White Moon. Leni Anderson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leni Anderson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754146408
Скачать книгу
hier auch wieder staut. Wie gerne denke ich in solchen Momenten an die Zeit zurück, als das All in noch eine kleine irische Bar mit übersichtlicher Tanzfläche war, in der man sich am Wochenende gerne eine neue unbekannte Band anhörte, die live auf der Bühne performte. Das Aus kam vor drei Jahren als der Inhaber Francis erkrankte und mit seiner Frau zurück nach Irland ging. Zusammen mit den umliegenden Geschäften und Bars wurde aus dem ehemaligen All for you letztendlich das zweistöckige All in, der Szeneclub unseres Viertels.

      Endlich an der Kasse angekommen, die eigentlich mehr einem Tresen gleicht, der unpassenderweise mitten im Gang verbaut wurde, zahle ich den üblichen Eintritt und will gerade Richtung Innenraum, als mich einer der Kassierer am Handgelenk packt und sagt: „Warte, du brauchst noch nen Stempel.“

      Stempel? Das war mir neu. Er dreht meine Handfläche nach oben und bevor ich auch nur etwas erwidern kann, hat er mir auch schon einen Abdruck auf mein inneres Handgelenk verpasst. Na toll, sieht wieder jeder tagelang, wo man am Wochenende war. Was mein Chef wohl am Montag dazu sagen wird? Innerlich stöhne ich auf.

      „Sorry, ist jetzt Pflicht für alle Gäste.“ Er hebt den Stempel wieder hoch und da ist ... nichts?

      „Äh sorry, aber man sieht gar nichts. Soll das so sein?“, frage ich irritiert nach.

      „Oh, das ist fluoreszierende Farbe. Die leuchtet nur unter UV-Licht. Soll ja nicht jeder wissen, wo man am Wochenende war.“ Er zwinkert mir zu.

      Bevor ich etwas erwidern kann, werde ich schon von den nächsten Gästen zur Seite geschoben. Seltsam, dass er das gesagt hat ...

      Nachdem ich meine Jacke an der Garderobe abgegeben habe, dränge ich mich vorsichtig durch die vielen Leute im Eingangsbereich und folge dem langen Flur, bis ich schließlich im Herzstück des Clubs ankomme. Die Musik ist hier wesentlich lauter als vorne und der DJ legt just in diesem Moment einem neuen Song auf.

      Rechts an der Bar drängeln sich die Durstigen. Obwohl es noch nicht mal 23 Uhr ist, scheint die Reihe der Wartenden schier endlos. Herrje, das wird ja ein Abend. Auch die Tanzfläche vor mir, die durch einige umliegende Stufen erreicht werden kann, ist rappelvoll.

      Wo steckt nur Hailey?

      Ein wenig genervt lasse ich meinen Blick immer wieder über die bebende Menge schweifen. Nichts. Normalerweise finden wir uns immer wie von selbst. Das war irgendwie schon immer so.

      Hailey. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, als ich an sie denke. Ich weiß noch genau, wann und wo wir uns kennen gelernt haben. Es war auf einer meiner ersten Studentenpartys und es war so unfassbar öde, dass man die Enttäuschung in der Luft fast riechen konnte. Und dann kam eine völlig unangepasste junge Frau auf mich zu und sagte keck: „Boah, hier gibt’s weder was zu saufen noch was zu ficken. Hauen wir ab?“ Und das taten wir. Wir zogen die ganze Nacht um die Häuser und Hailey riss mich einfach mit. Raus aus meinem bis dato tristen Alltag, meinem langweiligen Studentinnenleben, und brachte Farbe in mein Grau. Seitdem ist Hailey fester Bestandteil meines Lebens, meine beste Freundin.

      Ein herber Schubser in den Rücken reißt mich aus meinen Gedanken. „Sorry! Das war keine Absicht!“ Große dunkle Augen schauen von oben auf mich herab. Wow. In diesen Augen könnte ich mich verlieren.

      „Äh, ja. Kein Problem. Ist ja nichts passiert.“

      Ein Grinsen umspielt die großen Augen.

      „Hab ja zum Glück nichts in der Hand, was verschüttet werden könnte.“ Ich schiebe ein unsicheres Grinsen hinterher und werde mir vage bewusst, dass zu den großen Augen ein ebenso großer Mann gehört. Kräftige Oberarme lugen aus seinem schwarzen Shirt hervor und im steten Aufblinken der Clublichter lässt sich ein wohl definierter Oberkörper durch den dunklen Stoff erahnen.

      Fuck, ist der heiß.

      Und irgendwie kommt er mir bekannt vor. Woher kenne ich ... Oh mein Gott! Ich weiß es! Er sieht echt wie der zu Fleisch gewordene Thor aus, einer von Dads liebsten Marvel-Helden. Ich schlucke.

      „Also ... Nichts passiert“, stammle ich und bin froh, dass er im Dunkeln des Clubs nicht sehen kann, dass meine Wangen in Flammen in stehen.

      Schweigen.

      Langsam mustert er mich von oben nach unten und das Grinsen auf seinem Gesicht wird immer breiter. Alles an dieser Situation schreit in mir gerade zu unangenehm auf, aber ich kann auch nicht aufhören, in diese großen, dunklen Augen zu starren. Ich beiße mir auf die Unterlippe und merke, dass mein Herz mir bis zum Hals schlägt. Er strahlt eine Anziehung auf mich aus, die mich fast schwindelig werden lässt. Es ist, als würde jede Zelle meines Körpers auf ihn reagieren. Jede ...

      Als ich mich doch endlich losreißen kann, mich mehr oder weniger dazu zwinge, und mich abwenden will, findet er seine Stimme wieder: „Hm. Du hast also keinen Drink? Wie kann das denn sein?“

      Soll das ein Witz sein? Hat der mal die Schlange vor der Bar gesehen?

      „Na ja, es ist ziemlich voll, falls dir das noch nicht aufgefallen ist. Und bisher war ich noch nicht motiviert genug, mich in das Gedränge zu schmeißen.“ Ich nicke in Richtung Bar und auf die Menschenmassen davor.

      Ungläubig und fast ein wenig amüsiert starrt er mich an. Da ist es wieder, dieses Grinsen. Flüchtig leckt er sich über die Lippen und ein kleines Kribbeln macht sich in mir breit. „Verstehe. Warte kurz.“

      Behände bahnt er sich seinen Weg durch die Menge und winkt dem Barkeeper: „Hey Pat!“ Der auch prompt reagiert, praktisch alles stehen und liegen lässt.

       Was zum ...?

      „Yo, Chris! Was kriegst du?“

      „Das Übliche!“

      Pat reckt den Daumen in die Luft.

      Und tatsächlich. Keine fünf Minuten später habe ich einen eisgekühlten Gin Tonic in der Hand. „Äh, danke. Das ging schnell.“ Ich bin etwas überrumpelt von der Situation und weiß nicht so recht, was ich sagen soll. Fuck! Ich bin doch sonst nicht so wortkarg!

      „Kein Problem“, erwidert er und grinst von einem Ohr zum anderen. „Na dann, cheers!“

      Wir stoßen an und dann ist er auch schon genauso schnell verwunden, wie er aufgetaucht ist. „Wir sehen uns“, ist das Letzte, was ich noch von ihm höre. Er geht Richtung Tanzfläche davon.

      Wow, der Po kann sich auch sehen lassen ... Nur die groben Stiefel erscheinen fast ein wenig zu derbe für einen schicken Club. Wie ist er damit nur reingekommen? Ach verdammt, wäre ich nicht so irritiert und auf der Suche nach meiner Freundin, hätte ich ihn vielleicht in ein Gespräch verwickelt. Jetzt ist er weg. Ich überlege für einen Moment, ob ich ihm hinterhergehen sollte. Fuck, vielleicht ist er mit Freunden da, möglicherweise sogar mit seiner Freundin. Wäre oberpeinlich, da jetzt einfach so rein zu platzen.

      Okay, zurück zu meiner Verabredung. Wo steckt Hailey?

      Ich mache mich auf den Weg zur oberen Etage des

       All in. Von dort habe ich einen besseren Überblick und entdecke sie vielleicht in der Menge.

      Die Treppe nach oben ist am Ende der Bar und theoretisch gar nicht weit weg.

      Theoretisch.

      Verschwitzte und bebende Körper streifen den meinen, als ich mich an den Gästen vor der Bar vorbeischiebe. Ein paar sind nicht gerade amüsiert und werfen mir funkelnde Blicke zu. Ich versuche, mich zu entschuldigen, aber mehr als einen flüchtigen Blick hat dann doch keiner mehr für mich übrig. Warum ist es heute nur so voll?

      Endlich erreiche ich die Treppe nach oben. Mit jedem Schritt hinauf wird die Luft ein wenig kühler. Wow, mir war gar nicht bewusst, wie heiß es dort unten war. Oben angekommen stelle ich mich an die Balustrade und lasse meinen Blick über die Menge schweifen.

      Die Menschenmenge auf der Tanzfläche unter mir bebt. So aufgeheizt habe ich den Club lange nicht erlebt. Der DJ in seinem Gitterkorb über der Tanzfläche gibt heute echt alles. Und es wirkt. Kaum jemand kann Füße