Fjodor Dostojewski: Hauptwerke. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754189153
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      »Nein, das war nicht der Fall; ich weiß alles: sie machte sich nur über ihn lustig.«

      »Und hat sie sich niemals über Sie lustig gemacht?«

      »N-nein. Sie hat vor Ärger über mich gelacht; oh, sie hat mir damals im Zorn schreckliche Vorwürfe gemacht – und hat selbst furchtbar dabei gelitten! Aber ... dann ... oh, erinnern Sie mich nicht daran, erinnern Sie mich nicht daran!«

      Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen.

      »Wissen Sie wohl, daß sie fast täglich an mich Briefe schreibt?«

      »Also das ist wahr!« rief der Fürst in starker Aufregung.

      »Ich hatte es gehört, wollte es aber immer noch nicht glauben.«

      »Von wem hatten Sie es gehört?« fragte Aglaja, erschrocken zusammenfahrend.

      »Rogoschin sagte es mir gestern, nur nicht sehr deutlich.«

      »Gestern? Gestern morgen? Wann gestern? Vor dem Konzert oder nachher?«

      »Nachher, am Abend, kurz vor Mitternacht.«

      »Ah so! Nun, wenn es Rogoschin war ... Aber wissen Sie, was sie mir in diesen Briefen schreibt?«

      »Ich werde mich über nichts wundern; sie ist geisteskrank.«

      »Da sind die Briefe.« Aglaja zog drei in Kuverts steckende Briefe aus der Tasche und warf sie vor den Fürsten hin. »Schon eine ganze Woche lang redet sie mir zu, bittet und beschwört mich, ich möchte Sie heiraten. Sie ... nun ja, sie ist klug, obwohl sie geisteskrank ist, und Sie sagen ganz richtig, daß sie viel klüger ist als ich ... sie schreibt mir, sie habe sich in mich verliebt; sie suche täglich eine Gelegenheit, mich zu sehen, wenn auch nur von weitem. Sie schreibt mir, Sie liebten mich; sie wisse das, sie habe es schon längst bemerkt, und Sie hätten mit ihr dort von mir gesprochen. Sie will Sie glücklich sehen; sie ist überzeugt, daß nur ich Sie glücklich machen kann ... Sie schreibt so wild ... so sonderbar ... Ich habe die Briefe niemandem gezeigt; ich habe damit auf Sie gewartet; wissen Sie vielleicht, was das alles zu bedeuten hat? Haben Sie keine Vermutung?«

      »Das ist Irrsinn, ein Beweis ihrer Geisteskrankheit«, sagte der Fürst, und seine Lippen bebten.

      »Sie weinen doch nicht?«

      »Nein, Aglaja, nein, ich weine nicht«, erwiderte der Fürst, sie anblickend.

      »Was soll ich denn dabei tun? Wozu raten Sie mir? Ich darf doch solche Briefe nicht länger annehmen!«

      »Oh, unternehmen Sie nichts gegen diese Frau, ich flehe Sie an!« rief der Fürst. »Was haben Sie mit dieser geistigen Dunkelheit zu tun; ich werde alles aufbieten, damit sie nicht mehr an Sie schreibt.«

      »Wenn es so steht, dann sind Sie ein herzloser Mensch!« rief Aglaja. »Sehen Sie denn nicht, daß sie nicht in mich verliebt ist, sondern daß sie Sie liebt, einzig und allein Sie? Haben Sie wirklich alle Empfindungen ihrer Seele erkennen können und nur dieses Gefühl nicht bemerkt? Wissen Sie, was hier vorliegt, was diese Briefe bedeuten? Das ist Eifersucht; das ist mehr als Eifersucht! Diese Frau ... glauben Sie etwa, daß sie wirklich Rogoschin heiraten wird, wie sie hier in den Briefen schreibt? Wenn wir uns trauen lassen, wird sie sich am nächsten Tag das Leben nehmen!«

      Der Fürst fuhr zusammen; das Herz wollte ihm stillstehen. Aber er blickte Aglaja erstaunt an: es war für ihn eine sonderbare Empfindung zu erkennen, daß dieses Kind schon längst ein Weib war.

      »Gott weiß es, Aglaja, daß ich mein Leben opfern würde, um ihr die Ruhe der Seele wiederzugeben und sie glücklich zu machen; aber ... ich kann sie nicht mehr lieben, und sie weiß das!«

      »So bringen Sie sich doch zum Opfer; das steht Ihnen ja so gut! Sie sind ja ein so großer Wohltäter. Und sagen Sie nicht ›Aglaja‹, zu mir; Sie haben auch vorhin schon einfach ›Aglaja‹ zu mir gesagt ... Sie müssen ihr zu einem neuen Leben behilflich sein, Sie sind dazu verpflichtet; Sie müssen mit ihr wieder wegreisen, um ihrem Herzen Frieden und Ruhe wiederzugeben. Und Sie lieben sie ja auch!«

      »Ich konnte mich nicht in dieser Weise zum Opfer bringen, obgleich ich es einmal gewollt habe und ... vielleicht auch jetzt möchte. Aber ich weiß bestimmt, daß sie mit mir zugrundegehen würde, und deshalb verlasse ich sie. Ich sollte heute um sieben Uhr zu ihr kommen; aber ich werde jetzt vielleicht nicht hingehen. In ihrem Stolz würde sie mir meine Liebe nie verzeihen, und wir würden beide zugrundegehen! Das ist ja unnatürlich; aber hierbei ist eben alles unnatürlich. Sie sagen, daß sie mich liebt; aber ist denn das wirklich Liebe? Kann man denn, wenn man bedenkt, was ich schon gelitten habe, das für wahre Liebe halten? Nein, das ist etwas anderes, aber nicht Liebe!«

      »Wie blaß Sie geworden sind!« rief Aglaja erschrocken.

      »Das macht nichts; ich habe nur wenig geschlafen; da bin ich schwach geworden, ich ... Wir haben damals in der Tat von Ihnen gesprochen, Aglaja ...«

      »Also, das ist wahr? Sie haben es wirklich fertiggebracht, mit ihr von mir zu sprechen? Und ... und wie war es nur möglich, daß Sie mich liebgewonnen hatten, da Sie mich doch erst ein einziges Mal gesehen hatten?«

      »Ich weiß nicht, wie es hat geschehen können. In meinem damaligen verdüsterten Seelenzustand träumte mir, ahnte mir vielleicht etwas von einer neuen Morgenröte. Ich weiß nicht, wie es gekommen ist, daß Sie die erste waren, auf die sich meine Gedanken richteten. Wenn ich Ihnen damals schrieb, ich wisse nicht, wie es zugegangen sei, so war das die Wahrheit. All das war nur ein Hoffnungstraum, der mir infolge meines damaligen Angstzustandes kam ... Ich habe dann angefangen, mich zu beschäftigen, und würde in drei Jahren nicht wieder hergereist sein ...«

      »Also sind Sie um ihretwillen hergereist?«

      Aglajas Stimme hatte einen zitternden Klang.

      »Ja, um ihretwillen.«

      Es vergingen etwa zwei Minuten in finsterem Schweigen von beiden Seiten. Aglaja stand von der Bank auf.

      »Wenn Sie sagen«, begann sie mit unsicherer Stimme, »wenn Sie selbst glauben, daß diese ... daß diese Frau ... irrsinnig ist, dann gehen mich ihre irrsinnigen Phantasien nichts an ... Ich bitte Sie, Ljow Nikolajewitsch, diese drei Briefe an sich zu nehmen und sie ihr in meinem Namen wieder zuzustellen! Und sagen Sie ihr«, rief Aglaja plötzlich mit erhobener Stimme, »wenn sie sich erdreisten sollte, mir noch einmal auch nur eine Zeile zu schicken, so würde ich mich bei meinem Vater beschweren, und sie würde ins Arbeitshaus gebracht werden ...«

      Der Fürst sprang auf und sah Aglaja, ganz erschrocken über ihre plötzliche Wut, an; und auf einmal schien sich ein Nebel vor seinen Augen zu zerteilen ...

      »Sie können nicht so fühlen ... das ist nicht wahr!« murmelte er.

      »Es ist doch wahr! Es ist doch wahr!« schrie Aglaja, die kaum von sich selbst wußte.

      »Was ist wahr? Was soll wahr sein?« ertönte neben ihnen eine ängstliche Stimme.

      Vor ihnen stand Lisaweta Prokofjewna.

      »Es ist wahr, daß ich Gawrila Ardalionowitsch heiraten werde! Daß ich Gawrila Ardalionowitsch liebe und mit ihm gleich morgen von zu Hause davonlaufen werde!« rief Aglaja ihr heftig zu. »Haben Sie es gehört? Ist Ihre Neugier nun befriedigt? Sind Sie damit einverstanden?« Und sie lief nach Hause.

      Lisaweta Prokofjewna hielt den Fürsten zurück. »Nein, lieber Freund«, sagte sie, »geh jetzt nicht weg; tu mir den Gefallen und komm zu mir nach Hause, um mir Aufklärung zu geben ...! Was ist das nur wieder für eine neue Qual! Ich habe auch so schon die ganze Nacht nicht geschlafen.«

      Der Fürst ging mit ihr nach Hause.

      Als Lisaweta Prokofjewna in ihre Wohnung kam, blieb sie gleich im ersten Zimmer; sie war außerstande weiterzugehen und ließ sich ganz kraftlos auf eine Chaiselongue niedersinken, wobei sie sogar vergaß, den Fürsten zum Platznehmen aufzufordern. Es war