Fjodor Dostojewski: Hauptwerke. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754189153
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als wäre überhaupt nichts vorgefallen, in der dritten Kompanie des zweiten Bataillons des Nowosemljaschen Infanterieregiments, das zu derselben Brigade und zu derselben Division gehörte wie unser Regiment!«

      »Wie!« rief der Fürst, ganz außer sich vor Erstaunen.

      »Es verhält sich nicht so; das ist ein Irrtum!« wandte sich Nina Alexandrowna plötzlich zu ihm, wobei sie ihn ordentlich kummervoll ansah. »Mon mari se trompe.«

      »Aber liebe Frau, ›se trompe‹, das ist leicht gesagt; aber kläre du doch selbst einmal einen solchen Fall auf! Alle waren wie vor den Kopf geschlagen. Ich würde der erste sein, der da sagte, qu'on se trompe. Aber unglücklicherweise war ich Zeuge dieser Vorfälle und gehörte zugleich der Untersuchungskommission an. Alle Konfrontationen bewiesen, daß das derselbe, ganz derselbe Gemeine Kolpakow war, den man ein halbes Jahr vorher mit der üblichen Leichenparade unter Trommelwirbel beerdigt hatte. Es war tatsächlich ein seltener, fast unglaublicher Fall, das gebe ich zu; aber ...«

      »Papa, es ist für Sie zum Mittagessen gedeckt«, meldete Warwara Ardalionowna, die ins Zimmer trat.

      »Ah, das ist ja schön, ausgezeichnet! Ich habe auch schon gewaltigen Hunger ... Aber dieser Fall hat, kann man sagen, auch seine psychologische Seite ...«

      »Die Suppe wird wieder kalt werden«, drängte Warwara ungeduldig.

      »Gleich, gleich!« murmelte der General und verließ das Zimmer. »Und trotz aller Nachforschungen ...«, hörte man ihn noch auf dem Korridor sagen.

      »Sie werden meinem Mann Ardalion Alexandrowitsch vieles nachsehen müssen, wenn Sie bei uns wohnen bleiben«, sagte Nina Alexandrowna zum Fürsten. »Er wird Sie übrigens nicht zu viel belästigen; er speist auch allein zu Mittag. Sie geben gewiß selbst zu, daß jeder seine Mängel und seine ... besonderen Eigentümlichkeiten hat und die Leute, auf die man mit Fingern zu zeigen pflegt, oft noch nicht einmal so arg sind wie manche andern Menschen. Nur um eins möchte ich Sie dringend bitten: Sollte mein Mann sich einmal an Sie wegen der Zahlung für das Logis wenden, so sagen Sie ihm, Sie hätten schon an mich bezahlt! Das heißt, auch was Sie Ardalion Alexandrowitsch gäben, würde bei der Abrechnung als von Ihnen bezahlt in Ansatz gebracht werden; aber ich bitte Sie einzig um der guten Ordnung willen darum ... Was ist das, Warja?«

      Warja war in das Zimmer zurückgekehrt und reichte der Mutter schweigend Nastasja Filippownas Bild hin. Nina Alexandrowna zuckte zusammen und betrachtete es zuerst wie erschrocken, dann mit einem bedrückenden, bitteren Gefühl eine Zeitlang. Endlich richtete sie einen fragenden Blick auf Warja.

      »Sie hat es ihm heute selbst geschenkt«, sagte Warja, »und heute abend wird sich bei ihnen alles entscheiden.«

      »Heute abend!« wiederholte Nina Alexandrowna halblaut wie in Verzweiflung. »Nun, dann ist also nicht mehr daran zu zweifeln, und es bleibt uns nichts mehr zu hoffen: durch die Schenkung des Bildes hat sie sich deutlich genug erklärt ... Hat er es dir denn selbst gezeigt?« fügte sie erstaunt hinzu.

      »Sie wissen doch, Mama, daß wir schon seit einem ganzen Monat kaum ein Wort miteinander reden. Ptizyn hat mir alles erzählt, und das Bild lag dort neben dem Tisch auf dem Fußboden; da habe ich es aufgehoben.«

      »Fürst«, wandte sich Nina Alexandrowna plötzlich an ihn, »ich wollte Sie fragen (und eben deswegen hatte ich Sie hierher bitten lassen), ob Sie mit meinem Sohn schon länger bekannt sind. Ich meine, er sagte, Sie seien erst heute von anderwärts hier angekommen?«

      Der Fürst gab ihr in Kürze über sich Auskunft, indem er die größere Hälfte wegließ. Nina Alexandrowna und Warja hörten aufmerksam zu.

      »Wenn ich Sie danach frage«, bemerkte Nina Alexandrowna, »so tue ich es nicht in der Absicht, etwas über Gawrila Ardalionowitsch herauszubekommen; geben Sie sich in dieser Hinsicht keinen irrigen Vorstellungen hin! Wenn er etwas hat, was er mir nicht selbst gestehen mag, so will ich das auch nicht hinter seinem Rücken in Erfahrung bringen. Ich fragte namentlich deswegen, weil Ganja vorhin, als Sie hinausgegangen waren, auf meine Frage nach Ihnen mir antwortete: ›Er weiß alles; man braucht sich vor ihm nicht zu genieren!‹ Was bedeutet das? Das heißt, ich möchte gern wissen, bis zu welchem Grade ...«

      Auf einmal traten Ganja und Ptizyn ein. Nina Alexandrowna verstummte sofort. Der Fürst blieb auf seinem Stuhl neben ihr sitzen, während Warwara zur Seite ging. Nastasja Filippownas Bild lag an sehr sichtbarer Stelle auf Nina Alexandrownas Arbeitstisch gerade vor ihr. Als Ganja es erblickte, runzelte er die Stirn, nahm es ärgerlich vom Tisch und warf es auf seinen Schreibtisch, der am andern Ende des Zimmers stand.

      »Also heute, Ganja?« fragte Nina Alexandrowna plötzlich.

      »Was soll heute sein?« rief Ganja zusammenschreckend und fuhr plötzlich auf den Fürsten los. »Ah, ich verstehe, Sie haben auch hier ... Aber was ist denn das in aller Welt mit Ihnen? Eine Art Krankheit? Sind Sie nicht imstande, den Mund zu halten? Nun dann, bitte, begreifen Sie endlich, Durchlaucht ...«

      »Hier trage ich die Schuld, Ganja, und kein andrer«, unterbrach ihn Ptizyn.

      Ganja blickte ihn fragend an.

      »Es ist ja doch so am besten, Ganja, um so mehr, da von der einen Seite die Sache erledigt ist«, murmelte Ptizyn; dann ging er zur Seite, setzte sich an einen Tisch, zog ein mit Bleistift beschriebenes Blatt Papier aus der Tasche und blickte unverwandt darauf.

      Ganja stand mit finsterer Miene da und erwartete mit innerlicher Unruhe eine Familienszene. Sich dem Fürsten gegenüber zu entschuldigen, kam ihm gar nicht in den Sinn.

      »Wenn alles erledigt ist, hat Iwan Petrowitsch natürlich recht«, sagte Nina Alexandrowna. »Bitte, mach kein so böses Gesicht, Ganja, und ärgere dich nicht; ich werde nie etwas herauszubekommen suchen, was du nicht von selbst sagen magst, und ich versichere dir, daß ich mich vollständig darein gefügt habe; tu mir den Gefallen und beunruhige dich nicht!«

      Sie sagte das, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen und, wie es schien, wirklich ganz ruhig. Ganja war erstaunt, schwieg aber vorsichtigerweise und sah seine Mutter an, in der Erwartung, daß sie sich deutlicher aussprechen werde. Häusliche Szenen hatten ihm schon gar zu viel Verdruß gemacht. Nina Alexandrowna bemerkte diese vorsichtige Zurückhaltung und fügte mit bitterem Lächeln hinzu:

      »Du zweifelst immer noch und glaubst mir nicht; beunruhige dich nicht: es wird keine Tränen und keine Bitten mehr geben wie früher, wenigstens nicht von meiner Seite. Alles, was ich wünsche, ist, daß du glücklich sein möchtest, und das weißt du; ich habe mich in mein Schicksal gefunden, und mein Herz wird immer voll Liebe für dich sein, ob wir nun zusammenbleiben oder uns trennen. Selbstverständlich rede ich nur in meinem eigenen Namen; von deiner Schwester kannst du nicht dasselbe verlangen ...«

      »Ah, immer wieder sie!« rief Ganja, indem er seiner Schwester einen spöttischen, haßerfüllten Blick zuwarf. »Liebe Mama, ich schöre Ihnen nochmals, worauf ich Ihnen schon früher mein Wort gegeben habe: nie soll jemand wagen, sich gegen Sie zu vergehen, solange ich hier bin, solange ich am Leben bin. Um wen es sich auch handeln mag, ich werde stets darauf bestehen, daß jeder, der unsere Schwelle überschreitet, Ihnen mit der größten Ehrerbietung begegnet ...«

      Ganja freute sich so, daß er seine Mutter fast mit versöhnlichen, zärtlichen Blicken ansah.

      »Ich habe auch nie etwas für meine eigene Person befürchtet, Ganja; das weißt du. Nicht um meinetwillen habe ich mich diese ganze Zeit über beunruhigt und gequält. Es heißt, heute wird zwischen euch alles erledigt werden? Was wird denn erledigt werden?«

      »Sie hat versprochen, heute abend bei sich zu Hause sich darüber zu erklären, ob sie einwilligt oder nicht«, antwortete Ganja.

      »Wir haben es fast drei Wochen lang vermieden, davon zu sprechen, und das war auch das beste. Jetzt, da alles erledigt ist, möchte ich mir nur die eine Frage erlauben: wie konnte sie dir ihre Einwilligung geben und dir sogar ihr Bild schenken, wenn du sie nicht liebst? Hast du denn wirklich sie, eine so ... so ...«

      »Nun, sagen wir: eine so erfahrene Person ...«

      »Ich