„Ach was, redet nicht so!“ fuhr Farril dazwischen. „Seht euch nur Gontar an – natürlich hat er sich am Anfang auch ordentlich erschreckt, aber nun geht es ihm wieder gut! Oder, Gontar?“
Bevor Gontar antworten konnte, sprach der menschliche Wächter: „Sicherlich habt ihr Recht, Herr Farril, lasst uns aber weder unsere Manieren, noch unsere Gastgeberpflichten vergessen!“
„Oh! - Ja! - Natürlich!“ stimmte dieser zu und da er die Namen aller Anwesenden Personen kannte, übernahm er die Vorstellung.
So erfuhren die Freunde das der Name des Menschen Halmir und der Name des Orks Rotgar war.
Bevor Farril aber die Begleiter Naraels vorstellen konnte, unterbrach ihn Halmir: „Verzeiht mir, hohe Frau, aber mein Amt als Meister der Ostwarte verlangt es von mir: Ich muss euch fragen woher ihr kommt und wohin ihr wollt und wie ihr den Weg ins Eidestal gefunden habt. Denn leider ist wahr, das nur unruhige Zeiten die Menschen in den Landen draußen weit genug von ihren Wegen abbringen, so das sie die unsrigen entdecken!“
„Vielleicht könnte ich an dieser Stelle behilflich sein. . .“ bot Targon sich an, aber erst als Narael zustimmend nickte, lösten Halmir und Rotgar den Blick von ihr.
Targon bemerkte dies sehr wohl und machte sich seinen Reim darauf, wusste aber in seinem Herzen, das sie hier in der Ostwarte kein Geheimnis um sich machen mussten. Darum sprach er:
„Von Darrelbrück am Fluss Darrel kommen wir. Das ist südlich des Waymeet, die Treppen hinunter, bis zu einem großen Fluss der von Osten nach Westen fließt. Wir waren auf dem Weg zu den Steppen als uns eine ungewöhnlich große Malm den Weg verlegte, bis nur noch die Straße blieb, welche zu eurer Tür führte. Wir waren unterwegs zur Stadt der Serekan, denn die Serekan kamen in unsere Stadt und stahlen das goldene Herz aus Rannas Schrein.“
„Unsere Hoffnung war es, den Dieben den Weg abzuschneiden, bevor sie ihre Stadt erreichen.“ wollte er noch sagen, doch kaum waren die Worte „stahlen das goldene Herz aus Rannas Schrein“ aus seinem Munde, gab es ein regelrechtes Wehklagen um ihn herum. Nicht nur Halmir und Rotgar entfuhr ein entsetztes Nein, sondern auch einige Bogenschützen oben auf den Grabenmauern konnten nicht an sich halten.
Halmir hatte sichtlich Mühe die Tränen zurück zu halten, gab sich aber einen Ruck und sagte mühsam beherrscht: „Es ist also wahr, hohe Frau! Ihr bringt traurige Kunde ins Eidestal!“
„Ja! Und eine große Herausforderung für unsere Art!“ fügte Rotgar hinzu. Mehr noch als Halmir schien er mit seiner Beherrschung Mühe zu haben. Steif und starr stand er neben Halmir und plötzlich war er wieder auf einem Knie und quetschte mit gesenktem Kopf hervor: „Aber wir werden den Eid nicht brechen! Sagt mir vielmehr hohe Frau: Wie kann ich euch helfen den Dieb zu fangen?“
„Wächter!“ schnaubte Farril und es klang fast wie ein Befehl. „Ein wenig mehr Beherrschung, wenn ich bitten darf! Seht ihr denn nicht, das ihr unsere Gäste überrumpelt? Auch wenn der Besuch einer Elbin ein ganz unerhörtes Ereignis ist, so sollten wir nicht unsere Manieren vergessen! Oder wollt ihr den Begleitern einer hohen Frau nicht die Ehre erweisen?“
„Vergebt uns, hohe Frau!“ klang es zweistimmig.
Rotgar stand wieder auf und nach einem kurzen Augenkontakt mit Halmir sprach er weiter: „Hohe Herrin von den Sternen, willst du uns die Namen deiner Begleiter nennen?“
Farril schnaufte noch einmal und sie alle wussten, das er die Vergabe von Beinamen missbilligte. Nachdem alle Namen genannt waren, sagte er dann auch: „Ihr Wächter wisst selbst: dieser Beiname rührt an Dinge die nicht hier, zwischen Tür und Angel, besprochen werden sollten. Ein angemessener Ort wäre der hohe Saal in Elis Heim und eine angemessene Zeit wäre nach dem Abendmahl!“
„Aye!“ sagten nach einem Moment mehrere Stimmen zugleich.
„Und die angemessenen Gesprächspartner wären die Ältesten und der Rat der Weisen!“ fuhr Farril fort.
Hatte er vor der Begegnung mit der Wache nur eine verschwommene Vorstellung davon gehabt, was es denn gleich nochmal mit der Elbin und der Prophezeiung auf sich hatte, war es ihm mittlerweile nur zu klar geworden: Es ging um die Lehren des südlichen Wächters, im besonderen Jene, welche die Orks mit Ranna in Zusammenhang brachten. Dies gehörte zu einer orkschen Variante der Ranna-Verehrung, in welcher ihre eigene mythologische Gründerfigur zu Rannas Prophet wird. Offenbar hatte diese Variante mehr Anhänger als er bisher glaubte . . .
Was die Reisenden nicht ahnen konnten, war das hohe Ansehen und die glühende Verehrung die Ranna bei den Orks genoss. Zugleich wussten die Orks sich in der Schuld – ihre Vorfahren waren als Plünderer in die Reiche der kleinen Mütter gekommen. Doch hier im Eidesland wachten sie über die Häuser der Göttin und warteten auf den Tag, da sie ihre Schuld begleichen könnten. Und dieser Tag würde kommen, so war es prophezeit.
Von einer Elbin, die Kunde von Rannas Not brachte, war die Rede, wenn er sich richtig erinnerte. Darum hatte Rotgar auch von einer Herausforderung gesprochen.
Farril selbst war nicht sonderlich gläubig und war ein Gelehrter durch und durch. Mythen, Prophezeiungen und mündlicher Überlieferung fehlte es in seinen Augen an Seriosität.
„Was hat es auf sich mit diesem Beinamen, Farril?“ fragte ihn in diesem Moment die hohe Frau Narael persönlich.
„Das musste wohl so kommen!“ dachte er bei sich und sackte ein wenig zusammen: „Rotgar, sage die Worte der Prophezeiung, du weißt sie sicher auswendig“.
„Starfarers daughter at the Eastward appears when Rannas darkest hour nears.“ antwortete Rotgar und fügte noch die Übersetzung hinzu:
„Sternfahrers Tochter in der Ostwarte erscheint wenn Rannas größte Not nicht weit.“
„Das ist wirklich überraschend!“ platzte Ardun heraus.
„Dann versteht Ihr sicherlich warum ich euch ohne sonderliches Aufsehen an einen ruhigeren, entspannteren Ort bringen möchte.“ übernahm Farril wieder das Wort. Er breitete die Arme aus und schüttelte den Kopf: „Diese Gemäuer dienen Wächtern und Kriegern und verfügen über keine angemessenen Gemächer für eine hohe Frau! Vermutlich gibt die Küche an diesem kargen Ort nicht einmal genug für einen kleinen Imbiss her, bevor wir die Reise zu einem angemessenerem Ort beginnen.“
„Ihr unterschätzt uns, Herr Farril!“ entgegnete Halmir. Nach einer Verbeugung vor Narael drehte er sich um und öffnete die Tür: „Wenn Ihr mir folgen würdet?“ sagte er und ging voraus.
Im Säulengang kamen auf sein Zeichen einige Männer, die sich der Pferde annahmen, dann ging es zu einer Tür hinter welcher eine breite Treppe ein halbes Dutzend Stockwerke weit in die Tiefe führte. Auf jedem Absatz führten Türen in alle Himmelsrichtungen und vor jeder stand ein Wächter.
„Das wurde aber auch Zeit!“ brummte Farril mit einem Zwinkern, als er sich neben Kraan einreihte. „Eure letzte Mahlzeit ist doch sicherlich auch schon eine Weile her, oder?“
Als Kraan nur mit einem Nicken antwortete fuhr er fort: „Ach ja, ein wenig mehr gutes Essen würde den Wächtern mit all ihrer Disziplin und Pflichterfüllung und ihrem Hang zur Theatralik gut tun. – So ein gut gefüllter Magen gibt einem Gelassenheit und damit denkt es sich doch besser als mit einem überhitzten Kopf, oder?“
Farril gab sich wie ein einfacher, unbekümmerter Mensch mit einer Vorliebe für gutes Essen, doch Kraan konnte ihm diese Rolle nicht mehr glauben. Zwar nannten die Meister der Ostwarte ihn einfach nur Herr Farril und nicht etwa Meister, Abt, oder Patriarch, aber offenbar hatte sein Wort einiges Gewicht.
Ein wenig steif antwortet er: „Nun, Pflichterfüllung und Disziplin stehen einem jeden Wächter gut zu Gesicht!“
Farril winkte ab: „Möglicherweise müsst ihr in euren