Der Erleuchtete trachtet nicht mehr nach Glück und Zufriedenheit im ursprünglichen Sinne. An das anfängliche Ziel verschwendet er keinen Gedanken mehr. Wenn er – unter anderem – auch von diesem anfänglichen Wunsch losgelassen hat, erst dann kann er zu den Erleuchteten gehören und kann glücklich und zufrieden sein.
Verstehen müssen Sie das jetzt am Anfang des Weges noch nicht.
Die Erkenntnis kommt später – in der letzten Phase auf dem Weg zur Erleuchtung. Rein hypothetisch: Würde man in die Lage versetzt, durch eine einfache Anweisung, nach dem Lesen einer kurzen Beschreibung, sofort das Satori zu erfahren, bestünde mit Sicherheit die Gefahr, dass man mit dem schlagartigen Erwachen, mit den derart unvorbereitet erlangten Erkenntnissen und Fähigkeiten, umgehend suizidgefährdet wäre. Loslassen bedeutet, auch vom Leben loslassen zu können; der Gedanke kommt.
Dieser Hinweis soll Sie davon abhalten, mal fix eines der späteren Kapitel vorzuziehen, um den Weg zur Erleuchtung abzukürzen. Das funktioniert nicht. Sie müssen erst die großen Zusammenhänge aller Faktoren erkennen, einen Prozess durchlaufen, und folglich das Buch von Anfang bis Ende lesen.
Ein Satori-Erlebnis und den Zustand der Erleuchtung kann man nicht ohne Weiteres in Worte fassen. Wenn Sie von Ihrem Satori-Erlebnis und Ihrem neu gewonnenen Wissen berichten, werden Ihre Freunde und Kollegen Sie vermutlich etwas verwundert betrachten. Vielleicht wird man Sie fragen, welche Art von Drogen Sie gerade genommen haben. Vielleicht vermutet man auch nur, dass Sie zu lange in der Sonne saßen.
Das einmal erfahrene Satori manifestiert sich aber nicht in einem dauerhaft anhaltenden Zustand. Es ist vielmehr eine Option, auf die Sie jederzeit zugreifen können.
Nach dem einmal erlebten Satori empfinde ich persönlich den Einfluss des Erleuchtet-Seins wie eine sinusartige Schwingung, die mein Empfinden für diesen Zustand regelmäßig abflachen lässt, und die ich nach eigenem Wunsch selbst auf einen Zustand maximaler Amplitude bewegen kann. Ich muss mich darauf nur kurz konzentrieren und habe dann die Auswirkungen des Satoris wieder präsent. Meditation z. B. ist eine Methode, in diesen Zustand zurückzuschwingen. Insbesondere wenn ich beginne, das bunte Prospektmaterial – die Beilagen in meiner Tageszeitung – intensiv zu studieren, damit liebäugle, mir vielleicht doch einen schnelleren Computer zu kaufen, obwohl ich keinen schnelleren zum Schreiben meiner Texte brauche, oder an dem so preisgünstig wirkenden Backformen-Sortiment Gefallen finde, mit dem ich jedoch nicht mehr oder besser als mit meinen alten Formen backen kann. Oder ich beginne, mich über dies oder das zu ärgern; oder lästere mit einem Freund über einen dritten; oder überlege, bei einem geschäftlichen Transfer mir durch meine Erfahrung, mein besseres Wissen, oder gar mit einer List, einen zusätzlichen Vorteil zu verschaffen, und sei er noch so klein. Dann ist es Zeit, mich in einer Meditationssitzung der Erleuchtung zu erinnern und mir ein paar Gedanken über Tugenden und Moral zu machen – einem Themenbereich, dem ich an späterer Stelle noch Raum geben werde. Auch Sie können sich, an diesem Punkt einmal angelangt, dann jederzeit eines Besseren besinnen.
Das Satori-Erlebnis birgt aber auch eine Gefahr. Der hier beschriebene Erleuchtungszustand beinhaltet die Fähigkeit, ohne jegliche Anhaftung zu sein, also von allem loslassen zu können. Durch den Verlust der Ängste einerseits, durch die gewonnenen Erkenntnisse über die ultimative Wahrheit, den Sinn des Lebens anderseits, wären Sie – derart erleuchtet – in der Lage, vom Rand einer Klippe zu springen. Sie wären dann in der Lage, innerhalb von Sekunden tatsächlich von allem loszulassen – sogar von Ihrem Leben. Das wird Ihnen bei einer Satori-Erfahrung und im Anschluss daran auch später regelmäßig bewusst sein, insbesondere wenn Sie den wahren Sinn des Lebens erkannt haben und sich Ihrer eigenen Position in diesem Gefüge bewusst geworden sind. Da das eine echte Gefahr für Ihr Leben sein kann, müssen Sie schon vorab lernen, nach einem Satori-Erlebnis mit der neu gewonnenen Erfahrung und Lebensanschauung intelligent und weise umzugehen. Tun Sie das nicht, wird einiges in Ihrem Leben schieflaufen und Sie werden nur kurze Zeit Freude an Ihrem neu gewonnenen Zustand haben.
Vor Jahren las ich in einer Tageszeitung einen Artikel über einen Mönch, der ganz allein einem kleinen Kloster vorstand. Nachdem er eines Tages in seinem Kloster wohl das Satori-Erlebnis hatte und sich fortan erleuchtet fühlte, betrank er sich tagelang völlig hemmungslos, ging seiner Arbeit nicht mehr nach und ließ alles verwahrlosen. Der weiblichen Reinigungskraft, die regelmäßig zum Putzen ins Kloster kam, machte er unmissverständlich eindeutige Angebote und warf regelmäßig Besucher des Klosters einfach hinaus. Dies verstand er wohl unter frei sein, von allem loslassen können, unter Glücklich- und Zufriedensein. Er geriet völlig außer Kontrolle und wurde seines Amtes enthoben.
Damit Vergleichbares nicht geschieht, müssen gleich am Anfang des Weges, bevor man sich auf den Pfad der Erleuchtung begibt, ein paar Grundvoraussetzungen erfüllt sein, mit denen ich Sie nun vertraut machen möchte.
Grundvoraussetzungen
Die grundlegenden Fähigkeiten
Jeder – ohne Ausnahme – der sich mit der buddhistischen Lehre Erfolg bringend beschäftigen möchte, wer Buddhismus begreifen und sich auf das Gedankenkonstrukt und die Art zu denken einlassen will, muss sich der buddhistischen Grundgedanken bewusst werden, muss sich bewusst werden, was der historische Buddha den Menschen vermitteln wollte und muss sich dementsprechend einige Fähigkeiten aneignen.
Zu diesen Fähigkeiten zählen:
1 Sammlungsfähigkeit - Die Fähigkeit zur Konzentration und Sammlung. Sie müssen meditieren können.
2 Tugend und Moral - Sie müssen über gewisse Tugenden und über eine buddhistisch orientierte Moral verfügen und
3 Wissen und Weisheit - Sie brauchen Weisheit, gepaart mit Wissen.
Diese drei grundlegenden Fähigkeiten werde ich Ihnen später in Verbindung mit den Vier edlen Wahrheiten noch ausführlicher erläutern. Sie sollen Sie davor bewahren, trotz oder gerade wegen des Satori-Erlebnisses vom Weg abzukommen.
Bodhisattva
Diejenigen, die begriffen haben, was den Buddhismus ausmacht, und die folglich die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens gefunden haben, leben meist sehr zurückgezogen, sehr bescheiden und drängen sich mit ihrem Wissen niemandem auf. Sie verhalten sich, als wären sie unsichtbar. Sie schreiben in der Regel keine Bücher und geben keine Kurse. Und sie missionieren nicht. Das ist eine Konsequenz, die sich unter anderem aus der Erleuchtungserfahrung und der fortgeschrittenen, buddhistisch geprägten Kultivierung des Geistes einstellt. Nur die spirituellen Meister und buddhistischen Autoritäten, die Erleuchtung erfahren haben, und gewollt eine Sonderrolle als Bodhisattva einnehmen wollen, dürfen davon abweichen. Bei einem Bodhisattva ist jeglicher karmische Impuls, der zu einer Reinkarnation führen könnte, erloschen – ein Zustand, den ich im Kapitel Reinkarnation noch ausführlich erläutern werde. Ein Gelübde erlaubt ihnen, die buddhistische Lehre zu verbreiten, so wie Buddha es auch schon tat, und es erlaubt ihnen, anderen Lebewesen aufzuzeigen, wie sie Leid vermeiden und glücklich und zufrieden leben können.
Am Anbeginn des Weges
Jetzt sind Sie schon ganz tief eingetaucht in das Hauptthema: Ganz beiläufig haben wir erläutert, was man unter einem Erleuchteten versteht, was man sich unter dem Satori, der Erleuchtung, vorstellen kann, und dass es verschiedene Schultraditionen gibt, die auf ganz unterschiedlichen Wegen zur Erleuchtung führen. Wir kennen nun den Begriff des Suchenden. Zu diesen Suchenden möchte ich Sie nun dazuzählen. Und wir wissen von den mannigfachen Wegen, die den Suchenden ans besagte Ziel bringen können. Am Anfang des Weges haben Sie nun ein Mindestmaß an Grundwissen, um sich auf den