Die Brüder Karamasow. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754189092
Скачать книгу
Gleichzeitig brachte eine Magd zwei brennende Kerzen und stellte sie auf den Tisch.

      »Gott sei Dank, daß Sie endlich da sind! Den ganzen Tag habe ich Gott nur darum gebeten, er möchte Sie zu mir führen! Setzen Sie sich!«

      Katerina Iwanownas Schönheit hatte schon früher einen starken Eindruck auf Aljoscha gemacht, als ihn sein Bruder Dmitri auf Katerina Iwanownas eigenes dringendes Verlangen vor drei Wochen zum erstenmal mitgebracht und ihr vorgestellt hatte. Ein Gespräch war übrigens bei jenem Zusammensein zwischen ihnen nicht in Gang gekommen. In der Annahme, Aljoscha sei verlegen, hatte Katerina Iwanowna ihn gewissermaßen geschont und die ganze Zeit nur mit Dmitri Fjodorowitsch geredet. Aljoscha hatte geschwiegen, aber vieles genau beobachtet. Das gebieterische Wesen, die vornehme Ungezwungenheit, das Selbstbewußtsein des stolzen Mädchens hatten ihn frappiert. Und zwar bestand an alldem kein Zweifel; Aljoscha fühlte, daß er diese Eigenschaften nicht etwa unwillkürlich vergrößerte. Er fand ihre großen, schwarzen, flammenden Augen schön und besonders gut passend zu ihrem blassen, etwas länglichen Gesicht. Doch lag in diesen Augen wie in dem Schnitt. der reizenden Lippen etwas, worin sich zwar sein Bruder verlieben konnte, was man aber vielleicht nicht allzu lange zu lieben vermochte.

      Das sprach er seinem Bruder Dmitri gegenüber offen aus, als ihn dieser nach dem Besuch dringend bat, ihm nicht zu verheimlichen, welchen Eindruck seine Braut auf ihn gemacht habe.

      »Du wirst mit ihr glücklich sein. Aber vielleicht ... vielleicht wird diesem Glück Ruhe fehlen.«

      »Das ist es eben, Bruder! Solche Frauen bleiben, wie sie nun einmal sind. Sie passen sich ihrem Schicksal nicht an. Also meinst du, daß ich sie nicht mein Leben lang lieben werde?«

      »So meine ich es nicht. Du wirst sie vielleicht dein Leben lang lieben, doch wirst du mit ihr nicht immer glücklich sein.«

      Als Aljoscha diese Meinung damals ausgesprochen hatte, war er errötet und hatte sich über sich selbst geärgert, weil er den Bitten seines Bruders nachgegeben und so »dumme« Gedanken vorgebracht hatte. Diese Meinung war ihm nämlich sofort wirklich dumm vorgekommen. Auch hatte er sich geschämt, daß er ein so anmaßendes Urteil über ein weibliches Wesen abgegeben hatte ...

      Mit um so größerem Erstaunen fühlte er jetzt beim erneuten Anblick Katerina Iwanownas, daß er sich damals vielleicht geirrt hatte. Diesmal strahlte ihr Gesicht von unverstellter, schlichter Güte, von offener, warmer Herzlichkeit. Von dem ganzen früheren vornehmen Stolz, der ihn einst so frappiert hatte, war jetzt nur edle Energie und starker Glaube an sich selbst zu spüren. Aljoscha erkannte bei ihren ersten Worten, daß ihr die ganze Tragik des Verhältnisses zu dem von ihr geliebten Mann durchaus kein Geheimnis war, daß sie vielleicht schon alles wußte, schlechterdings alles. Und trotz alledem, so feine Heiligkeit, so ein Glaube an die Zukunft in ihrem Gesicht! Aljoscha hatte vor ihr plötzlich das Gefühl, er hätte sich ernsthaft und absichtlich gegen sie vergangen. Er war von vornherein besiegt und gefesselt. Überdies bemerkte er gleich bei ihren ersten Worten, daß sie sich im Zustand einer starken, bei ihr sehr seltenen Erregung befand, die fast etwas von Entzücken hatte.

      »Ich habe Sie so sehnsüchtig erwartet, weil ich nur von Ihnen die ganze Wahrheit erfahren kann – von niemand sonst!«

      »Ich bin gekommen...«, murmelte Aljoscha stockend und verlegen. »Ich ... Er hat mich hergeschickt ...«

      »Ah, er hat Sie hergeschickt? Das habe ich doch geahnt! Jetzt weiß ich alles!« rief Katerina Iwanowna, und ihre Augen blitzten plötzlich auf. »Warten Sie, Alexej Fjodorowitsch, ich will Ihnen vorher noch sagen, warum ich Sie so sehnsüchtig erwartet habe. Sehen Sie, ich weiß vielleicht mehr als Sie, ich brauche keine Nachrichten von Ihnen. Was ich von Ihnen brauche, ist etwas anderes. Ich möchte wissen, welchen Eindruck Sie selbst, Sie persönlich, von ihm zuletzt hatten. Ich möchte, daß Sie mir ganz offen und ungeschminkt, sogar in grober Form, so grob Sie wollen, sagen, wie Sie selbst nach Ihrem heutigen Beisammensein über ihn und seine Lage urteilen. Das ist vielleicht besser, als wenn ich mich mit ihm ausspreche, wo er nicht mehr zu mir kommen will. Haben Sie verstanden, was ich von Ihnen wünsche? Also: mit welchem Auftrag hat er Sie zu mir geschickt? Ich habe ja gewußt, daß er Sie zu mir schicken wird! Sprechen Sie, sagen Sie mir ganz einfach seine letzten Worte ... !«

      »Er hat mir aufgetragen, Sie von ihm zu grüßen und zu bestellen, daß er nie mehr zu Ihnen kommt ... Aber ich soll Sie von ihm grüßen.«

      »Mich von ihm grüßen? Hat er sich wirklich so ausgedrückt?«

      »Ja.«

      »Vielleicht hat er es nur so leichthin, ohne Überlegung, gesagt? Sich im Ausdruck vergriffen, nicht das richtige Wort getroffen?«

      »Nein, er befahl mir ausdrücklich, Ihnen diese Worte zu bestellen: ›Ich lasse sie grüßen.‹ Er bat mich mehrmals, sie nicht zu vergessen.«

      Katerina Iwanowna wurde sehr erregt.

      »Helfen Sie mir jetzt, Alexej Fjodorowitsch! Ich brauche Ihre Hilfe. Ich werde Ihnen sagen, was ich denke, und Sie sollen mir dann sagen, ob meine Auffassung richtig ist oder nicht. Hören Sie! Hätte er so leichthin befohlen, mich von ihm zu grüßen, ohne auf der Übermittlung gerade dieses Wortes zu bestehen, ohne dieses Wort besonders zu betonen, dann wäre alles aus. Doch wenn er auf diesem Wort besonders bestanden und Ihnen eingeschärft hat, mir diesen Gruß zu bestellen, so schließe ich daraus, daß er sehr stark erregt, vielleicht ganz außer sich war. Er hatte einen Entschluß gefaßt und war über seinen eigenen Entschluß erschrocken. Er hat mich nicht festen Schrittes verlassen, sondern ist gleichsam von einem Berg herabgeglitten. Daß er dieses Wort so betonte, war möglicherweise nur Prahlerei ...«

      »Ja, ja so ist es!« stimmte Aljoscha lebhaft zu. »Es scheint mir selbst jetzt so.«

      »Wenn es sich so verhält, ist er noch nicht zugrunde gegangen! Er ist nur verzweifelt, und ich kann ihn noch retten. Warten Sie, hat er nicht noch etwas über Geld gesagt? Über dreitausend Rubel?«

      »Gerade dies bedrückt ihn vielleicht am allermeisten. Er sagt, er habe seine Ehre verloren, und jetzt sei schon alles gleich«, antwortete Aljoscha mit Wärme, da er mit seinem ganzen Herzen neue Hoffnung aufkeimen fühlte, die Hoffnung, daß es wirklich noch einen Ausweg und Rettung für seinen Bruder gibt. »Wissen Sie denn von diesem Geld?« fügte er hinzu und verstummte plötzlich.

      »Ich habe längst Kenntnis davon, ganz zuverlässig. Ich habe telegrafisch in Moskau angefragt und weiß, daß das Geld nicht eingetroffen ist. Er hat es nicht abgeschickt, doch ich habe geschwiegen. In der letzten Woche erfuhr ich, daß es ihm immer noch sehr an Geld mangele. Ich verfolgte mit meinem Verhalten nur dieses eine Ziel: er sollte wissen, an wen er sich zu wenden hat und wer sein treuester Freund ist. Aber nein, er will nicht glauben, daß ich sein treuester Freund bin. Er will mich nicht näher kennenlernen, er sieht in mir nur die Frau. Die ganze Woche hat mich eine furchtbare Sorge gequält. Wie soll ich es anfangen, daß er sich vor mir nicht wegen dieser dreitausend Rubel schämt? Das heißt, mag er sich vor allen Menschen und vor sich selbst schämen, nur vor mir nicht! Er sagt ja auch Gott alles, ohne sich zu schämen. Warum weiß er bis jetzt nicht, wieviel ich für ihn ertragen kann? Warum, warum kennt er mich nicht? Wie ist es möglich, daß er mich nach allem, was geschehen ist, noch nicht kennt? Ich will ihn für immer retten. Soll er vergessen, daß ich seine Braut bin – aber vor mir um seine Ehre zu fürchten! Er hat sich auch nicht gefürchtet, Ihnen alles zu enthüllen, Alexej Fjodorowitsch warum verdiene ich noch immer nicht dasselbe?«

      Während sie die letzten Worte sprach, traten ihr Tränen in die Augen.

      »Ich muß Ihnen noch mitteilen«, sagte Aljoscha ebenfalls mit zitternder Stimme, »was soeben zwischen ihm und dem Vater vorgefallen ist.«

      Und er erzählte die ganze Szene, erzählte, wie er hingeschickt wurde, um Geld zu erbitten, wie Dmitri hereingestürzt kam, den Vater mißhandelte und nachher ihm, Aljoscha, noch einmal und mit besonderem Nachdruck auftrug, er lasse sie grüßen. »Und alles wegen dieser Frau. Ihretwegen ist er auch gekommen ...«, fügte Aljoscha leise hinzu.

      »Und Sie meinen, daß ich sie nicht ertrage? Er meint, daß ich sie nicht ertrage? Er wird sie gar nicht