Restart. Valuta Tomas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Valuta Tomas
Издательство: Bookwire
Серия: Five Dogs
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738031683
Скачать книгу
zusehen kann, wie sie in den Sog einer Art Sucht gezogen wird. Ihr wird blitzschnell unerträglich heiß, ihr Herz beginnt zu rasen.

      Mit schnellen Bewegungen zieht sie sich ihre Jacke von den Schultern und wirft diese achtlos hinter sich. Sie zündet sich eine neue Zigarette an, setzt sich auf den Stuhl und betrachtet das Foto der jungen Frau eine ganze Zeit. Dieses Bild ist so völlig anders, als das was in der Akte von Samantha Rodriguez zu sehen ist. Dieser Ausdruck in ihren Augen brüllt regelrecht nach Liebe! Nach Liebe und tiefem Vertrauen! Ihre Augen strahlen vor Glück. Ihr Gesicht ist zu einer glücklichen Maske verzogen. Das Foto strahlt so viele unterschiedliche Gefühle aus, die Eden nicht in Worte fassen kann. Sie glaubt, noch nie so viele unterschiedliche Gefühle in menschlichen Augen gesehen zu haben, welche sie derzeit in den braunen Augen dieser jungen Frau sieht. Sie sind so voller Liebe und Zuneigung, dass Eden sich fragt, was sie in der Geldbörse von Neve zu suchen hat. Wo verdammt nochmal steckt da die Verbindung??

      Eden arbeitet sich weiter durch das Leder und findet mehrere Visitenkarten, die alle auf Neves Namen ausgestellt sind. Ungewöhnlich nur, dass es zwei verschiedene Firmen sind. Bei Rodriguez T.I.R. und Richmond und Rodriguez Immobilien steht sie überall als Managerin. Schon wieder dieser Name der jungen Frau. Wo zum Teufel…?

      Wütend pfeffert Eden das Portemonnaie über den Tisch. Sie kommt nicht weiter. Ihr fehlt einfach die Verbindung zwischen den beiden Frauen. Was ist da zwischen ihnen? Was lief da, dass Neve so sehr an Samanthas Leben teilgenommen hat?

      »Verdammt‼«, keift sie wütend, drückt die Zigarette aus und zündet eine neue an. Wenn sie diesem Kopfstress noch weiter ausgesetzt ist, wird sie noch zur Kettenraucherin.

      »Ihr macht mich wahnsinnig‼«, grummelt sie, steckt sich die Zigarette in den Mund, erhebt sich vom Stuhl und beugt sich über den Karton. Mit leicht zitternden Fingern zieht sie nach und nach die Kleidung von Neve heraus.

      »Heilige Scheiße‼«, japst sie entsetzt, als sie die Garderobe sieht. Ein Hosenanzug, der ihrem ungewöhnlich gleicht. Das was sie aber als entsetzlich ansieht, sind die unzähligen Löcher und das maßlose Blut, das die weiße Bluse rot gefärbt hat. Unbewusst und ungewollt beginnt sie die einzelnen Löcher zu zählen. Elf davon befinden sich direkt am ganzen Oberkörper, jeweils zwei an beiden Armen und eins im rechten Schulterbereich. Als Eden die dazugehörige Hose aus dem Karton zieht, sieht sie, dass lediglich zwei Kugeln diese Neve am Bein getroffen haben. Da wollte jemand offensichtlich ganz sicher gehen, dass sie nicht mehr aufsteht. Ihr Oberkörper war scheinbar eine perfekte Zielscheibe.

      Edens Blick wandert verunsichert ein Stück weiter nach unten und betrachtet den Teil der Bluse, der auf dem Bauch gelegen haben muss. Auf dem Bauch, wo ein Baby drin war. Dort drangen drei Kugeln ein. Wie zum Teufel hat dieses Kind das nur überlebt? Die dortigen Einschusslöcher, sehen genauso präzise aus, wie alle anderen. Aber wie kam das Baby dort lebend heraus? Hat sie sich etwa noch kleiner gemacht, als sie schon war? Wollte sie leben? Wollte sie ohne ihre Mutter leben? Was ist da nur passiert, dass dieses Kind heute lebt?? Welcher Schutzengel muss in dem Moment über sie gewacht haben?

      Ängstlich stellt Eden fest, dass ihr erneut Tränen über die Wangen laufen. Warum weint sie immer, wenn sie an dieses arme Kind denken muss? Was verleitet sie dazu? Sie hat selbst keine Kinder, aber weshalb hat sie dann solch ein Mitleid, mit diesem fremden Kind? Wieso berührt diese Geschichte sie so sehr?

      Sie holt sich eine neue Zigarette aus der Schachtel und schiebt Neves Karton zur Seite. Dort drinnen gibt es nichts mehr Interessantes. Jetzt kommt Samantha dran.

      Ernüchternd muss sie aber schon nach ein paar Minuten feststellen, dass sich in diesem Karton absolut nichts befindet, was ihre Neugierde oder Aufmerksamkeit erregen könnte. Diese Samantha trug nur ihre Kleidung am Leib, mehr nicht. Kein Schlüssel, kein Portemonnaie, keine Zigaretten, nichts. Lediglich eine schwarze Nerd Brille liegt auf dem sauberen Kleiderhaufen. Eden nimmt diese, betrachtet sie und holt aus Neves Karton ihren Geldbeutel heraus. Sie hält die Brille neben das Foto von Samantha und schmunzelt unbewusst.

      »Wow«, flüstert sie intuitiv und kann ihr Herz laut schlagen hören.

      Eden schiebt dann auch diesen Karton zur Seite und macht es sich auf dem Stuhl bequemer. Sie zieht Neves Akte heran und schlägt das dünne Stück Pappe um. Sofort erschlägt sie ein gewaltiger Schock. Entsetzt starrt sie auf die Fotos, die ihr regelrecht entgegenspringen. Zitternd greift sie nach einem.

      »Oh mein Gott‼«, haucht sie leise und wagt den Anblick nicht zu glauben. Sie sieht diese Neve auf der Straße neben einem silbernen Mercedes liegen. Ihr Körper ist mit Schusswunden übersät, ihr Blut hat sich in die Kleidung gefressen. Die Augen geöffnet, liegt ein scheinbar glücklicher Ausdruck auf ihrem Gesicht. Der Boden unter ihrem Körper hat sich ihrem Blut angenommen und weist eine große Lache auf. Was Eden aber erschrecken lässt, ist die Tatsache, dass sich diese Samantha mit auf dem Foto befindet. Ihr linker Arm ist ausgestreckt und liegt unter Neves Nacken. Ihre rechte Schläfe weist ein Einschlussloch auf. Dicht liegt sie neben Neve und hat ebenso einen friedvollen Ausdruck auf dem Gesicht. Auch ihre Augen stehen offen. Beide Gesichter sind zueinander gedreht, was fast den Anschein hat, als wenn sie sich im letzten Augenblick ihres Lebens noch einmal ansehen wollten.

      Unkontrolliert rutscht Eden die Akte aus der Hand. Ohne zu wissen warum, beginnt sie zu weinen. Sie vergräbt ihr Gesicht in den Händen und weint. Dieses Bild der beiden Frauen frisst sich in ihren Kopf. Jetzt weiß sie, wo die Verbindung zwischen ihnen bestand. Die beiden waren ein Paar! Sie haben sich geliebt! Neve wurde getötet! Ihr ungeborenes Baby wurde getötet! Und Samantha richtete sich selbst, weil sie weder ohne Neve, noch ohne das Kind leben wollte! Wie tief muss die Liebe zwischen den beiden gewesen sein, dass Samantha sich nach dreißig Stunden Freiheit selbst tötet? Wie kann man so selbstlos sein und alles für einen anderen Menschen aufgeben?? Sogar das eigene Leben?? Was für eine tiefe Liebe verband sie? Eden kann sich keineswegs vorstellen, dass solch eine mächtige Liebe und so tiefgehende Gefühle tatsächlich existieren. Wie kann man sich selbst richten, weil man die Liebe seines Lebens verloren hat?

      »Das ist absolut unmöglich‼«, schluchzt Eden und rupft eine weitere Zigarette aus der Schachtel. Kraftlos hievt sie sich aus dem Stuhl, tritt an das Fenster und kriegt ihre Finger nicht unter Kontrolle. Sie zittern so stark, dass die Zigarette in ihrer Hand, wie ein betrunkenes Glühwürmchen aussieht. Mittlerweile ist es Abend geworden. Der Mond steht hoch am Himmel. Aber sie hat es nicht mitbekommen. Sie war so sehr mit den Kartons beschäftigt, dass sie die wechselnde Tageszeit nicht beachtete. Es ist auch egal. Das was sie bisher, in Bezug auf die beiden Frauen herausgefunden hat, zerreißt sie innerlich. Die beiden scheinen in vollkommen anderen Welten gelebt zu haben und doch waren sie Eins. Samantha schlug schon früh und recht jung eine kriminelle Laufbahn ein, während Neve dem Gesetz treu war. Was passierte aber, dass ihre Wege sich kreuzten? Was geschah, dass eine Liebe zwischen ihnen entstand? Und was ereignete sich, dass Neve das Gesetz hinter sich ließ und ebenfalls kriminell wurde? Welche seelische Verbindung entstand zwischen ihnen, dass Samantha sich, ohne über die Folgen nachzudenken, selbst richtete?

      Eden wischt sich die Tränen weg und tritt an den Schreibtisch zurück. Sie zieht die Akte erneut zu sich und versucht nun, mit dem Verstand einer FBI Agentin, diese weiter zu sichten. Sie spürt schon nach wenigen Minuten, dass es ihr wahrlich schwer fällt, aber da muss sie durch.

      Ebenfalls muss sie die Tatsache verarbeiten, dass der gute Mann aus dem Archiv Recht behielt. In sämtlichen Berichten steht geschrieben, dass Eden insgesamt vier Kugeln auf Neve abgefeuert hat. Ein gewisser Leon trug seinen Teil auch dazu bei, aber die tödlichen und ausschlaggebenden Kugeln, feuerte sie ab.

      »Nein‼ Nein, nein, nein, das kann nicht sein‼ Niemals‼ Was zum Teufel habe ich da nur gemacht??«, flucht Eden und schleudert die Akte quer durch ihr Horrorzimmer. Warum geht ihr das alles so nahe?? Sie vertritt das Gesetz‼ Warum überkommt sie das Gefühl, sich selbst für ihre Tat zu hassen? Sie hat Kriminelle zur Strecke gebracht! Das ist ihr Job! Warum glaubt sie aber, bei diesen beiden einen großen Fehler gemacht zu haben?? Einen Fehler, der sie für den Rest ihres Lebens verfolgen wird?? Und warum fühlt sie ein so tiefes Mitleid mit diesen Frauen und ihrer maßlosen Liebe?? Was stimmt nicht mit ihr??

      Ohne genau zu wissen weshalb, befindet