Wolfgang Seibert
Die Earanna Chroniken
Band6: Eidestal1: Elis Heim
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Inhaltsverzeichnis
In der Ostwarte
Targon dirigierte seine Leuchtkugel mit einem schnellen Wink noch höher hinauf und ließ sie mit einem grellen Wort aufleuchten. Woraufhin der Sprecher, welcher hoch oben auf einer Leiter stand, schnell die Hände vors Gesicht schlug. Doch der kurze Moment in welchem sein Gesicht zu erkennen war, hatte ausgereicht um sie alle in Kampfbereitschaft zu versetzen.
„Ein Ork!“ dachte Narael mit rasendem Herzen und einem Pfeil auf der Sehne ihres Bogens, bevor sie selbst es wusste. Sie war noch nie in ihrem Leben einem Ork begegnet, aber die Jahrtausende währende Feindschaft war ererbt und überliefert. In ihrem Geist flammte Wut auf. Wie viel Leid ihren Vorfahren von Kreaturen wie diesem da zugefügt wurde! Nur mühsam beherrschte sie den Impuls, diesen Ork dort oben auf der Stelle abzuschießen wie ein tollwütiges Tier.
„Ein Elb!“ dachte Gontar. „Sie wird mich erschießen!“ und fiel beinahe von der Leiter.
Auch ihn traf es wie ein Blitzschlag. Sein Herz raste und sein nächster Gedanke galt einer Waffe, obwohl er weder etwas vom Waffenhandwerk verstand, noch überhaupt eine Waffe besaß. Sein übernächster Gedanke galt der Flucht – doch wohin sollte er sich wenden, oben auf einer Leiter? Und am Fuße der Leiter eine Elbin mit flammenden Augen und wallendem Haar, welches beinahe schon ein Eigenleben führte!
Er kauerte sich zusammen und versuchte so viel wie möglich von sich selbst hinter der Säule zu verbergen, bevor er mit zaghafter Stimme rief: „Meister Farril? Helft mir, Meister Farril!“
Glücklicherweise war der Gerufene schon zur Stelle und trat soeben hinter einer anderen der mit Schriftzeichen bedeckten Säulen hervor:
„Friede, oh hohe Frau Elbin!“ sprach er und hob beide Hände in die Höhe. „Es wird nicht nötig sein den guten Gontar zu erschießen, auch wenn er ein Schüler ist, der all seine Lehrer Verzweifeln lässt!“
Ardun hätte am Liebsten laut losgelacht, wegen der verblüfften Gesichter seiner Freunde, aber zuerst musste er Narael beruhigen, denn sie hatte immer noch den Bogen im Anschlag und die Sehne bis hinters Ohr zurückgezogen.
„Stay thy hand, my Lady.“ bat er sie darum leise und beinahe zärtlich, doch Narael antwortete ihm ohne ihren Blick von dem Ork auf der Leiter zu nehmen:
„He is an Ork! I do not trust him and his kind!“
„Er ist kaum älter als Jengar, my Lady und der Mensch dort bürgt für ihn, so wie Kraan und ich zuvor für Bron gebürgt haben, weißt du noch?“ wenn es irgend möglich war, hatte er diesmal noch liebevoller zu ihr gesprochen, denn er wusste sehr wohl welche Gefühle nun in ihr tobten. Er konnte nur hoffen, dass die Erinnerungen an die Gepflogenheiten des grünen Hauses genügen würden um ihr heißes Herz zu kühlen.
Sekundenlang war alles still, nicht einmal ein Pferdeschweif bewegte sich.
Dann riss Narael den Bogen steil in die Höhe und mit einem Schrei schoss sie den Pfeil gegen die Hallendecke, wo er zersplitterte.
Während sie den Bogen wieder senkte, schaute sie mit strengem Gesicht zu dem Menschen herüber, der immer noch mit erhobenen Armen vor ihnen stand. „Sage mir, das - oder besser, sage mir warum, ich meinen Großmut nicht bereuen werde!“ forderte sie von ihm.
Bevor er antwortete verbeugte er sich mit immer noch erhobenen Händen so tief das er beinahe das Gleichgewicht verlor: „Im Namen des Königs heiße ich euch und eure Begleiter im Eidesland willkommen, hohe Frau aus dem Volke der Elben!“
Während Farril so sprach, murmelte Targon plötzlich: „König? - Aber das würde ja heißen . . .“
Doch bevor er aussprechen konnte was das wohl heißen würde erklärte Farril: „Wisset, das alle im Tal, ob Mensch oder Ork, den Frieden wahren, denn so will es der Eid. Aber für Gontar hier gilt dies noch mehr, denn als Klosterschüler der kleinen Mütter hat er gelobt, niemals Waffen zu tragen.“
Gontar schien verunsichert, beinahe so, als wäre Farrils Erklärung nicht ganz richtig. Darum fragte Narael: „Ist dem so? Du, ein Ork, dient den kleinen Müttern?“
„Nicht allen kleinen Müttern, hohe Frau!“ antwortete Gontar mit einem entschuldigenden Blick in Richtung Farril. “Ich diene Ranna!“
„Ranna! Natürlich dienst Du Ranna!“ antwortete Farril wie einer der sich gerade noch rechtzeitig erinnerte.
„Ranna!?“entfuhr es Birka, „Das ist ja unglaublich, wo wir doch . . .“
Narael unterbrach sie schnell, denn noch wollte sie den Grund ihrer Reise nicht offenbaren: „Auch wir kennen Ranna und nehmen es als gutes Zeichen ihren Namen hier zu hören!“
„Mehr noch – wir sind im Nordreich!“ jubelte Targon.
„Wo sind wir?“ fragte Kraan skeptisch.
„Das hier muss jener legendäre und geheimnisumwitterte Rückzugsort des Nordreichs sein, da bin ich mir sicher. Alles deutet daraufhin: Stanwark-Treppen, Stanwark-Säulen, Nordreich-Runen – und hießest du uns nicht im Namen des Königs willkommen?“ wandte er sich plötzlich an Farril.
Der so Angesprochene nickte nur. Targon fand, dass er nicht mehr nur überrascht, sondern beinahe schon erschreckt aussah.
Darum fragte er: „Meister Farril geht es euch gut? Ich hoffe Narael hat euch nicht allzu sehr erschreckt, mit ihrem Bogen!“
„Einfach nur Farril!“ korrigierte er. „Nur Schüler wie Gontar nennen mich Meister!“ erklärte er, ohne auf Targons Frage einzugehen.
Doch Farrils Gesichtsausdruck hatte nichts mit einer verspäteten Schreckreaktion zu tun. Vielmehr war ihm eine Erinnerung aus seiner eigenen Schülerzeit eingefallen, in welcher von Ranna und einer alten Prophezeiung die Rede war. Leider gelang es ihm nicht sich die Einzelheiten ins Gedächtnis zu rufen; er wusste nur, das eine Elbin in Rannas Geschichte eine Rolle spielte und das nicht wenige Orks zu Rannas Verehrern gehörten.
Ihm wurde bewusst, das sein Gegenüber nun schon eine Weile lang auf eine Antwort wartete und ihn immer besorgter musterte.
„Nein, nein, es geht mir gut!“ beruhigte er ihn darum. „Ich denke wir haben uns einiges zu erzählen und zwar mehr als man im Stehen erledigen will. Darum kommt mit uns, zuerst zur Ostwarte und dann zu Elis Haus, wenn ihr denn unsere Gäste sein wollt. Ein wärmendes Feuer, Speis und Trank und ein Lager für die Nacht wird sich dort auch finden lassen!“
„Dagegen ist nichts einzuwenden!“ antwortete Ardun und schwang sich wieder auf sein Pferd.
„Wenn es uns nur nicht noch weiter von unserem Weg abbringt!“ murmelte