Dieses Heldentum Hölderlins ist darum so unsagbar herrlich, weil es ohne Stolz ist, ohne Siegesvertrauen: er fühlt nur die Sendung, den unsichtbaren Ruf, er glaubt an die Berufung, nicht an den Erfolg. Niemals fühlt er, der unendlich Verwundbare, sich als der hürnene Siegfried, an dem alle Speere des Schicksals zerschellen müssen, niemals sieht er sich als den Siegreichen, Erfolgreichen. Man verwechsle darum nicht Hölderlins namenlose Gläubigkeit an die Dichtung als den höchsten Sinn des Lebens mit einer eigenen, also persönlichen Gewißheit als Dichter: so fanatisch er der Mission vertraute, so demütig fromm war er im Hinblick auf die eigene Begabung. Nichts ist ihm fremder als das männliche, fast krankhafte Selbstvertrauen etwa Nietzsches, der sich als Lebensspruch das Wort gesetzt: Pauci mihi satis, unus mihi satis, nullus mihi satis – ein flüchtiges Wort kann ihn entmutigen, eine Ablehnung Schillers ihn Monate verstören. Wie ein Knabe, ein Schuljunge beugt er sich vor den ärmlichsten Versdichtern, vor einem Conz, einem Neuffer – aber unter dieser persönlichen Bescheidenheit, dieser äußersten Weichheit des Wesens, steht stahlhart der Wille zur Dichtung, die Dienstwilligkeit zum Opfergang. »O Lieber«, schreibt er an einen Freund, »wann wird man unter uns erkennen, daß die höchste Kraft in ihrer Äußerung zugleich die bescheidenste ist und daß das Göttliche, wenn es hervorgeht, nie ohne eine gewisse Demut und Trauer sein kann.« Sein Heldentum ist nicht das eines Kriegers, Heldentum der Gewalt, sondern ein Heldentum des Märtyrers, die freudige Bereitschaft, zu leiden für ein Unsichtbares und sich zerstören zu lassen für seinen Glauben, für seine Idee.
»Sei's, wie dir dünket, o Schicksal« – mit diesem Wort beugt sich der Unbeugsame fromm vor seinem selbstgeschaffenen Verhängnis. Und ich weiß keine höhere Form des Heroismus auf Erden als diese einzige, die nicht befleckt ist vom Blute und vom gemeinen Gieren nach Macht: der edelste Mut des Geistes ist immer ein Heldentum ohne Brutalität, nicht der sinnlose Widerstand, sondern die wehrlose Hingabe an die übermächtige und als heilig erkannte Notwendigkeit.
Der Mythus der Dichtung
Menschen haben es nicht gelehrt,
Mich trieb, unendlich liebend, ein heilig Herz
Unendlichem entgegen.
Kein deutscher Dichter hat jemals so sehr an die Dichtung und ihren göttlichen Ursprung geglaubt wie Hölderlin. So sonderbar es klingt, dieser zarte protestantische Pfarreraspirant aus Schwaben hat eine absolute antikische Einstellung zum Unsichtbaren, zu den Mächten, er glaubt viel gläubiger an den »Vater Äther« und das waltende Schicksal als seine Altersbrüder, als Novalis und Brentano an ihren Christus: Poesie ist ihm, was jenen das Evangelium, Aufschließung der letzten Wahrheit, das trunkene Geheimnis, Hostie und Wein, das den Leib, den allzu irdischen, glühend dem Unendlichen weiht und verbindet. Selbst für Goethe ist Dichtung doch bloß ein Teil des Lebens, für Hölderlin unbedingt der Sinn des Lebens, jenem eine bloß persönliche Notwendigkeit, ihm aber überpersönliche, eine religiöse Notwendigkeit. In der Poesie erkennt er fürchtig den Atem des Göttlichen, die einzige Harmonie, in der sich der urewige Zwiespalt des Seins für selige Augenblicke löst und entspannt. Wie der Äther das Zwischenreich zwischen Himmel und Erde, so füllt die Dichtung die Kluft zwischen dem Oben und Unten des Geistes, zwischen den Göttern und den Menschen. Die Dichtung – ich wiederhole es – ist für Hölderlin nicht nur wie jenen eine musikalische Zutat des Lebens, bloß ein Schmuckhaftes am geistigen Leib der Menschheit, sondern das höchste Zweckhafte und Sinnvolle, das alles erhaltende und gestaltende Prinzip: ihr sein Leben zu weihen, darum die einzig wertvolle und würdige Opfertat. Aus dieser Größe der Anschauung allein erklärt sich die Größe von Hölderlins Heldentum.
Unablässig hat Hölderlin diesen Mythus des Dichters in seinem Gedicht gebildet: und er muß nachgebildet werden, um die Leidenschaft seiner Verantwortlichkeit zu verstehen. Für ihn, den Frommgläubigen der »Mächte«, ist die Welt ganz im griechischen, im platonischen Sinne zwiegeteilt. Oben »wandeln die Himmlischen selig im Licht«, unnahbar und doch anteilnehmend. Unten wieder ruht und werkt die dumpfe Masse der Sterblichen in der sinnlosen Tretmühle täglichen Tuns:
Es wandelt in Nacht, es wohnt, wie im Orkus,
Ohne Göttliches unser Geschlecht. Ans eigene Treiben
Sind sie geschmiedet allein, und sich in der tosenden Werkstatt
Höret jeglicher nur, und viel arbeiten die Wilden
Mit gewaltigem Arm, rastlos, doch immer und immer
Unfruchtbar, wie die Furien, bleibt die Mühe den Armen.
Wie in dem Goetheschen Diwan-Gedicht zerfällt die Welt in Nacht und Licht, ehe die Morgenröte »sich der Qual erbarmt«, ehe ein Mittler beider Sphären erscheint. Denn dieser Kosmos bliebe zwiefache Einsamkeit, Einsamkeit der Götter und Einsamkeit der Menschen, erstünde nicht zwischen ihnen flüchtig-seliges Band, spiegelte nicht die höhere die niedere Welt und diese wieder die erhobene. Auch die Götter oben, die »selig wandernden im Licht«, sind nicht glücklich, sie fühlen sich nicht, solange sie nicht gefühlt werden:
Immer bedürfen ja, wie Heroen den Kranz, die geweihten
Elemente zum Ruhme das Herz der fühlenden Menschen.
So drängt das Unten zum Oben, das Obere zum Untern, Geist zum Leben und Leben empor in den Geist: alle Dinge der unsterblichen Natur sind ohne Sinn, solange sie nicht von Sterblichen erkannt, solange sie nicht irdisch geliebt werden. Die Rose wird erst wahrhaft zur Rose, wenn sie ein Blick schauend in sich trinkt, die Abendröte erst Herrlichkeit, wenn sie in der Retina eines Menschenauges widerleuchtet. Wie der Mensch das Göttliche, um nicht zu vergehen, ebenso braucht das Göttliche, um wahrhaft zu sein, den Menschen. So schafft er sich Zeugen seiner Macht, den Mund, der ihm lobsinge, den Dichter, der ihn erst wahrhaft zum Gotte macht.
Diese Uridee der Hölderlinschen Anschauung mag – wie fast alle seine poetischen Ideen – Entlehnung sein, eine Anleihe bei dem »kolossalischen Geiste« Schillers. Aber wie geweitet ist die kalte Schillersche Erkenntnis:
Freundlos war der große Weltenmeister,
Fühlte Mangel – darum schuf er Geister,
Sel'ge Spiegel seiner Seligkeit
zu Hölderlins orphischer Vision von des Dichters Erweckung:
Und unaussprechlich wär und einsam
In seinem Dunkel umsonst, der doch
Der Zeichen genug und Wetterflammen
Und Fluten in seiner Macht,
Wie Gedanken hat, der heilige Vater,
Und nirgend fand er wahr sich unter den Lebenden wieder,
Wenn zum Gesange ein Herz nicht hätt' die Gemeinde.
Nicht also aus einer Trauer, einer müßigen Langeweile wie bei jenem erschafft sich das Göttliche den Dichter – immer waltet bei Schiller noch die Idee der Kunst als irgendeines erhabenen »Spiels« –, sondern aus einer Notwendigkeit: es ist nicht ohne den Dichter, das Göttliche, es wird erst durch ihn. Dichtung – hier tastet man an den Urkern des Hölderlinschen Ideenkreises – ist eine Weltnotwendigkeit, sie ist nicht bloß eine Kreation innerhalb des Kosmos, sondern die Erschaffung des Kosmos selbst. Die Götter senden nicht aus Spieltrieb den Dichter, sondern aus Notwendigkeit: sie brauchen ihn, den »Gesandten