Es gab ein Haufen Leute im Osten, die lebten intelligent von den (klaffenden) Marktlücken. Einer hat Alf-T-Shirts gedruckt, hat diese weißen Lappen mit 300% Gewinn auf dem Broadway verscheuert. Ist fast Millionär geworden. Andere machten Schmuck. Ich handelte mit alten Möbeln. Wir sind über die Dachböden der Abrisshäuser, nahmen alles mit, und wenn es die Messingbeschläge waren. Wir sind ins Rote Luch gefahren, auf eine alte Deponie, die 1909 geschlossen worden ist. Da machte man einen Stichgraben, einen Meter tief, und es kam der Müll von 1909 hoch. Weinflaschen, Nippes, eine komplette Porzellan-Kuh, mit Schwanz, die ging für glatte tausend Mark über den Flohmarkttisch. Meine damalige Ehefrau hat Batik-Kleider genäht, das waren Laken mit einem Gummi in der Mitte und zwei Löchern für die Ärmel, das ganze batik-gefärbt. So etwas kostete 125 Mark. Wir machten Dias von Potsdam, an die Wand geworfen, mit Zeichenfeder nachgemalt, koloriert, Passepartout, Seriennummer, und damit die Touristen beschissen: hundert Mark. Das zogen wir im Park Sanssouci ab. Wir lebten goldig, hatten Geld ohne Ende. Und wir hatten Spaß dabei. Wenn der Flohmarkt um zehn losging, waren um zwölf die ersten tausend Mark drin. Viele Heider-Leute machten so was, die wenigsten wollten an der Stanze arbeiten.
Mit Roger hatte ich gewettet, dass ich von der Mokkastube bis zum Tresen und zurück laufe mit einer weißen Pappe in Höhe des Hosenstalls, darauf Senf, eine Scheibe Weißbrot und eine Bockwurst. Bloß, dass die Bockwurst keine Bockwurst war, sondern mein Schwanz. Vom hintersten Platz zum Tresen und zurück, ohne, dass es jemand merkt. Hat funktioniert in diesem Tohuwabohu. Zu vorgerückter Stunde.
Ein Kreis von 150 bis 200 Leuten gehörte einfach zur Heiderbelegschaft. Und die sahen sich da jeden Tag. Es versprach immer, interessant zu sein, es gab wenig Chancen, enttäuscht zu werden, bei so einer Dichte von Leuten ist immer jemand dabei, den man gern sieht. Man konnte zu jeder Tageszeit einmarschieren. Außerdem waren da: Frauen. Eine Endlosgeschichte, stets war irgendwas am Köcheln. Das hatte nie so eine übergroße Schwere. Nicht, dass das nun ein großer Puff gewesen wäre, aber diese Möglichkeit gehörte zur Heider-Atmosphäre dazu. Klar gab es herzzerreißende Beziehungsdramen. Aber das war nicht der Grundton. Der Grundton war: Mal gucken. Wir waren im passenden Alter. Zwischen zwanzig und dreißig. War eine schöne Zeit.
Wir waren vollkommen harmlos
Renate Wullstein
Ich bin in Potsdam aufgewachsen, weil mein Vater hier als Diplomat ausgebildet wurde in Babelsberg, Akademie für Staat und Recht. Ich wurde in ein Wochenheim gesteckt, wie die meisten Diplomatenkinder. Später wohnten wir in Berlin. Anfang der Achtziger kaufte ich mir in Paretz einen Bauernhof, und als wir den wieder verkauft haben, 1986, überlegte ich mir: gehe ich nach Berlin oder nach Potsdam? Da fiel mir ein, dass ich in Potsdam aufgewachsen bin, hatte ich völlig vergessen wegen der vielen Umzüge in meinem Leben. Bin ich also nach Potsdam.
Einige sind tot. Jens Bitter, ein Heider-Stammgast, der mir später den Bauernhof abkaufte, kam in Latzhosen, stellte sich vor mir auf und sagte: Willst du mal mein Ding sehen? Vor versammelter Mannschaft. Du Angeber, denke ich und sage: Zeig mal. Fängt der an, die Hose aufzuknöpfen und mir wurde klar, er wird es mir zeigen. Da kriegte ich Panik und hatte Mühe, ihn abzuhalten.
Die Stasi-Geschichte... Alle sahen in ihre Akten: Wer war es? Da gab es wieder ein Auseinanderrücken. Einige sind noch nicht enttarnt, von denen heißt es jetzt: sag keine Namen, nachher stimmt es nicht. Meine Potsdam-Akte habe ich nicht bekommen.
Am 7. Oktober 89 war ich dabei, nicht drin, aber ich habs von draußen beobachtet, weil es schon Gerüchte gab, sie wollen das Heider räumen. Ich wollte mit Astrid in die Pilze, sie sagte: Da ist eine Gegendemo geplant, da müssen wir hin. Wir sind also in die Brandenburger – damals Klement-Gottwald oder einfach Broadway, da war schon Polizei und eine Masse Leute, die vom Luisenplatz in Richtung Kirche spazierten. Mein Sohn war sieben, den hatte ich auf den Schultern, sie hatte ihre Tochter auf den Schultern, und wir sind direkt an die Polizeikette ran, die Polizisten sahen zwar ziemlich verunsichert aus, aber mir schlackerten die Knie. So was hatte ich noch nie erlebt. Diese Schieber, Polizeiautos mit Schiebern vorn dran, was heute normaler Alltag ist. – Jedenfalls zitterte ich, und Astrid sagte: Laß uns abhauen, ich hab keine Lust auf Knast. Wir sind also in den Wald, fanden aber keine Pilze, sondern statt dessen Eicheln gesammelt für die Kinder, die in der Schule Eicheln abgeben sollten für die Tiere im Winter. Ich brachte meinen Sohn nach Hause, zu einer Bekannten, und bin noch mal los, zum Heider. Und da war es schon soweit. Ich stellte mich in einen Hauseingang, sah, wie die da runtergesprungen sind von den Autos und das Heider räumten. Zuerst die Bunten, also Punks, Hausbesetzer, die mit den grellbunten Haaren. Ich registrierte, wer drin bleibt. Aber sie nahmen fast alle mit. Die Polizei kam zu uns und wollte uns mitnehmen, ich sagte: Ich komm nicht mit, hab ein Kind zuhause. Die ließen mich in Ruhe, nahmen die beiden