»Vielleicht spekulieren Sie eben deswegen darauf, mich mit Geld zu erkaufen«, sagte sie, »weil Sie bei mir keine edle Gesinnung voraussetzen.«
»Wann habe ich darauf spekuliert, Sie mit Geld zu erkaufen?« rief ich.
»Sie sind aus dem Konzept gefallen und haben mehr gesagt, als Sie eigentlich sagen wollten. Wenn Sie nicht mich selbst zu erkaufen hofften, so dachten Sie doch, meine Achtung sich durch Geld zu erwerben.«
»Nicht doch, es ist ganz und gar nicht so. Ich habe Ihnen gesagt, daß es mir schwerfällt, mich klar auszudrücken. Ihre Anwesenheit nimmt mir die Denkkraft. Seien Sie über mein Geschwätz nicht böse! Sie sehen ja wohl, warum man mir nicht zürnen kann: ich bin eben ein Wahnsinniger. Übrigens ist mir alles gleich; meinetwegen mögen Sie mir auch zürnen. Wenn ich bei mir oben m meinem Zimmerchen bin und mich nur an das Rascheln Ihres Kleides erinnere und mir das vorstelle, dann möchte ich mir die Hände zerbeißen. Und warum wollen Sie mir böse sein? Weil ich mich als Ihren Sklaven bezeichne? Nutzen Sie meine Dienste aus; ja, tun Sie das! Wissen Sie auch, daß ich Sie später einmal töten werde? Ich werde Sie töten, nicht etwa weil meine Liebe zu Ihnen ein Ende genommen hätte oder ich eifersüchtig wäre, sondern ohne solchen Grund, einfach weil ich manchmal einen Drang verspüre, Sie aufzufressen. Sie lachen . . .«
»Ich lache durchaus nicht«, sagte sie zornig. »Ich befehle Ihnen zu schweigen.«
Sie hielt inne, da sie vor Zorn kaum Atem holen konnte. Wahrhaftig, ich weiß nicht, ob sie schön von Gestalt war; aber ich sah sie zu gern, wenn sie so vor mir stand und ihr die Sprache versagte, und darum machte ich mir auch oft die Freude, sie zum Zorn zu reizen. Vielleicht hatte sie das bemerkt und stellte sich absichtlich zornig. Ich sprach ihr diese Vermutung aus.
»Was für ein garstiges Gerede!« rief sie mit dem Ausdruck des Widerwillens.
»Mir ist alles gleich«, fuhr ich fort. »Aber noch eins: wissen Sie, daß es gefährlich ist, wenn wir beide allein zusammen gehen? Es ist in mir oft ein unwiderstehliches Verlangen aufgestiegen, Sie zu prügeln, zu verstümmeln, zu erwürgen. Und was glauben Sie, wird es nicht dahin kommen? Sie versetzen mich in eine fieberhafte Raserei. Meinen Sie, daß ich mich vor einem öffentlichen Skandal fürchte? Oder vor Ihrem Zorn? Was kümmert mich Ihr Zorn? Ich liebe Sie ohne Hoffnung und weiß, daß ich Sie nach einer solchen Tat noch tausendmal mehr lieben werde. Wenn ich Sie einmal töte, so werde ich ja auch mich selbst töten müssen; aber ich werde den Selbstmord möglichst lange hinausschieben, um den unerträglichen Schmerz, daß Sie nicht mehr da sind, auszukosten. Ich will Ihnen etwas sagen, was kaum zu glauben ist: ich liebe Sie mit jedem Tag mehr, und doch ist das beinah unmöglich. Und bei alledem soll ich nicht Fatalist sein? Erinnern Sie sich doch, vorgestern auf dem Schlangenberg flüsterte ich, von Ihnen herausgefordert, Ihnen zu: ›;Sagen Sie ein Wort, und ich springe in diesen Abgrund!‹ Hätten Sie dieses Wort gesprochen, so wäre ich damals hinuntergesprungen. Glauben Sie etwa nicht, daß ich hinuntergesprungen wäre?«
»Was für ein törichtes Geschwätz!« rief sie.
»Ob es töricht oder klug ist, das ist mir ganz gleich!« rief ich. »Ich weiß, daß ich in Ihrer Gegenwart reden muß, immer reden und reden, und so rede ich denn. In Ihrer Gegenwart verliere ich allen Ehrgeiz, und alles wird mir gleichgültig.«
»Weshalb hätte ich Sie veranlassen sollen, vom Schlangenberg hinunterzuspringen?« fragte sie in einem trockenen Ton, der besonders beleidigend klang. »Davon hätte ich doch nicht den geringsten Nutzen gehabt.«
»Vorzüglich!« rief ich. »Sie bedienen sich absichtlich dieses vorzüglichen Ausdrucks ›nicht den geringsten Nutzen‹, um mich zu demütigen. Ich durchschaue Sie vollständig. ›Nicht den geringsten Nutzen‹, sagen Sie? Aber ein Vergnügen hat immer einen Nutzen, und die Ausübung einer wilden, unbegrenzten Gewalt (und wär's auch nur über eine Fliege), das ist in seiner Art doch auch ein Genuß. Der Mensch ist von Natur ein Despot und liebt es, andere Wesen zu quälen. Sie lieben es im höchsten Grade.«
Ich erinnere mich, sie sah mich lange und unverwandt an. Wahrscheinlich drückte mein Gesicht in diesem Augenblick alle meine törichten, unsinnigen Gedanken aus. Mein Gedächtnis sagt mir jetzt, daß unser Gespräch damals tatsächlich fast Wort für Wort so stattfand, wie ich es hier aufgezeichnet habe. Meine Augen waren mit Blut unterlaufen. An den Rändern meiner Lippen hatte sich Schaum gebildet. Was den Schlangenberg betrifft, so schwöre ich auf meine Ehre, auch jetzt noch: wenn sie mir damals befohlen hätte, mich hinabzustürzen, so hätte ich es getan! Auch wenn sie es nur im Scherz gesagt hätte oder aus Geringschätzung und Verachtung, auch dann wäre ich hinuntergesprungen!
»Nein, was hätte es für Zweck gehabt? Daß Sie es getan hätten, glaube ich Ihnen«, sagte sie, aber in einer Art, wie nur sie manchmal zu sprechen versteht, mit solcher Verachtung und Bosheit und mit solchem Hochmut, daß ich, bei Gott, sie in diesem Augenblick hätte totschlagen können.
Sie schwebte in Gefahr. Auch hierin hatte ich sie nicht belogen, als ich es ihr sagte.
»Sie sind kein Feigling?« fragte sie mich plötzlich.
»Ich weiß es nicht, vielleicht bin ich einer. Ich weiß es nicht . . . ich habe lange nicht darüber nachgedacht.«
»Wenn ich zu Ihnen sagte: ›Töten Sie diesen Menschen!‹ – würden Sie ihn töten?«
»Wen?«
»Denjenigen, den ich getötet sehen möchte.«
»Den Franzosen?«
»Fragen Sie nicht, sondern antworten Sie! Denjenigen, den ich Ihnen bezeichnen werde. Ich will wissen, ob Sie soeben im Ernst gesprochen haben.«
Sie wartete mit solchem Ernst und mit solcher Ungeduld auf meine Antwort, daß mir ganz sonderbar zumute wurde.
»Aber werden Sie mir nun endlich sagen, was hier eigentlich vorgeht?« rief ich. »Fürchten Sie sich etwa vor mir? Daß hier ganz tolle Zustände sind, sehe ich schon allein. Sie sind die Stieftochter eines ruinierten, verrückten Menschen, der von einer Leidenschaft für diese Teufelin, diese Mademoiselle Blanche, befallen ist; dann ist da noch dieser Franzose mit seiner geheimnisvollen Macht über Sie; und nun legen Sie mir mit solchem Ernst eine solche Frage vor! Ich muß doch wenigstens wissen, wie das zusammenhängt; sonst werde ich hier verrückt und richte irgend etwas an. Schämen Sie sich etwa, mich Ihres Vertrauens zu würdigen? Können Sie sich denn vor mir schämen?«
»Ich rede mit Ihnen von etwas ganz anderem. Ich habe Sie etwas gefragt und warte auf die Antwort.«
»Natürlich werde ich ihn töten!« rief ich. »Jeden, den Sie mich töten heißen! Aber können Sie denn . . . werden Sie mir denn das befehlen?«
»Denken Sie etwa, Sie werden mir leid tun? Ich werde es befehlen und selbst im Hintergrund bleiben. Werden Sie das ertragen? Nein, wie sollten Sie! Sie werden vielleicht auf meinen Befehl den Menschen töten; aber dann werden Sie darangehen, auch mich zu töten, dafür, daß ich gewagt habe, Ihnen einen solchen Auftrag zu geben.«
Bei diesen Worten hatte ich eine Empfindung, als erhielte ich einen heftigen Schlag gegen den Kopf. Allerdings hielt ich auch damals ihre Frage halb und halb für einen Scherz, für ein Auf-die-Probe-Stellen; aber sie hatte doch gar zu ernsthaft gesprochen. Es frappierte mich doch, daß sie sich in dieser Weise aussprach, daß sie ein solches Recht über mich in Anspruch nahm, daß sie sich eine solche Gewalt über mich anmaßte und so geradezu sagte: »Geh ins Verderben, und ich bleibe im Hintergrund!« In diesen Worten lag eine zynische Offenheit, die nach meiner Empfindung denn doch zu weit ging. Wofür mußte sie mich ansehen, wenn sie so zu mir redete? Das war ja schlimmer als die unwürdigste Sklaverei. Und wie sinnlos und absurd auch unser ganzes Gespräch war, so zitterte mir doch das Herz im Leibe.
Auf einmal fing sie an zu lachen. Wir saßen in diesem Augenblick auf einer Bank dicht bei dem Platz, wo die Equipagen hielten und die Leute ausstiegen, um die Allee vor dem Kurhaus entlang zu gehen; die Kinder spielten vor unseren Augen.
»Sehen