Die Brüder Karamasow. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754189092
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verstehen Sie mich nicht so ganz, liebes gnädiges Fräulein! Ich bin womöglich schlechter, als Sie glauben? Ich habe ein schlechtes Herz und bin sehr eigenwillig. Nur, um mich über ihn lustig zu machen, habe ich den armen Dmitri Fjodorowitsch damals in mich verliebt gemacht.«

      »Und dafür retten Sie ihn jetzt ja auch. Sie haben mir Ihr Wort gegeben. Sie werden ihn zur Vernunft bringen, werden ihm eröffnen, daß Sie einen anderen lieben, schon seit langer Zeit, und daß dieser Ihnen jetzt seine Hand anbietet ...«

      »Ach, so ein Versprechen habe ich Ihnen nicht gegeben. Das haben Sie selbst alles zu mir gesagt, ich habe es nicht versprochen!«

      »Dann habe ich Sie falsch verstanden«, erwiderte Katerina Iwanowna leise, sie war ein wenig blaß geworden. »Sie haben mir doch versprochen ...«

      »Nein, Sie engelhaftes gnädiges Fräulein, ich habe Ihnen nichts versprochen«, unterbrach Gruschenka sie leise und ruhig, immer mit demselben heiteren, unschuldigen Ausdruck. »Da können Sie gleich sehen, wertes gnädiges Fräulein, wie schlecht und eigenwillig ich im Gegensatz zu Ihnen bin. Was mir gefällt, das tue ich. Vorhin habe ich Ihnen vielleicht etwas versprochen, jetzt eben aber denke ich, er könnte mir auf einmal wieder gefallen, dieser Mitja, einmal hat er mir ja schon sehr gefallen, fast eine ganze Stunde lang hat er mir gefallen. Sehen Sie, vielleicht gehe ich zu ihm und sage ihm, jetzt gleich, er soll von heute an bei mir bleiben? So unbeständig bin ich ...«

      »Vorhin sagten Sie doch etwas ganz anderes ...«, flüsterte Katerina Iwanowna kaum hörbar.

      »Ach, vorhin! Ich bin ja so ein zärtliches, dummes Ding. Wenn man bedenkt, was er um meinetwillen alles ertragen hat! Wenn ich nun nach Hause komme und plötzlich mit ihm Mitleid habe, was dann?«

      »Ich hätte wirklich nicht erwartet ...«

      »Ach, gnädiges Fräulein, wie gut und edel Sie im Vergleich mit nur sind! Jetzt werden Sie am Ende wegen meines Charakters aufhören, mich zu lieben, mich Närrin? Geben Sie mir Ihr liebes Händchen, Sie engelhaftes gnädiges Fräulein«, bat sie zärtlich und ergriff beinahe andächtig Katerina Iwanownas Hand. »Sehen Sie, mein liebes gnädiges Fräulein, da nehme ich nun Ihr Händchen und küsse es, wie Sie es mit mir getan haben. Sie haben mir dreimal die Hand geküßt. Ich müßte Ihnen dafür dreihundertmal die Hand küssen, damit wir quitt sind. Und so soll es auch sein, dann aber mag geschehen, was Gott sendet. Vielleicht werde ich Ihre Sklavin und bemühe mich, Ihnen in allem sklavisch zu dienen. Wie es Gott fügt, so mag es geschehen, ohne alle Abmachungen und Versprechen unter uns. Was haben Sie für ein liebes Händchen! Sie, mein liebes gnädiges Fräulein! Sie, meine allerschönste Schönheit!«

      Sie führte die Hand sacht an ihre Lippen, allerdings in der seltsamen Absicht, mit Küssen »quitt zu werden«. Katerina Iwanowna zog ihre Hand nicht weg. Mit leiser Hoffnung hatte sie Gruschenkas letztes, freilich sehr sonderbar ausgedrücktes Versprechen gehört, ihr »sklavisch« zu dienen. Sie blickte ihr gespannt in die Augen, sah darin noch immer denselben offenherzigen, zutraulichen Ausdruck, dieselbe klare Fröhlichkeit.

      ›Vielleicht ist sie nur sehr naiv?‹ Dieser Hoffnungsschimmer bewegte Katerina Iwanownas Herz.

      Gruschenka hatte inzwischen, wie entzückt über das »liebe Händchen«, Katerina Iwanownas Hand langsam bis dicht vor die Lippen geführt. Doch dann hielt sie plötzlich zwei, drei Augenblicke lang inne, als ob sie über etwas nachdachte.

      »Wissen Sie was, Sie engelhaftes gnädiges Fräulein«, sagte sie auf einmal in ihrer gedehnten Redeweise, und ihr Stimmchen klang dabei besonders zärtlich und süß, »wissen Sie was? Ich werde Ihr Händchen doch nicht küssen.« Und sie ließ ein lustiges kleines Gelächter aufklingen.

      »Wie Sie wollen. Was haben Sie?« fragte Katerina Iwanowna zusammenzuckend.

      »Behalten Sie das im Gedächtnis, daß Sie mir die Hand geküßt haben, ich Ihnen aber nicht.« Sie blickte Katerina Iwanowna unverwandt und aufmerksam an, und in ihren Augen blitzte plötzlich etwas auf.

      »Was unterstehen Sie sich?« rief Katerina Iwanowna, als ob sie auf einmal begriffe. Sie wurde rot und sprang auf. Ohne Eile erhob sich auch Gruschenka.

      »Das muß ich doch gleich Mitja erzählen, wie Sie mir die Hand geküßt haben und ich Ihnen nicht. Da wird er aber lachen!«

      »Sie gemeines Frauenzimmer, 'raus mit Ihnen!«

      »Schämen Sie sich denn nicht, gnädiges Fräulein? Solche Ausdrücke sind doch für Sie ganz unpassend, mein liebes gnädiges Fräulein!«

      »'raus, Sie käufliche Person!« schrie Katerina Iwanowna, und jeder Muskel in ihrem verkrampften Gesicht zitterte.

      »Na, da bin also jetzt ich eine käufliche Person. Ein andermal, als junges Mädchen, sind Sie selber im Dunkeln zu den Kavalieren gegangen und haben Ihre Schönheit zum Kauf angeboten. Ich weiß alles.«

      Katerina Iwanowna schrie auf und wollte sich auf Gruschenka stürzen, doch Aljoscha hielt sie mit aller Kraft fest.

      »Keinen Schritt, kein Wort!« rief er. »Sprechen Sie nicht, antworten Sie nichts! Sie wird gleich gehen!«

      In diesem Augenblick kamen die beiden Tanten Katerina Iwanownas und das Stubenmädchen hereingelaufen und stürzten zu ihr.

      »Ja, ich werde gehen«, sagte Gruschenka und nahm ihren Umhang vom Sofa. »Lieber Aljoscha, begleite mich!«

      »Gehen Sie, gehen Sie so schnell wie möglich!« bat Aljoscha und faltete vor ihr die Hände.

      »Lieber Aljoschenka, begleite mich! Ich werde dir auch unterwegs etwas Hübsches, etwas sehr Hübsches sagen! Ich habe diese Szene doch nur für dich aufgeführt, Aljoschenka! Begleite mich, Täubchen, du wirst es nicht bereuen.«

      Aljoscha wandte sich, die Hände ringend, von ihr ab. Und Gruschenka lachte hell auf und lief hinaus.

      Katerina Iwanowna bekam einen Anfall. Sie schluchzte, Krämpfe erstickten sie beinahe. Alle bemühten sich um sie.

      »Ich habe Sie gewarnt«, sagte die ältere Tante zu ihr, »ich wollte Sie von diesem Schritt zurückhalten. Sie sind zu heißblütig ... Wie konnten Sie sich nur zu so einem Schritt entschließen? Sie kennen diese Kreaturen nicht, und diese hier soll die allerschlimmste sein. Nein, Sie sind zu eigensinnig!«

      »Sie ist eine Tigerin!« rief Katerina Iwanowna. »Warum haben Sie mich festgehalten, Alexej Fjodorowitsch? Verprügelt hätte ich Sie! Jawohl, verprügelt!«

      Sie war nicht imstande, sich vor Aljoscha zu beherrschen; vielleicht wollte sie es auch nicht.

      »Ausgepeitscht müßte sie werden, auf dem Schafott, vom Henker, vor allen Leuten!«

      Aljoscha bewegte sich zur Tür hin.

      »O Gott!« rief Katerina Iwanowna auf einmal und schlug die Hände zusammen. »Wie konnte er so ehrlos, so unmenschlich sein! Er hat dieser Kreatur erzählt, was an jenem unseligen, ewig verfluchten Tag geschehen ist! ›Sie sind hingegangen und haben Ihre Schönheit zum Kauf angeboten, mein liebes gnädiges Fräulein!‹ Ich weiß es! Ihr Bruder ist ein Schuft, Alexej Fjodorowitsch!«

      Aljoscha wollte etwas erwidern, aber er fand keine Worte. Das Herz krampfte sich ihm schmerzhaft zusammen.

      »Gehen Sie, Alexej Fjodorowitsch! Ich schäme mich, mir ist furchtbar zumute! Morgen ... Ich bitte Sie auf den Knien, kommen Sie morgen! Verdammen Sie mich nicht, verzeihen Sie mir! Ich weiß nicht, was ich mit mir mache!«

      Aljoscha ging fast taumelnd hinaus auf die Straße. Er hätte am liebsten ebenfalls geweint. Auf einmal holte ihn die Dienerin ein.

      »Das gnädige Fräulein hat vergessen, Ihnen dieses Briefchen von Frau Chochlakowa zu übergeben. Es liegt schon seit Mittag bei ihr.«

      Aljoscha nahm mechanisch das kleine rosa Kuvert und steckte es beinahe unbewußt in die Tasche.

      11. Noch ein verdorbener Ruf

      Von