetzt hin?“
„Wir werden bei einem Kollegen bleiben. Dort wird man uns nicht suchen.“
Einige Sekunden ist es still im Auto. Mir ist bewusst, dass sie erst einmal verarbeiten muss, was ich gerade alles gesagt habe. Doch ich hasse es, dass sie schweigt. Mit jeder Sekunde wird die Entfernung zwischen uns noch größer, zumindest kommt es mir so vor. Und das gefällt mir überhaupt nicht.
Schweigend fahre ich die nächsten Minuten weiter.
Als sie sich endlich wieder in meine Richtung dreht, habe ich die Hoffnung schon aufgegeben, dass sie noch etwas sagen wird.
„Meinst du, dass der Brand und der Einbruch in mein Haus etwas miteinander zu tun haben?“
Ja, dieser Gedanke ist mir auch schon gekommen. Allerdings wollte ich mich damit nicht auseinandersetzen. Doch ich muss zugeben, dass es am Wahrscheinlichsten ist. Dies behalte ich jedoch für mich.
Kendra soll sich nicht deswegen auch noch Sorgen machen. Sollte es nämlich so sein, habe ich sie mit in diese Geschichte, was auch immer das für eine ist, hineingezogen. Und das gefällt mir überhaupt nicht.
12
Kendra
Mit geöffneten Augen liege ich in der Dunkelheit des Zimmers und versuche mein noch immer wild schlagendes Herz wieder unter Kontrolle zu bekommen. Doch die Wahrheit sieht so aus, dass es mir in der letzten Stunde nicht gelungen ist und ich daher auch nicht glaube, dass ich es jetzt schaffen werde.
Immer wieder geht mir der Moment durch den Kopf, in dem man das erste Mal auf mich geschossen hat. Erst habe ich es nicht realisiert. Das heißt, ich habe es schon realisiert, aber nicht wirklich wahrgenommen. Doch in dem Moment, in dem Brady mich hinter die Hauswand geschoben hat, habe ich verstanden, was hier gerade los war. Und das war der Moment, in dem ich mich am liebsten auf den Boden gelegt und ergeben hätte.
Allerdings bin ich froh darüber, dass ich es nicht getan habe. Wer auch immer diese Männer waren, sie waren hinter uns her und ich habe es nur Brady zu verdanken, dass ich noch lebe. Ich kenne mich mit solchen Situationen nicht aus. Daher rechne ich mir auch keine allzu großen Überlebenschancen ein, wenn ich alleine auf mich gestellt gewesen wäre.
Brady hat mich zu seinem Freund Riley gebracht, den ich schon an meinem ersten Tag in dem neuen Haus gesehen habe. Nun sitzt er mit ihm und ein paar anderen Männern, die in der letzten Stunde nach und nach gekommen sind, im Wohnzimmer und erzählt ihnen was passiert ist.
Ihre leisen Stimmen dringen durch die Tür zu mir hindurch. Ich habe zwar keine Ahnung, was sie genau sagen, doch aufgrund ihrer Stimmen weiß ich, dass sie alle wütend sind.
Ich hingegen bin damit beschäftigt zu verarbeiten, dass ich mich tatsächlich mit einem Navy Seal getroffen habe. Als ich hergezogen bin, habe ich mir geschworen, dass ich genau das nicht machen werde. Ich habe mich nie als eine Soldatenfrau gesehen. Und schon gar nicht als die eines Seals. Ich wollte immer wissen, dass mein Mann abends nach Hause kommt und ich mir keine Sorgen um ihn machen muss.
Mir ist bewusst, dass sie in dieser Stadt ihr Hauptquartier haben. Ich glaube, das weiß jeder, der auch nur ansatzweise zwischendurch mal vor die Tür geht. Doch ich habe nicht gedacht, dass er einer von ihnen ist.
Auch, wenn ich es hätte wissen müssen.
Und das bringt mich zu meiner nächsten Frage.
Was ist passiert, dass er sich in psychologischer Behandlung befindet?
Das etwas