Ralf lachte: "Natürlich nicht. Ich habe aber auch nie so viel über meine Träume nachgedacht, sodass ich mich gar nicht mehr erinnern konnte, dass ich überhaupt von ihnen geträumt hatte. Wir lernten uns in der Bar kennen, und von da an trafen wir uns öfter - wurden dicke Freunde, wie man so schön sagt. Eines abends, wir hatten einen Grillabend hier veranstaltet, schnitt David das Fleisch für die Spieße, genauer gesagt, er versuchte es, aber seine Hand rutschte aus und er schnitt sich in die Hand, die das Fleisch hielt. Zumindest hätte er sich schneiden müssen, aber das Messer verletzte ihn nicht. Er blutete nicht, obwohl ich bei dem Schnitt schon befürchtet hatte, dass wir den Notarzt würden rufen müssen. David bemerkte meinen ungläubigen Ausdruck in den Augen und er und Yan gestanden mir den Hintergrund unserer Freundschaft. Ich verstehe die ganze Geschichte zwar heute noch nicht genau, aber das muss ich auch gar nicht, denn mir liegt viel an unserer Freundschaft. Ich nehme es hin und genieße es."
Gedankenverloren ließ ich eine Nudel vor meinem Gesicht hin und her baumeln, so, als ob ich mich selbst hypnotisieren wollte. Ich brannte innerlich vor Neugier, auf eine Welt, in der es Zauberer, Drachen, Einhörner, Symbionten, Magie und vielleicht noch viel mehr gab. Am liebsten wäre ich sofort ins Bett gegangen, um von der anderen Welt zu träumen. Meine Aufregung war aber so groß, dass ich sicher gar nicht oder nur schwer einschlafen würde. Wie sollte ich auch meinen Traum von dieser anderen Welt steuern? Und wenn ich dann von dieser Welt träumte, konnte ich nach dem Aufwachen sicher sein, dass ich wirklich in der Welt gewesen war, oder nur geträumt hatte, so wie fast jeder Mensch...?
"Erde an Alena! Hallo! Lebst du noch, oder bist du schon bei Yan und David?"
Ich zuckte schuldbewusst zusammen. Ich war meilenweit entfernt von Ralf gewesen und zusammen mit meiner komischen Reaktion die Nacht zuvor, hatte ich ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen, auch wenn ich gar nicht wusste, warum mein Körper so negativ auf ihn reagierte.
"Ja, ich bin noch da. Ich dachte gerade über die andere Welt nach. Sie ist irgendwie real, aber doch unwirklich für uns hier...", sinnierte ich.
Ralf unterbrach mich: "Gestern Nacht waren Yan und David beinahe wirklich in unserer Welt."
Ich dachte an die kleine Bisswunde an meinem Hals, fuhr mit meinen Fingerspitzen darüber und spürte die zwei verkrusteten Knoten. Ja. Sie waren wirklich da gewesen und nur die kleinen Wunden an meinem Hals überzeugten mich noch, dass ich nicht geträumt hatte.
Ralf begann, den Tisch abzuräumen und ging ins Haus. Die Sonne stand hoch und spiegelte sich in meinem Glas, das noch halb mit Rotwein gefüllt war.
Eine Idee kam mir in den Sinn, ich nahm die Rotweinflasche, füllte mein Glas auf und starrte in das rote Gefunkel, das am Glasrand, im Wein selbst und in Lichtflecken auf der weißen Tischdecke um die Wette miteinander leuchtete.
Ich würde mich so auf das Gleißen konzentrieren, wie am Tag zuvor, als ich in den Pool geblickt und von David geträumt hatte, dass ich in eine Art Trance fiel und so in die andere Welt gelangen konnte. Wenn es nicht funktionieren würde, wäre ich zwar enttäuscht, aber ich hätte es wenigstens versucht.
Die Lichtstrahlen funkelten immer stärker blutrot im und um das Glas, als würden sie mein Vorhaben unterstützen - fasziniert ließ ich meine Gedanken treiben...
14. Zweiter bewusster Kontakt
Ich stand auf einer Straße, die mich an die Zustände des Mittelalters erinnerte.
Kein Teer, keine Pflastersteine, einfacher Lehmboden, noch etwas feucht und pappig vom Regen der vergangenen Nacht. Rechts und links von mir befanden sich Lehmhäuser, mit Stroh gedeckt. Spielende Kinder lärmten in den Gassen um mich, alte Menschen lümmelten auf behelfsmäßigen Bänken im Schatten und unterhielten sich lautstark. Die Sonne stand an ihrem höchsten Punkt, ich blickte nach oben und meine Augen verengten sich reflexartig, ich spürte ihre Hitze auf meiner Haut. Ich blickte an mir herunter und stellte fest, dass ich in ein ärmlich aussehendes Leinenkleid gehüllt war, das so kurz war, dass es fast die gesamte Länge meiner Beine frei ließ. Meine Arme waren bis zu den Schultern nackt. Weiterhin stellte ich fest, dass mein Drachentattoo auf meinem Brustbein verschwunden war.
Ich hatte es geschafft, oder?
Wie am Abend zuvor war es mir gelungen, mich durch bloße Lichtspiegelungen in eine Art Trance zu versetzen und ich landete in der Welt von Yan und David.
Nur, wo waren die beiden? Woher konnte ich wissen, ob ich mich wirklich hier befand? Es konnte sich auch um reines Wunschdenken meinerseits handeln. Doch mein Zustand in dieser Welt fühlte sich zu real an. Wenn ich es wirklich geschafft hatte, verblüffte mich die Einfachheit, die mich hierher geführt hatte.
Ich setzte meine Beine in Bewegung und erkannte in den Augen der Menschen, die mich musterten, dass ich wirklich hier war, dass sie mich bemerkten, dass ich eine Rolle spielte - spielen musste.
In der Gasse, auf der ich lief, bemerkte ich erst jetzt, dass ich keine Schuhe trug. Der noch feuchte Lehm quoll bei jedem Schritt durch meine bloßen Zehen und trockener Lehm legte sich wie Puder auf die feuchte Schicht um meine Füße. Im Laufe der Zeit und der Strecke, die ich zurücklegte, bröckelte die Lehmschicht wieder ab und hinterließ total verschmutzte Füße. Ich störte mich nicht daran. Die Gassen um mich herum wurden enger, verwinkelter und immer mehr Menschen blickten mich an. Manche neugierig, manche feindselig. Viele Augen beobachteten mich, auch die hinter den Stofffetzen, die als Gardinen vor den Fenstern der Lehmhäuser hingen.
Ich fragte mich, ob es wie ein brennendes Siegel auf meiner Stirn zu lesen war, dass ich fremd hier war.
Dieser Gedanke war absurd - schließlich würde es mein Verhalten sein, das mich als Fremde auswies: In der größten Hitze des Tages würde niemand ohne Zuhause durch die engen Gassen marschieren.
Aber ich konnte nicht einfach hier stehen bleiben und warten, bis es kühler wurde.
Ich drehte mich um und lief den Weg, den ich gekommen war, wieder zurück. Ich passierte erneut die Stelle, an der ich auf dieser Welt angekommen war. Mein Ziel war, aus der Stadt herauszukommen, dann befände ich mich nicht mehr unter Beobachtung und konnte mir die Welt in Ruhe betrachten. Das Laufen fiel mir immer schwerer - nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte, verspürte ich enormen Durst. Am Rande der Stadt fand ich endlich einen Brunnen. Ich drehte an der dafür vorgesehenen Kurbel und an einem Seil hing ein Eimer, in dem sich kristallklares und kühles Wasser befand. Es war eine Labsal! Dieses Wasser trank ich so lange, bis mein Durst gestillt war. Nachdem ich den Eimer wieder herunter gelassen hatte, fühlte ich einen Blick in meinem Rücken. Jemand beobachtete mich. Ich streckte mich, simulierte ein Gähnen, strich mir über die Arme und drehte mich dann schnell um, sah dem Beobachter unerschrocken in die Augen.
"Guten Tag!", begrüßte ich den jungen Mann, der sich peinlich berührt mit der Hand durch sein Haar fuhr.
"Entschuldige, ich wollte dich nicht stören", sagte er.
Ich beruhigte ihn: "Das tust du nicht."
Dann wollte ich die Gelegenheit am Schopf packen: "Kannst du mich zu Xamor führen?"
Der Mann wirkte erschrocken, zeigte sich aber sogleich hilfsbereit: "Ja. Folge mir."
Der Weg war kurz, denn der Magier lebte am Dorfrand. Ich konnte mir gut vorstellen, dass dies mit einer Art Aberglaube zu tun hatte, ganz gleich, ob in dieser Welt nun Magie alltäglich war oder nicht.
Nachdem ich vor der Tür der kleinen Lehmhütte stand, eilte der Mann schnell davon. Ich zuckte mit den Schultern. Er hatte mir noch nicht einmal die Gelegenheit gegeben, mich bei ihm zu bedanken. Nun klopfte ich schüchtern an die Holztür und ein Mann öffnete mir, der genauso aussah, wie ich mir einen Magier immer vorgestellt hatte: Langer, weißer, zottiger Bart, lange, graue Toga, eisblaue, wissende Augen.
"So, du bist also Alena."
Ich