»Schon klar!«, murmelt sie leise vor sich hin, klopft mit einer Faust vorsichtig gegen den vorderen Kotflügel. Scheinbar erwartet sie, dass dieser laut scheppernd auf dem Asphalt landet. Aber auch hier bleibt das Auto standhaft.
»Du bist echt süß, Schatz. Komm lass uns fahren. Ich möchte dich endlich wieder zu Hause haben«, jauchzt Ryan freudig und hüpft in den Wagen. Eden bleibt noch einige Momente skeptisch stehen, öffnet dann aber die Wagentür und steigt ein. Kaum sitzt sie auf den alten und verbrauchten Sitzen, rümpft sie die Nase.
»Wahnsinn, was stinkt hier so bestialisch??«, flucht sie. Im selben Augenblick hat sie einen Duftbaum am Rückspiegel ins Visier genommen.
»Lavendel?«, grunzt sie, greift nach dem Duftverteiler, reißt ihn brutal vom Spiegel und schleudert es aus dem offenen Fenster.
»Schatz, du liebst doch diesen Duft«, protestiert Ryan liebevoll.
»Jetzt nicht mehr«, grummelt Eden. Mit einer Hand wedelt sie vor ihrer Nase herum.
»Ich werde Wochen brauchen, um diesen Gestank aus dem Wagen zu kriegen. Ekelhaft!«, schimpft sie weiter und erntet von ihrem Mann einen verständnislosen Blick. Er lässt sich allerdings nicht mit in Edens Stimmung reißen, setzt sein Dauergrinsen auf und startet den Motor.
»Ab nach Hause!«, trällert er pfeifend.
Als der Wagen anspringt, schlägt Eden sich ängstlich beide Hände auf die Ohren.
»Was ist?«, fragt Ryan überrascht. Hektisch blickt Eden zwischen Motorhaube und Heck hin und her.
»Ich warte darauf, dass der Motor explodiert, oder der Auspuff in sämtliche Bestandteile zerspringt.« Richtig entzückt lacht Ryan flüchtig.
»Ach wie ich dich liebe«, säuselt er und drückt ihr einen Kuss auf die Lippen. Als er sich aufrecht hinsetzt und den Wagen rollen lässt, überkommt Eden das Gefühl, sich die Lippen abwischen zu müssen. Dieses ständige knutschen von Ryan, kann sie mittlerweile genauso wenig ertragen, wie seine fortwährend gute Laune, gepaart mit diesem Perl-Weiß Lächeln. Sie kann einfach nichts mit ihm anfangen und ihm keinerlei Sympathie zusprechen. Er ist ihr, im wahrsten Sinne des Wortes, zu wider.
Regungslos sitzt Eden während der Fahrt neben ihm. Hin und wieder wirft sie ihren Blick durch das Fenster, um das rege Treiben auf den Straßen zu betrachten. Sie sieht die vorbeifliegenden Firmenschilder, die Wohnhäuser, Schulen und andere Gebäude. Das erste Mal, seit sie im Krankenhaus aufgewacht ist, hat sie das Gefühl etwas zu kennen. Sie kennt diese Gegend. Sie kommt ihr bekannt vor. Hier war sie schon mal Das weiß sie.
»Ich kenne die Gegend«, murmelt sie leise vor sich hin. Sie überprüft nochmal ihre Gedanken, bis sie es zu hundert Prozent weiß.
»Ich kenne die Gegend! Ich war hier schon mal‼«, jauchzt sie freudig, dreht sich in Ryans Richtung und strahlt ihn vor lauter Glück an. Endlich hat ihr Gehirn ihr etwas Brauchbares gegeben. Ryan lächelt und schüttelt den Kopf.
»Nein Schatz, da irrst du dich. Du warst noch nie hier. In deinem ganzen Leben warst du noch nie in diesem Stadtteil«, zerreißt er Edens Hoffnung in der Luft. Hecktisch dreht sie sich um. Aufgeregt blickt sie zur Straße hinaus.
»Doch, doch, ich bin mir ganz sicher. Hier war ich schon mal. Das ist doch Soma, oder? Dieser Stadtteil heißt Soma. Das weiß ich!«
»Ja Schatz, das stimmt. Trotzdem warst du noch nie hier. Noch nicht einmal beruflich.«
»Das kann aber nicht sein‼ Ich…!« Den Rest verschluckt Eden freiwillig, als sie Ryans sicheres Lächeln und den schüttelnden Kopf sieht. Schweigende Sekunden vergehen, bis sie sich enttäuscht in den Sitz zurücklehnt.
»Ich habe mich wohl getäuscht«, flüstert sie leise und blickt auf ihre Hände herunter. Hände die ihrem Alter entsprechend schon einiges hinter sich haben. Dennoch sind sie gepflegt und makellos. Mit einem flüchtigen Blick auf Ryans Händen, stellt sie schnell fest, dass beide wohl den Luxus einer regelmäßigen Maniküre genießen. Beide Paare sehen sehr gepflegt aus.
Eine Stunde vergeht, bis der Wagen in der Sibley Road auf eine Auffahrt fährt. Steif lehnt sich Eden in den Sitz zurück. Sie blickt auf das Haus und glaubt in einem Albtraum zu stecken.
»Unser Haus?«, japst sie und versucht sich ihre Panik nicht anmerken zu lassen. Weißes Holzhaus, schwarze Dachziegeln, grüner Rasen, weißer Zaun, ein roter Briefkasten am Bürgersteig und Spitzengardinen an den Fenstern.
»Und du bist dir sicher, dass ich beim FBI arbeite?«, schluckt sie über dieses idyllische Bild des Heimes vor sich, wo sie wohl oder übel den Rest ihres Lebens verbringen wird.
»Aber natürlich, Schatz«, gluckst Ryan und hüpft erfreut aus dem Auto. Endlich hat er seine Frau wieder zu Hause.
»Oh Gott, bitte lass mich sterben. Wäre es doch bloß bei den misslungenen Wiederbelebungsversuchen geblieben. Das ist ja schlimmer als die Hölle«, japst Eden leise. Ihr gleicht das Bild des Hauses einem perfekten Horrorfilm. Wie kann man in so einem Puppenhaus wohnen und dann beim FBI arbeiten? Gibt es noch unterschiedlichere Welten, als dieses Horrorszenario? Wohl kaum! Wann werden Barbie und Ken aus der Tür treten und sie willkommen heißen? Wo ist der Golden Retriever, der sie zur Begrüßung von oben bis unten abschleckt? Wo sind der Junge und das drei Jahre ältere Mädchen, die dieses perfekte Familienbild komplettieren könnten? Das kann doch alles nicht wahr sein! Verflucht, wo ist sie hier nur gelandet?
»Komm«, pfeift Ryan belustigt über die steife Puppe, zieht Eden aus dem Wagen und öffnet nach einigen Schritten die Haustür. Auf dem Weg dorthin, wirft Eden ihren Blick zum Rasen. Verzweifelt sucht sie die Nagelschere mit der dieses perfekte saftige Grün geschnitten wird.
»Haben wir hinter dem Haus Rosenbeete?« Ryan dreht den Schlüssel im Schloss und nickt beiläufig.
»War klar!«, flucht Eden leise und könnte ihr vorheriges Ich vor Gericht bringen. Anklage wegen Nötigung und Körperverletzung. Sie würde sämtliche Hebel in Bewegung setzen, um diese Person (welche sie vor dem misslungenen Clou war) für immer hinter Gitter zu bringen. So etwas nennt man auch seelische Grausamkeit!
Ryan wirft schwungvoll die Tür auf. Schreckhaft macht Eden einen Schritt zurück, anstatt nach vorne. Panisch zieht sie eine Menge Luft ein und atmet sie zischend laut aus. Wie ein Luftballon, der ein kleines Loch hat, entweicht die Luft ihrer Lunge. Helles Laminat springt ihr mitten ins Gesicht. Links neben der Haustür befindet sich ein Sideboard, auf dem eine Lampe steht und eine kleine Schüssel, in die Ryan seinen Schlüssel fallen lässt. Dann nimmt der Horror seinen Lauf. Eine kleine Porzellanpuppe begrüßt Eden freudig. Mit künstlich gemalten blauen Augen, strahlt sie Eden an. Sie lächelt bis zu den Ohren. Ihre Kleidung frisst sich durch Edens Augäpfel, wie ein Parasit, der sich durch sämtliche Organe beißt, nur um den Menschen zu schaden. Dieses Ding von Puppe, ist mit rosa Spitze bekleidet und trägt einen ebenso rosafarbenen Strohhut, der mit einer dunkel rosafarbenen Schleife unter dem Kinn verknotet ist.
»Willkommen zu Hause‼«, jodelt Ryan. Eden nimmt es aber kaum auf. Sie will hier nur noch raus. Sie will gar nicht wissen was sie noch alles in diesem Haus erwarten wird. Sie will einfach nur noch weg! Da schläft sie lieber unter einer Brücke, als hier zu bleiben. Wenn man schon an der Haustür von so einer Grässlichkeit von Puppe begrüßt wird, kann es nicht mehr besser werden, sondern nur noch schlimmer!
Zitternd wagt sie die ersten Schritte. Ihr Herz beginnt zu rasen, als Ryan die Haustür hinter ihr verschließt. Jetzt ist sie gefangen! Gefangen in einem Horrorhaus! Ihrem Haus! Ein Albtraum‼
Widerwillig lässt sie sich nach und nach sämtliche Räume zeigen, bis Ryan in die Küche verschwindet. Langsam und mit einem leichten Anflug von Panik, steigt Eden die Treppe hinauf. Was wird sie dort oben erwarten? Noch mehr Idylle? Noch mehr Spitze?
Sie beruhigt sich aber schnell, als sie das Badezimmer sieht. Endlich keine Spitze oder ähnliches, was in ihr Panikattacken auslösen