Er erwiderte nichts, aber ich fühlte, dass auch er von dieser glücklichen Stimmung gepackt war, denn er küsste mich wieder sanft auf meinen nackten Hals.
Er ging zu einem Gleitflug über, wir schwebten direkt über dem schmalen Fluss, dicht über dem braunen Wasser. Die Luft roch nach gerade gefallenem Regen, deswegen war das Wasser des Flusses braun - aufgewühlt durch einen heftigen Schauer. Als sich wieder einmal vereinzelte, goldene Sonnenstrahlen auf dem Fluss verirrten, da begann das Wasser in allen Regenbogenfarben zu glänzen und zu funkeln. Die Lichtreflexionen veränderten die Formen und Farben in atemberaubender Geschwindigkeit. Diese Szene erinnerte mich an irgendeine bekannte Situation, aber ich kam in diesem Moment nicht darauf an welche. Ich verschob den Gedanken auf später, wollte den Flug, so lange es noch ging, genießen. Rechts und links des Flusses säumten riesige, belaubte Bäume das Ufer und ich fühlte mich wie in einem Gleitflug über den Amazonas. Der Flug wollte nicht enden und ich hoffte, dass er unendlich weiter ging. Obwohl mein Drang zum Weinen abgenommen hatte, erlebte ich es weiterhin so intensiv, wie wir über den Fluss hinwegflogen, wie zu Anfang unserer Reise. Ich vergaß zwischenzeitlich sogar, dass nicht ich es war, die flog, sondern dass ich nur mitgenommen wurde. Der liebevolle, zärtliche Kuss von Zeit zu Zeit an meinem Hals erinnerte mich jedoch immer wieder daran, dass er noch da war. Als wir das Flussbett verließen, quälte mich ein Stich des Bedauerns, doch die Neugier, wohin wir eigentlich flogen.
Ich drehte mich in den Armen des Mannes um, blickte ihm in die dunkelblauen Augen, sein silbergraues Haar kitzelte mich an meiner Wange, doch ich verspürte nur noch den Wunsch, mich in seine Federn zu kuscheln, was ich auch machte. Ich hob meinen Kopf etwas, prägte mir sein markantes Gesicht ein, konnte Zärtlichkeit in seinen großen Augen lesen. Ich küsste ihn auf den Mund und genoss das warme Gefühl seiner weichen Lippen. Dann schmiegte ich meinen Kopf wieder an seine Brust, in sein Federkleid und vergrub meine Nase in seiner gefiederten Halskuhle, die nach aufregendem, männlichen Wesen duftete.
Der Flug verlangsamte sich und mir wurde bewusst, dass er bald zu Ende gehen würde. Ich fühlte mich traurig, drehte mich wieder in seinen starken Armen um und erkannte unter uns ein kleines, verfallenes Gehöft. Die Dächer waren genauso löchrig wie das Dach über dem Schiff, auf dem ich mich zu Anfang befunden hatte. Durch ein solches Loch flogen wir auf einen Heuboden und der Mann setzte mich sanft ab.
"Warte hier bitte, ich muss noch etwas erledigen. Dann werde ich dich abholen und mit zu mir nehmen..."
Die letzten Worte bekam ich kaum noch mit, denn irgendetwas riss mich aus diesem wunderbaren Traum - Moment, war dies ein Traum?
Aber natürlich! Das war es! Das ganze Erlebnis war nur ein Traum gewesen! Schade, denn er hatte sich zu einem herrlichen Traum entwickelt.
11. Realität?
Ich schlug die Augen auf und blickte in das Gesicht von...Ralf! Ich erkannte, dass ich meine Arme um seinen Hals geschlungen hatte und ließ ihn verdutzt los.
Ich lag noch auf der Liege und stützte mich auf meine Ellbogen, blickte Ralf verstört an: "Was ist geschehen?"
Ralf, der neben mir kniete, setzte sich im Schneidersitz auf den Boden neben mich und meinte: "Das ist ja eine schöne Begrüßung!"
Ich hört zwar seine Worte, verstand aber den Sinn nicht.
Mein Gesicht musste ein einziges, großes Fragezeichen gewesen sein, denn Ralf lachte versöhnlich: "Komm erst einmal wieder richtig zu dir, dann reden wir miteinander."
Ich war noch so verwirrt, dass ich Ralfs dargebotene Hand automatisch erfasste und spürte, wie er sie sanft knetete.
Ich schloss kurz die Augen und vor meinen geschlossenen Lidern schoss nochmal das Bild des perfekten Mannes aus dem Traum von mir vorbei, dann atmete ich tief durch, öffnete wieder die Augen und seufzte: "Okay, was war?"
Ralf zog einen Stuhl an meine Seite heran, legte eine dünne Decke, die er in der Hand gehalten hatte, über meinen leicht zitternden Körper, setzte sich und begann zu reden: "Dir scheint es wieder besser zu gehen. Deine Wangen bekommen endlich wieder Farbe."
Ich wurde ungeduldig: "Fang an!"
Ralf rückte seinen Stuhl noch näher an mich heran, hob seine Hand und streichelte zärtlich über mein Haar: "Ich hatte dich angesprochen, als du am Pool standest, weißt du das noch?"
Ich nickte leicht verunsichert.
Ralf fuhr fort: "Aber du hattest nicht reagiert. Ich dachte, dass du gerade in Gedanken vertieft bist und bin kurz ins Haus gegangen, um uns etwas zu trinken zu holen, aber als ich wieder nach draußen kam, da lagst du auf der Liege, hattest die Augen geschlossen und schienst zu schlafen. Ich beobachtete dich kurz und sah, dass etwas nicht stimmte. Deine Haut war heiß, obwohl du noch nicht lange in der Sonne warst und um diese Zeit war sie auch nicht mehr so stark. Dann hattest du die Augen geöffnet, aber mich nicht gesehen. Ich habe versucht dich anzusprechen, aber du hattest in keiner Weise reagiert. Du hast wie ein Schlafwandler ausgesehen und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Dein Blick wirkte so starr, so in sich gekehrt, dass ich dachte, du liegst in einer Art Wachkoma."
Er verstummte.
Ich verstand so langsam: "Ich hatte geträumt! Ich lag am Pool und starrt in das Wasser. Das Licht hat sich darin reflektiert und mich wohl in eine Art Hypnose versetzt. In dem Traum, jetzt erinnere ich mich wieder daran, kam eine ähnliche Lichtspiegelung vor, die mich an etwas erinnerte, das ich aber in diesem Moment nicht zuordnen konnte."
Ich schwieg.
Ralf war voller Sorge: "Deine Augen waren so groß, so voller Angst gewesen!"
Ich lachte leise: "Ja, am Anfang hatte ich in dem Traum sehr große Angst gehabt, aber dann hatte er sich in einen sehr schönen Traum verwandelt. Ich hatte keine Angst mehr, sondern nur noch ein herrliches Gefühl in mir gespürt."
Ralf nickte: "Nach geraumer Zeit hattest du endlich deine Augen geschlossen und leicht geatmet, deine Haut glühte nicht mehr. Du hattest sehr blass und erschöpft auf mich gewirkt."
Ich lächelte ihn an. Ich fühlte mich gut. Ralf beugte seinen Kopf leicht zu mir herunter, legte seine Hand an mein Gesicht und drehte es weiter in seine Richtung. Ich ließ ihn gewähren, auch, wenn sich wieder der schon gewohnte Druck in meinem Bauch aufbaute. Dann küsste er mich, ließ seine Lippen ganz leicht auf meinen ruhen, streichelte dabei meinen Hals und verstärkte schließlich den Druck seiner Lippen auf meinen.
Ich wollte schon meine Arme um seinen Hals legen, als plötzlich hinter mir eine Stimme sagte: "Aha, so also sieht Entspannung aus!"
Ich fuhr erschrocken zusammen. Yan lachte und Ralf und ich gingen auseinander. Irgendwie schuldbewusst, obwohl wir gar keinen Grund dazu hatten.
"Jemand will dich besuchen! Ich wollte gerade ins Kino, da bin ich David über den Weg gelaufen. Du hast David schon so lange nicht mehr gesehen, dass ich das Kino lieber sausen ließ und ihn mit hierher brachte."
Ralf stand auf und strahlte über das ganze Gesicht: "Ich freue mich."
Ich erhob mich langsam, warf die leichte Decke über die Liege und begab mich klammheimlich in den ersten Stock in das Delphin-Bad. Die gläserne Delphinstatue begrüßte mich mit ihrem nie enden wollenden Lächeln und ich grinste zurück. Dann entdeckte ich mein Spiegelbild - meine Augen glänzten so stark, als ob ich Fieber hätte, aber ich fühlte mich gut wie lange nicht mehr. Meine Stirn fühlte sich kühl und trocken an, ich öffnete den Wasserhahn, ließ das kalte Nass über meine Handflächen laufen, warf mir mehrere Handvoll Wasser ins Gesicht und schaute wieder in den Spiegel. Der Glanz in meinen Augen hatte sich nicht verändert. Ich trocknete mich ab und ging langsam wieder nach unten.
Als ich auf die Terrasse hinaus schritt und die dritte Person erkannte, die wohl David sein musste, blieb ich wie erstarrt stehen.
Mein Puls raste, mein Herz drückte gegen den Brustkorb, wollte ihn sprengen, meine Beine fühlten sich wie Pudding an - kurz, ich befand mich diesmal fast vor einer