Hannes Wildecker
Sammelband 1 – Sonderausgabe
3 Hunsrück-Krimis aus der Reihe „ Tatort Hunsrück“
Impressum
Texte: © Copyright by Hans Muth
Umschlagfoto: Pixabay
Umschlag: © Copyright by Hans Muth
Verlag: Hans Muth
Kapellenstr. 6
54316 Lampaden
Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin,
Printed in Germany
Band 1:
Der Weg des Bösen
Prolog
Die zierliche Gestalt mit dem dunklen Anorak und der übergroßen schwarzen Kapuze sieht nieder zu Jörg Dellmann, der vor ihr mit dem Rücken auf dem Schmutz des Hinterhof-Bodens liegt und mit teils ängstlichem, teils erwartungsvollen Blick zu ihr aufsieht.
Erst als er den Baseball-Schläger in der Hand des Gegenübers bemerkt und das verzerrte Lächeln in seinem Gesicht sieht, weichen Erwartungshaltung und Angst einer ihn umklammernden Panik. Mit aufgerissenen Augen will er schreien, doch irgendetwas schnürt ihm die Kehle zu, dass er glaubt, ersticken zu müssen.
Er registriert, wie sich die Person, deren schattenumhülltes Gesicht er nicht sehen kann, mit beiden Händen auf den Baseball-Schläger stützt und ihn stumm ansieht.
Der Blick seiner vor Angst geweiteten Augen sucht in dem Gesicht des anderen zu lesen. Langsam kommt ihm die Erinnerung wieder. Er hatte in einer Gaststätte etwas getrunken. Dann wurde ihm übel und der Black-Out nahm ihm das Gefühl, sich übergeben zu müssen.
Ohne seinen Kopf zu bewegen, streifen seine Augen die Umgebung ab und plötzlich hat er das Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein.
Sein Gegenüber scheint seine Gedanken zu erraten. Er nickt mehrfach mit dem Kopf und lächelt, höhnisch und übermächtig. Mit einer energischen Bewegung schiebt er die Kapuze in den Nacken und verharrt einen Moment, den Blick auf sein Opfer gerichtet, dessen Augen sich angesichts des Offenbarten mehr und mehr weiten.
Dann tritt die Gestalt auf den Daliegenden zu, der sich, auf die Ellbogen stützend, in eine sitzende Stellung begeben hat und nach hinten wegzukriechen versucht. Seine Muskeln sind immer noch wie gelähmt, so, wie es in der Natur bestimmter Betäubungsmittel liegt. Schweiß hat sich auf seiner Stirn gebildet und läuft, Tränen gleich, an den Falten seiner Wangen hinunter.
Seine panische Angst steigert sich ins Unermessliche. Nun weiß er auf einmal, wo er sich befindet. Sein Blick fällt auf den Baseballschläger und es ist, als sauge er sich daran fest. Schlagartig wird ihm bewusst, was ihn erwartet.
Noch ehe die zierliche Gestalt ihn mit erhobenem Schläger erreicht, hebt er reflexartig beide Arme zur Abwehr vors Gesicht.
„Nein!!!“
Dann trifft ihn der erste Schlag und zertrümmert seinen rechten Unterschenkelknochen.
Der Schmerz jagt durch seinen gesamten Körper und droht ihn in eine neue Ohnmacht zu versetzen. Er schreit mit schmerzverzerrtem Gesicht auf und fasst sich reflexartig mit beiden Beinen an das lädierte Bein, wobei er damit gleichzeitig seinen oberen Körperbereich entblößt.
Der zweite Schlag trifft ihn mitten im Gesicht, noch ehe er seinen Mund schließen kann. Er spürt nicht mehr, wie er in einer Reflexbewegung einen Teil seiner Zähne verschluckt und auch nicht den dritten Schlag auf die gleiche Stelle, der das Leben von Jörg Dellmann jäh beendet.
Die Gestalt sieht noch einen Moment auf den Toten. Dann nimmt sie einen Zettel aus einer Innentasche des Anoraks, beugt sich über ihn und schiebt das Papier unter dessen Pullover.
„Wer Tod sät, wird Tod ernten“, flüstert die Gestalt, während sie sich die Kapuze wieder über den Kopf zieht. „Flieg zur Hölle, Adler!“ Doch niemand vernimmt die Worte und das Flüstern verpufft ungehört im Rauschen der Bäume des nahen Waldes.
Kapitel 1
Während Maggie Heidfeld mit leerem Blick aus dem Fenster des fast lautlos dahinschwebenden ICE in die unendliche Ferne blickte, tastete sie zum wiederholten Mal das Innere ihrer eigentlich zu großen Handtasche mit der Herkunft irgendeines Supermarktes ab, bis sie schließlich das kalte Metall der Walther PPK auf ihrer Haut spürte.
Ihre Hand umfasste den harten Griff der Waffe und ihre Fingerspitzen glitten über die Riffelung der Hartholzschalen. Ein Schaudern ging bei der Berührung durch ihren Körper. Ihr Daumen fasste den Hahn und zog ihn ein bis zwei Millimeter nach hinten, um ihn dann wieder behutsam in die Ausgangsstellung zurückzuführen.
Maggie verspürte ein eigentümliches Gefühl in der Magengegend, als sie die klobige Tasche schloss und daran dachte, dass gerade sie mit einer Waffe unterwegs war. Zeitlebens war sie ein Feind von Gewalt gewesen, hatte das Morden in den zahlreichen Kriegen nie nachvollziehen können und sie hatte es ihrem Vater stets übelgenommen, damals, als sie Kind war, wenn er die kleine Pistole auseinandernahm und reinigte. Es war schon allein der Besitz, den sie verachtete.
Die Waffe hatte ihrem Vater gehört. Jerry Thompson. Doch der brauchte sie nicht mehr. Er brauchte sie nicht mehr, seit sie 12 Jahre alt war. Heute, mit 30, dachte sie anders über Waffen. Vielleicht lebte er noch, wenn er dieses kleine metallene Mordinstrument bei der Hand gehabt hätte. Das war 1994. Er war 33. Damals starb er. Nicht auf natürliche Weise. Um es genau zu sagen, er starb an den Folgen eines einzigen Schlages. Es war ein Baseball-Schläger. Er traf ihn mitten ins Gesicht und deformierte es bis zur Unkenntlichkeit. Ihr Vater hatte keine Chance. Es waren vier Männer, bewaffnete Männer. Es waren dieselben Männer, die sich auch auf ihre Mutter gestürzt hatten und ihr das Schlimmste angetan hatten, was man einer Frau antun konnte.
Damals war Maggie 12. Ein fröhliches Kind wie alle anderen Mädchen in ihrem Alter. Bis zu jenem Tag. Von da an war ihr Herz kalt. Es war mehr und mehr erfroren, wie der Winter, der langsam hereinbrach und schließlich eine Eiseskälte über das Land hauchte. In ihrem Herzen war kein Platz mehr für die schönen Dinge des Lebens. Damals hatte sie sich geschworen, die Mörder ihres Vaters zu finden.
Dann starb die Mutter, mit 38. Sie hatte es nie verwunden, was man ihrem Mann und ihr angetan hatte. Man fand sie in der Scheune, erhängt. Einen Abschiedsbrief hatte sie ihrer Tochter an ihrem Todestag hinterlassen, einen Tag nach Maggies achtzehntem Geburtstag.
Maggie wischte sich eine Träne aus dem Auge. Sie hatte lange nicht mehr geweint, zu stark war ihr seelischer Schmerz. Mit fahriger Hand öffnete sie erneut die billige Handtasche und fasste hinein. Ihre Hand suchte nach einem Fach an der Innenseite und fühlte ein Stück Papier, den letzten Gruß ihrer Mutter. Ihre zarten Finger ballten sich zur Faust und ohne es wahrzunehmen, zerknüllten sie das, was sie umklammerten, als sie die Erinnerungen überfielen.
Kapitel 2
Jerry Thompson stand am Fenster des Schlafzimmers, das er sich mit Conny Heidfeld teilte und blickte über die Wiesen und die Dächer der Stadt bis zum Horizont. Eigentlich sah er die Wiesen nicht, denn die Dunkelheit war bereits seit einigen Stunden hereingebrochen. Doch er musste sie nicht sehen, er wusste, dass sie da waren. Er sah ihr Grün mit geschlossenen Augen und er roch ihren Duft, der nach dem Mähen durch die schweren