und Staatsräson ihrem Gatten ergeben, aber anzunehmen, daß dieser behäbige, bequeme, gefühlsfaule Mann, dieser Falstaff, in dieser muntern Frau Flut erotische Spannungen erweckt oder befriedigt hätte, wäre einfach sinnlos. »Liebe hat sie gar keine für ihn«, meldet klipp und klar, in ruhiger sachlicher Feststellung Joseph II. von seinem Pariser Besuch nach Wien, und wenn sie ihrerseits ihrer Mutter schreibt, von den drei Brüdern sei ihr derjenige noch immer der liebste, den ihr Gott als Ehegemahl bescherte, so sagt dieses »noch«, dieses verräterisch in die Zeilen geschlüpfte »noch«, mehr als sie bewußt ausdrücken wollte, etwa: da ich keinen bessern Mann bekommen konnte, ist dieser anständige brave Gatte »noch« immer der annehmbarste Ersatz. In diesem einen Wort mißt sich die ganze laue Temperierung ihrer Beziehung. Nun wäre Maria Theresia schließlich – sie hört von ihrer andern Tochter aus Parma viel schlimmere Dinge – mit dieser elastischen Eheauffassung zufrieden, zeigte Marie Antoinette nur etwas mehr Verstellungskunst und seelischen Takt in ihrem Verhalten, verstünde sie bloß besser vor andern zu verbergen, daß sie ihren königlichen Gemahl männlich als Null, als quantité négligeable betrachtet! Aber Marie Antoinette – und dies verzeiht ihr Maria Theresia nicht – vergißt die Form zu wahren und damit die Ehre ihres Gatten; glücklicherweise ist es die Mutter, die rechtzeitig eines dieser leichtfertigen Worte auffängt. Einer ihrer Staatsfreunde, Graf Rosenberg, war nach Versailles zu Besuch gekommen, Marie Antoinette hat den feinen alten galanten Herrn liebgewonnen und so viel Vertrauen zu ihm, daß sie ihm nach Wien einen muntern Plauderbrief schreibt, in dem sie erzählt, wie sie heimlich ihren Mann zum Narren gehalten, als der Herzog von Choiseul bei ihr Audienz erbat. »Sie werden mir gern glauben, daß ich ihn nicht gesehen habe, ohne den König zu verständigen. Aber Sie werden nicht ahnen können, welche Geschicklichkeit ich eingesetzt habe, um nicht den Anschein zu erwecken, eine Erlaubnis zu erbitten. Ich sagte, daß ich Herrn von Choiseul gern sehen möchte und nur mit der Wahl des Tages noch nicht im reinen wäre, und das machte ich so gut, daß der arme Mann (»le pauvre homme«) selbst die bequemste Stunde ausfindig machte, wo ich ihn sehen konnte. Meiner Meinung nach habe ich bei dieser Sache nur mein Recht als Frau weidlich genutzt.« Ganz locker fließt Marie Antoinette das Wort »pauvre homme« aus der Feder, sorglos siegelt sie den Brief, denn sie glaubt doch nur eine lustige Anekdote erzählt zu haben, und die Bezeichnung »pauvre homme« bedeutet in der Sprache ihres Herzens ganz ehrlich gutmütig: der »arme gute Kerl«. Aber in Wien liest man dieses Mischwort aus Sympathie, Mitleid und Verächtlichkeit anders. Maria Theresia erkennt sofort, welche gefährliche Taktlosigkeit darin liegt, wenn die Königin von Frankreich in einem Privatbrief den König von Frankreich, den obersten Herrn der Christenheit, öffentlich einen »pauvre homme« nennt, wenn sie nicht einmal den Monarchen in ihrem Gatten achtet und ehrt. In welchem Ton muß dieser Windkopf sich erst mündlich bei den Gartenfesten und Redouten mit seinen Lamballes und Polignacs, mit den jungen Kavalieren über den Gebieter Frankreichs mokieren! Sofort wird strenge Beratung in Wien gehalten und ein derartig energischer Brief an Marie Antoinette geschrieben, daß jahrzehntelang das kaiserliche Archiv seine Veröffentlichung nicht erlaubte. »Ich kann Dir nicht verschweigen,« rüffelt die alte Kaiserin die pflichtvergessene Tochter, »daß Dein Brief an Grafen Rosenberg mich auf das äußerste bestürzt hat. Was für eine Ausdrucksform, was für ein Leichtsinn! Wo ist das so gute, so weiche, so hingebungsvolle Herz der Erzherzogin Marie Antoinette? Ich sehe dort nur Intrige, kleinlichen Haß, Spott und Hämischkeit; eine Intrige, in der eine Pompadour, eine Dubarry hätte ihre Rolle spielen können, aber nicht eine Prinzessin, und zwar eine große Prinzessin aus dem Hause Habsburg-Lothringen voll Güte und Takt. Immer hat mich Dein rascher Erfolg und alles, was Dich umschmeichelt, seit diesem Winter, in dem Du Dich in die Vergnügungen und lächerlichen Moden und Aufmachungen geworfen hast, erzittern lassen. Diese Hetzjagd von Vergnügen zu Vergnügen ohne den König, obwohl Du weißt, daß es ihn nicht freut und daß er nur aus reiner Nachgiebigkeit Dich begleitet oder sie duldet, all das ließ mich in meinen früheren Briefen meine berechtigte Unruhe äußern. Ich sehe sie durch diesen Brief nur bestätigt. Was für eine Sprache! »Le pauvre homme!« Wo ist der Respekt und die Dankbarkeit für all sein Entgegenkommen? Ich überlasse Dich darüber Deinem eigenen Nachdenken und sage nicht mehr, obwohl noch viel zu sagen wäre ... Aber wenn ich weiterhin noch derartige Ungehörigkeiten bemerke, werde ich nicht schweigen können, weil ich Dich zu sehr liebe, und ich sehe solche leider noch mehr als jemals voraus, weil ich Dich so leichtfertig, so heftig und so ohne jede Überlegung weiß. Dein Glück kann nur zu rasch enden und Dich durch Dein eigenes Verschulden ins größte Unglück stürzen, und dies alles nur infolge jener furchtbaren Vergnügungssucht, die Dir keine ernste Beschäftigung gönnt. Was für Bücher liest Du denn? Und dann wagst Du Dich in alles einzumengen, in die wichtigsten Affären und in die Wahl der Minister? ... Es scheint, daß der Abbé und Mercy Dir unangenehm geworden sind, weil sie nicht diese niedrigen Schmeichler nachahmen und weil sie Dich glücklich machen wollen und nicht bloß amüsieren und von Deiner Schwäche Nutzen ziehen. Eines Tages wirst Du das einsehen, aber zu spät. Ich hoffe, diesen Augenblick nicht erleben zu müssen, und bitte Gott, so rasch als möglich meine Tage zu beschließen, weil ich Dir nicht mehr nützlich sein kann, weil ich es nicht ertragen könnte, mein Kind zu verlieren und unglücklich zu sehen, das ich zärtlich bis zu meinem letzten Augenblick lieben werde.«
Übertreibt sie nicht, malt sie nicht zu früh den Teufel an die Wand wegen dieses einen, doch nur übermütig gemeinten Spaßworts »pauvre homme«? Aber Maria Theresia geht es in diesem Falle nicht um das zufällige Wort, sondern um ein Symptom. Diese Äußerung hellt ihr blitzartig auf, wie wenig Respekt Ludwig XVI. in der eigenen Ehe genießt und wie wenig im ganzen Hofkreise. Ihre Seele wird unruhig. Wenn in einem Staate Mißachtung des Monarchen bereits die festesten Tragbalken, die eigene Familie, unterhöhlt, wie sollen dann die andern Stützen und Pfeiler im Sturme aufrecht bleiben? Wie soll eine bedrohte Monarchie bestehen ohne Monarchen, ein Thron unter bloßen Statisten, die den Königsgedanken weder im Blute, noch im Hirn, noch im Herzen fühlen? Ein Schwächling und eine Mondäne, zu zaghaft denkend der eine, zu unbedacht die andere, wie sollen diese Leichtfertigen ihre Dynastie behaupten gegen eine drohend gesammelte Zeit? Sie ist in Wahrheit gar nicht zornig gegen ihre Tochter, die alte Kaiserin, sie ist nur besorgt um sie.
Und wirklich, wie auch diesen beiden zürnen, wie sie verurteilen? Selbst dem Konvent, ihrem Ankläger, ist es bitter schwer geworden, diesen »armen Mann« als Tyrannen und Bösewicht anzusprechen; im tiefsten Grunde war kein Gran Bösartigkeit in diesen beiden und, wie meist in mittleren Naturen, keine Härte, keine Grausamkeit, nicht einmal Ehrsucht und grobe Eitelkeit. Jedoch, leider, auch ihre Vorzüge kommen über bürgerlichen Mittel wuchs nicht hinaus: honette Gutmütigkeit, lockere Nachsicht, temperiertes Wohlwollen. In eine Zeit geraten, so mittelmäßig wie sie selber, hätten sie in Ehren bestanden und leidlich gute Figur gemacht. Aber einer dramatisch gesteigerten Epoche durch innere Mitverwandlung eine gleiche Erhobenheit des Herzens entgegenzuhalten, haben weder Marie Antoinette noch Ludwig gewußt; sie verstanden noch eher, anständig zu sterben, als stark und heroisch zu leben. Jeden erreicht immer nur das Schicksal, dessen er nicht Herr zu werden versteht – in allem Unterliegen ist ein Sinn und eine Schuld. Im Falle Marie Antoinettes und Ludwigs XVI. hat Goethe sie richterlich weise gemessen:
Warum denn wie mit einem Besen
Wird so ein König hinausgekehrt?
Wärens Könige gewesen,
Sie ständen alle noch unversehrt.
Königin des Rokoko
Im Augenblick, da Marie Antoinette, die Tochter seiner alten Gegnerin Maria Theresia, den französischen Thron besteigt, wird Friedrich der Große, der Erbfeind Österreichs, unruhig. Brief auf Brief sendet er an den preußischen Gesandten, er möge sorgfältig ihren politischen Plänen nachspüren. In der Tat, die Gefahr ist für ihn groß. Marie Antoinette brauchte nur zu wollen, sich ein ganz klein wenig zu bemühen, und alle Fäden der französischen Diplomatie liefen einzig durch ihre Hand, Europa wäre von drei Frauen beherrscht, von Maria Theresia, Marie Antoinette und Katharina von Rußland. Aber zum Glück für Preußen, zum Verhängnis für sich selbst, fühlt sich Marie Antoinette nicht im mindesten von der großartigen, der welthistorischen Aufgabe angezogen, sie denkt nicht daran, die Zeit zu verstehen, sondern einzig, sich die Zeit zu vertreiben, lässig greift sie nach der Krone wie nach einem Spielzeug.