Marie zieht in das Haus ihres neuen Schwiegervaters Paul ein. Da ist Platz genug, denn drei seiner weiteren Söhne sind noch nicht wieder heim gekehrt.
Monate später sollen Marie und Fritz Juras Eltern werden. Vorher wird die evangelisch – katholische Mischehe begründet, damit das mit Jura seine Richtigkeit hat. Schwiegervater Paul ist es egal, ob geheiratet wird. Aber die Leute ...
Jura erblickt im eiskalten Januar mit der Beihilfe einer resoluten Hebamme im ungeheizten Schlafzimmer des verfallenen Hauses des Vaters von Fritz das Licht der Welt. Vater Fritz und Großvater Paul rennen auf Kommando der Hebamme mit Schüsseln kalten und warmen Wassers aufgeregt hin und her. Das neue Leben ist da, schreit die Anwesenden an und wird, wenn auch unbeholfen, so doch sorgsam geschützt und behütet.
Die Friedenslinde – Symbol der Harmonie
Jura wächst am Dorfrand in Haus, Hof und fruchtbarem Garten, umsorgt von seiner Mutter Marie und Opa Paul auf. Inmitten des Gartens steht eine stattliche Sommerlinde. Es ist die Friedenslinde.
In den letzten Kriegswochen nutzt Paul die Wirren der Ereignisse und das Chaos, um sich von der Truppe zu entfernen. Mit viel Glück gelingt es ihm, sich durchzuschlagen und unerkannt in sein Haus zurück zu kehren. Da hat er sich nachts in den Garten geschlichen und eine Linde – die
„Friedenslinde“ gepflanzt. Sorgsam hat er sie gehegt und gepflegt. Sie und der Duft ihrer Blüten begleiten Jura bis ins Jugendalter. Er träumt davon, dass später ebenfalls Linden in seinem Garten stehen werden. Das ist einer seiner frühen Träume. Großvater Paul betrachtet Linden als eine Quelle der Harmonie, die das Leben braucht.
Ausgrenzung und Erziehung in einer deutsch dominierten Umgebung
Jura geniest seine Kindheit in der individuellen kleinen Welt von Haus, Hof und Garten. Er muss noch nicht einmal in den Kindergarten gehen. Das lässt ihn die Züge eines Einzelgängers annehmen. Vater Fritz sorgt für den bescheidenen Unterhalt der kleinen Familie. Er vertritt die Auffassung, Jura soll möglichst keinen Kontakt zu anderen Kindern und zum Dorfleben haben. Er soll geschützt werden. Aber eben das verstärkt die Individualisierung der sich entwickelnden Persönlichkeit des Heranwachsenden. Harmonie und Glück enden an der Grundstücksgrenze. Bereits im Dorf herrscht ein anderer Wind.
Die Heiducoffs sind seit Generationen ausgegrenzt worden. Die Angehörigen der Großfamilie kamen Mitte des 19. Jahrhunderts als Vertriebene aus Bulgarien über Russland nach Sachsen. In Dresden, später in Leipzig und dann auf dem Dorf waren sie isoliert. Sie passten weder in das kaiserlich, patriotisch, nationale, noch in das nationalsozialistische Umfeld der angestammten Deutschen. Durch ihren Namen, durch ihr Äußeres und durch ihr Verhalten waren und sind genügend Ausgrenzungsmerkmale gegeben. Jura selbst nimmt diese belastete Verhältnis zwischen den Heiducoffs und dem deutsch geprägten Umfeld erst spät wahr. Die Ausgrenzung erfolgt nicht aggressiv, sondern eher unterschwellig. Sie erzeugt eine Antipathie gegen die Öffentlichkeit und gegen Kollektive.
Als Juras Schuleintritt naht, sträubt und windet er sich. Es dauert Wochen, bis Jura Interesse an der alten Dorfschule empfindet. Schulgebäude, Schulhof und Pfarrhaus bilden eine Einheit unmittelbar neben der Dorfkirche. An der Christenlehre nimmt er auf Anraten seines Großvaters Paul nicht teil. Der hatte zwei Weltkriege und die Bombardierung Dresdens erleben müssen und vertritt die Ansicht, dass, wenn es einen lieben Gott geben würde, dieser diese Verbrechen verhindert hätte. So begründet er seinen Atheismus.
Jura findet den Unterricht langweilig, aber er mag die naturbezogenen Wanderungen mit einigen der Grundschullehrer.
Das Zerbrechen der Familie überschattet die glückliche Kindheit
Zu Hause herrschen seit Wochen schlechte Stimmung und Streit. Vater Fritz trennt sich von Marie und der Familie. Die „Versorgungsehe“ nach Kriegsende mit der zehn Jahre älteren Marie erwies sich nun als überholt. Fritz hatte eine jüngere Frau gefunden. Mutter Marie verbietet Jura den Kontakt zu seinem Vater. Diese Umstände reißen ein tiefes Loch in Juras Leben. Er hat doch seinen Vater auch sehr lieb. Sehnsucht nach künftiger Harmonie kommen auf. Er träumt davon, dass sich Vater und Mutter wieder versöhnen könnten. Doch die Realität ist eine andere.
Jura mutiert zum Herrscher über Haus, Hof und Garten. Er genießt alle Freizügigkeiten, kann seine Ideen verwirklichen und beginnt mit den Jahren Schuppen und Speicher umzubauen. Er findet Reliquien aus der Nazizeit. Da sind Bücher und Akten , die den Nationalsozialismus verherrlichen. Sie stammen von den vier Söhnen Pauls. Einer ist in Russland gefallen, der andere bislang vermisst und der dritte hat sich in den Westen abgesetzt. Er war Offizier des Heeres und wollte den Russen nicht begegnen. Der Grund dafür wird immer ein Geheimnis bleiben. Der jüngste Sohn ist Fritz – Juras Vater.
Jura erfährt, dass Paul, ein anerkannter Arbeiterveteran, lange Jahre keinen Kontakt zu seinen Söhnen, allesamt stramme Nazis, haben durfte. Seine Frau habe dies den Kindern strengstens verboten.
Doch Jura lässt kein Mitleid mit Opa aufkommen, sondern Stolz auf ihn. Jura lernt von Großvaters Vorsätzen: „Nur der Kampf hat Sinn im Leben“ oder „Tue recht und scheue niemand, meide das Böse, das ist Verstand“. Diese verewigt Opa auch in seinen Eintragungen in Juras Poesiealbum.
Bei alledem: Jura bleibt ein individueller Träumer. Er träumt von Harmonie. Dies ist auch eine Art Flucht vor den Enttäuschungen der zerbrochenen Familie.
Jura entwickelt – nicht ohne Zutun seines Opas - Sympathien für die Arbeiterbewegung und besonders für August Bebel. Gleichzeitig empfindet Jura starken Hass gegen alles, was an den Faschismus erinnert.
Opa setzt sich im Gemeinderat mit dem Wunsch durch, die Borngasse, in der sich sein Haus befindet, in August-Bebel-Straße umzubenennen.
Paul ist stolz darauf seit 1901 der Gewerkschaft und seit 1904 der Sozialdemokratischen Partei anzugehören. Nach einem zeitweiligen Wechsel in die USPD kehrte er zurück zur SPD. Diesmal seit der Vereinigung von SPD und KPD zur SED ist eine Rückkehr ausgeschlossen. Paul mochte die Kommunisten nicht. Einige von ihnen seien in SA - und SS - Uniformen aufgetaucht und nach dem Krieg wieder in der KPD angekommen. Paul weiß, dass es gelogen ist, wenn sie behaupten, sie hätten dies im Auftrag der Partei getan.
Auf kommunaler Ebene werden viele der vormaligen Widerstandskämpfer in führenden Positionen eingesetzt. Leider mangelt es ihnen zu oft an der erforderlichen Qualifikation. Das gilt für Betriebsleiter ebenso wie für Polizisten oder Lehrer. Lehrer werden wegen der früheren NSDAP - Mitgliedschaft aus dem Schuldienst entfernt und durch Neulehrer ersetzt. Die Qualität des Unterrichtes leidet stark darunter.
Doch eines muss man anerkennen: ihre Überzeugungen, ihr Antifaschismus und ihre Friedensliebe waren echt. Aber leider reicht das nicht immer.
Tiefen Eindruck haben die Vorbereitungen der Maifeiern auf den Jungen hinterlassen. Da werden oben neben dem Speicherfenster die Flaggen gehisst: die rote Arbeiterfahne und die der DDR. Haus und Hof werden mit Birkenzweigen und Fähnchen geschmückt. Am Vorabend der Maifeier findet traditionell ein Fackelumzug statt, der am großen Lagerfeuer auf dem Sportplatz endet. Am 1. Mai selbst findet in fast jedem Dorf eine Maidemonstration statt. Später, in den 1970er Jahren werden die Demos auf der Basis der Betriebe durchgeführt. Alles erfolgt dann konzentrierter. Jura nimmt gern daran teil. Ihm stehen seine Pionierkleidung mit der roten Nelke und die weißen Kniestrümpfe. Ihn begeistern die Fanfarenzüge und Trommlergruppen aus den umliegenden Betrieben.
Seit Fritz weg ist, muss Mutter Marie von früh bis abends hart arbeiten um den Lebensunterhalt zu bestreiten. In den Ferien fährt Jura mittags mit dem Fahrrad hinüber zur Fabrik, um mit Mutter in der Kantine zu essen. Anschließend darf er sich in den Werkhallen des Reparaturwerkes umsehen.
Die Arbeit ist hart und der Lohn von Mutter reicht nur für ein bescheidenes Leben. So gibt es statt Limo oder Cola eben nur kalten Muckefuck zu trinken. Und oft muss sich Jura