Der Netzemeister geht ab. Jetzt steht der Hauptwachtmeister unzufrieden und wütend da.
„Hab' ich keine Post, Herr Hauptwachtmeister?“ fragt Kufalt.
„Post. Post. Sie kriegen Ihre Post, wenn's Zeit ist. Und überhaupt haben Sie nicht so frech zu sein. Der Netzemeister ist Ihr Vorgesetzter. Ich schreib's in Ihren Entlassungsschein, Kufalt, dass die Führung schlecht war. Dann kommen Sie bei keiner späteren Strafe auch nur in die zweite Stufe.“
Spricht's und schrammt die Tür zu, ehe Kufalt sich von neuem entrüsten kann.
* * *
9
Abends um acht Uhr hat die dritte Stufe ihren allwöchentlichen Radioabend. Es ist schön still im Bau, die paar Wachtmeister vom Nachtdienst schlurren auf Filzlatschen herum und schließen die schon für die Nacht versperrten Zellen der Leute von der dritten Gruppe vorsichtig und leise noch einmal auf. Und sachte gehen die runter zum Schulzimmer, denn nichts ist schlimmer als ein Gefängnis, das nachts in Lärm gerät. Sind die Gefangenen erst einmal in ihrer kostbaren Nachtruhe gestört, dann hört das Schreien und Toben und Brüllen überhaupt nicht wieder auf.
Im Schulzimmer sammeln sich die Zwölf, es ist noch ziemlich taghell, der Schuster hantiert schon am Radio.
„Was gibt's denn?“ fragt Kufalt, aber der Schuster ist noch von mittag her böse und antwortet nicht.
Dafür sagt Batzke, der lange Batzke, der über nackte Mädchenschönheiten gebietet und der die Heizkessel der Anstalt versorgt: „'ne Oper, von Verdi. Willste zuhören?“
„Nee, nur nicht. Warum die am Abend nie was Humoristisches machen, versteh' ich nicht. Könnten doch auch mal an 'nen Gefangenen denken.“
Aber Batzke leiert seinen alten Vers: „Warum sollen die an uns denken? Sind froh, dass sie nicht an uns zu denken brauchen. Heilfroh, dass sie uns los sind, Vieh, das wir sind.“
Das Radio hat eingesetzt, und die beiden gehen den langen Gang neben den Schulbänken auf und ab.
„Hast du Tabak? Au, Mensch, Batzke, wo kriegst du nur immer den feinen Tabak her? Ich habe hier ja auch was gelernt von Schieben, aber so wie du...“
„Wenn du erst vierzehn Jahre Knast abgerissen hast wie ich“, sagt der sechsunddreißigjährige Batzke, „kennst du den Laden auch schon besser.“
„Nur nicht!“ ruft Kufalt. „Lieber tot!“
„Das sag man nicht“, tröstet Batzke. „Dafür ist die Zeit draußen umso schöner.“
„Nee, danke, ich werde jetzt solide.“
„Mach bloß so was nicht“, warnt Batzke. „Du hältst es ja doch nicht durch. Da strampelst du dich zwei Monate ab oder drei oder fünf und schiebst Kohldampf und rennst dich um nach Arbeit. Und vielleicht kriegst du wirklich Arbeit und schuftest dich tot, dass sie dich nur behalten. Aber dann kommt's doch irgendwie raus, dass du gesessen hast, und der Chef befördert dich an die Luft oder die Kollegen – die sind immer die schlimmsten – wollen mit so 'nem Verbrecher nicht arbeiten. Hab' ich alles versucht. Aber wenn du dann mürbe bist und hast drei Tage nichts gefressen und fasst was an und gehst hoch dabei, gleich sagen sie: ‚Das haben wir uns doch gedacht. Gut, dass wir den damals gleich rausgeschmissen haben.’ So sind die, und wenn du schlau bist, dann hörst du auf mich und fängst gar nicht erst so was an wie Solidwerden. Dann machste mit mir mit.“
„Aber man wird geschnappt und kommt wieder ins Kittchen.“
„Nicht so leicht, wenn man ausgeruht ist und Geld hat. Immer wenn man Kohldampf hat und Angst, und Geld kriegen muss. – Irgendwann fassen sie einen natürlich doch, aber bei mir wird das seine Weile haben.“
„Aber es gibt doch welche, die kommen nicht wieder rein?“
„Wer denn? Wer denn? Sag doch, wie lange schiebst du Knast? Wieviel Leute hast du schon wiederkommen sehen in der Zeit? – Na also! Und die nicht hierher wiedergekommen sind, die schieben jetzt woanders Knast. Ich dreh' mein nächstes Ding auch nicht wieder in Preußen, ich geh' mit 'nem Stadtplan brechen in Hamburg, dass ich nur nicht über die Grenze nach Altona gerate. Knast in Fuhlsbüttel ist viel besser als in Preußen, da kann schon die zweite Stufe Fußball spielen.“
„Ich mag aber nicht brechen gehen. Hab' keinen Mumm für so was.“
„Sollst du auch nicht, mein Junge. Weiß ich doch selber. Wie wirst du mit solchen Ärmchen brechen gehen? Nee, auf so einen wie dich habe ich schon lange gewartet. Du bist doch fein, kennst die Fremdwörter und ein bisschen Englisch. Parlewuh, du ahnst ja nicht, wie einem so was fehlt. Ich mach' auch lieber was anderes als auf Bruch gehen.“
Kufalt fühlt sich geschmeichelt.
„Ich hab' gelernt und gelernt“, erzählt Batzke weiter, „aber den richtigen Dreh krieg' ich doch nicht raus. Eine Weile lang hab' ich mal in Heiratsschwindel gemacht, das Risiko ist nicht so groß und du brauchst kein Geld auszugeben für die Nutten, aber glaubst du, ein besseres Mädchen hab' ich gekriegt –? Ich hab' so aufgepasst wie's gemacht wird, auf der Rennbahn und in der Bar, und die Fingernägel hab' ich mir manikürt – nichts. Die feinen Kavaliere sind mit den großen Kallen abgezogen, und wenn ich meine besah, dann waren 's immer ein Dienstbolzen oder höchstens 'ne Stütze, mit ein paar hundert Erspartem, es lohnte nicht.“
„Richtiges Benehmen könnte ich dir schon zeigen.“
„Siehst du, das ist es, was einen wurmt. Ich versteh' alles, ich kann 'nen Geldschrank knacken mit 'nem Schneidbrenner wie nur einer. Aber immer krieg' ich nur die kleinen Sachen, die anderen gehen mit den großen über den Harz. So was wurmt einen, wenn man sein Fach versteht.“
„Aber zum Einbrechen braucht man doch keine Bildung, Walter!“
„Du hast 'ne Ahnung! In einen feinen Klub kommen als Doktor Batzke oder mit einem Luxuszug mitfahren, ohne dass gleich die Schmiere den Braten riecht in einem hochherrschaftlichen Haus die Vordertreppe raufgehen und der Portier hat nicht einmal die Courage, dich zu fragen, wieso und zu wem – das, sage ich dir, das musst du mir beibringen.“
„Ich glaub' immer, du kannst das alles schon. Du hast sicher in deinem Leben mehr Sekt gesoffen als ich.“
„Sicher ... aber eben gesoffen ... aber eben mit Huren. Sekt trinken, weißt du, und dabei 'ne Unterhaltung führen mit 'ner richtigen Dame und ihr nicht schon nach dem dritten Glas in den Ausschnitt fassen – so was will ich lernen!“
Sie gehen auf und ab. Alle unterhalten sich, rauchen, streiten, ein paar im Winkel spielen Schach. Verdis Melodien gehen unter in dem Gelärm.
Walter Batzke fängt an zu schwärmen: „Mensch, ich sage dir, wir wollen es fein haben! Wenn wir jetzt rauskommen, haben wir beide Geld, da wird gelebt, sage ich dir. Was du in der ersten Nacht tust, weißt du?“
„Nee? was tue ich da?“
„Nichts weißt du! Eine feine Nutte freist du dir auf der Reeperbahn oder in der Freiheit und gehst mit ihr auf ihre Bude. Und wenn sie anfängt von Marie und Abladen und so, dann haust du deinen Entlassungsschein auf den Tisch und sagst: ‚Mädchen, heute blechst mal du! Fahr Sekt auf!“
„Die wird mir schön auf den Kopf spucken.“
„Das weiß er nicht! Nicht mal das weiß er! Die erste Nacht nach dem Knast ist bei allen Huren in Hamburg frei. Das ist so. Das kannst du mir glauben. Da schließt sich keine aus.“
„Wirklich?“
„Ehrenwort! – Na, und am Sonntag komme ich dann ja nach.“
„Soll ich dich von der Bahn abholen?“ fragt Kufalt.
„Nee,