Später Besuch. Thomas Hölscher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Hölscher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750218970
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rief Börner scheinbar amüsiert, ohne dass seine Stimme seine Wut verbergen konnte. "Natürlich hast du immer deine Pflicht getan!" Plötzlich lachte er laut los: "Und deshalb bist du heute Abend auch zu mir gekommen, um in aller Seelenruhe dein Ausscheiden aus dem Polizeidienst gerade mit mir zu feiern!" Nun sah er Bremminger an, und es war, als unternähme er den letzten ernsthaften Versuch, als er sagte: "Günter, du bist doch heute Abend zu mit gekommen, weil da noch irgendetwas in deiner makellosen Laufbahn mit Pensionsberechtigung nicht gestimmt hat?"

      Börner war überrascht, als Bremminger einfach nur nickte und sich sein Glas voll goss.

      "Also doch der Mord?"

      "Welcher Mord?", fragte Bremminger, und das Glucksen des Bieres, als Bremminger nun wieder scheinbar völlig gelöst das nächste Glas durch seine Kehle laufen ließ, machte Börner wütend.

      "Der Mord an Carl Brenner."

      "Fängst du schon wieder damit an?"

      "Ich werde auch niemals damit aufhören!", sagte Börner gereizt. "Eure Haltung im Mordfall Brenner hat Milewski doch von Anfang an auf den Punkt gebracht: Man soll eigentlich froh sein, wenn ein Schwuler einen anderen Schwulen umbringt; das erspart einem viel Arbeit."

      Bremminger konnte es offensichtlich nicht mehr hören. "Lass doch endlich Milewski aus dem Spiel! Das hat der doch gar nicht so gemeint."

      "Er hat es genau so gemeint, wie er es gesagt hat. Ihr alle habt es doch insgeheim genau so gemeint. Aber gut, Milewski ist dumm und hatte ja bei euch immer Narrenfreiheit. Nur, in Wahrheit hatte er viel mehr mit der ganzen Sache zu tun, als du glaubst."

      Bremminger nickte kurz. "Vielleicht. Und wenn es so ist, will ich es heute auch noch erfahren. Aber noch ein einziges Mal zu deinem Mordfall Brenner: Wir haben uns doch noch tagelang bemüht, herauszufinden, ob dieser Mord in irgendeiner Verbindung zu der Rauschgiftsache stand. Das lag ja zunächst nahe. Aber da war doch nichts! Da war absolut gar nichts! Und damit war die Sache für uns selbstverständlich erledigt. Wels hatte außerdem gestanden, also was hätten wir noch tun sollen? Es war sicherlich tragisch, dass er sich in der U-Haft erhängen konnte."

      "Tragisch?", fragte Börner spöttisch. "Dadurch war für mich die ganze Sache eigentlich zu einem Doppelmord geworden."

      Bremminger schien zu resignieren. Es hatte offensichtlich keinen Sinn, mit Börner über diese Sache zu reden. Dennoch unternahm er einen letzten Versuch. "Ich kenne ja die Vorstellungen, die du dir damals zurechtgelegt hattest. Aber selbst wenn alles der Wahrheit entsprochen hätte, du hättest es niemals beweisen können."

      "Der Mörder hat es zugegeben. Er hat gesagt: Ja, genau so war es."

      „Ich rede von Beweisen, die auch ein Gericht akzeptiert. Nur die zählen für uns."

      "Ich weiß. Und darum musste ich ja auch die Sache auf meine Art erledigen."

      Bremminger schwieg, und Börner wollte nun auch nicht mehr, dass Bremminger ihn ausfragte. "Für mich hat alles angefangen, als wir beide die alte Brenner besucht haben. Du erinnerst dich doch noch?"

      Bremminger nickte nur müde, und Börner fuhr schnell fort, weil er fürchtete, Bremminger könne ihn noch einmal unterbrechen.

      7

      Es war am Donnerstag dem 23.August 1984 gewesen.

      Noch immer sah Börner das Bild Frau Benners genau vor sich. Sie war, wie Bremminger es hinterher ausgedrückt hatte, sehr gefasst gewesen. Die Nachricht, dass ihr Sohn mit großer Wahrscheinlichkeit einem Verbrechen zum Opfer gefallen war, hatte sie jedenfalls nicht sonderlich überrascht.

      Börner war sie auf Anhieb unsympathisch gewesen. Vor allem ihr grelles Make-up war ihm aufgefallen; bei einer Frau von Ende 50 oder Anfang 60 hatte er es als abstoßend empfunden.

      Auf jeden Fall aber hatte die Frau bereitwillig Auskunft gegeben. Der Tote war ihr einziges Kind gewesen, und das Wort "Kind" hatte Börner aus ihrem Mund als geradezu lächerlich empfunden. Sie bewohnte das Haus, einen riesigen Bungalow in der Nähe der Parkanlagen von Schloss Berge im Stadtteil Buer, mit ihrem Sohn allein. Ihr Mann litt an MS, und sie hatte darauf bestanden, dass das für die ganze Familie ein Kreuz sei. Sie hatte angedeutet, dass mit dem Tod ihres Mannes in absehbarer Zeit zu rechnen sei. In einer Börner nicht mehr gegenwärtigen Formulierung hatte sie ferner zu verstehen gegeben, dass ihr Mann im Kopf nicht mehr ganz richtig sei. Ebenfalls Resultat dieser Krankheit. Er liege in einer privaten Spezialklinik in Hattingen, und erst auf Bremmingers Nachfrage hatte sie die genaue Adresse angegeben.

      Die Familie verfügte über ein beträchtliches Vermögen. Nach dem Krieg hatte der alte Brenner eine Spedition gegründet, einen Einmannbetrieb zunächst mit einem klapprigen Wehrmachtslaster. Inzwischen war die Firma eine der größten in Nordrhein-Westfalen. Einen Großteil des Vermögens hatten sie in Immobilien gesteckt. Ihnen gehörten mehrere Wohnhäuser und Grundstücke in Städten des Ruhrgebiets.

      Bremminger hatte dann gefragt, wer denn die Firma eigentlich leite, und sie hatte unsympathisch aufgelacht. Offiziell sei natürlich noch ihr Mann Inhaber der Firma. Ihr Sohn habe sich eigentlich nie ernsthaft für das Geschäft interessiert, und auch sie verstehe kaum etwas davon, sondern kümmere sich zumeist um die Verwaltung der Häuser und Grundstücke. Die Firma werde eigentlich von einem gewissen Dr.Keller geleitet. Er sei Prokurist.

      In einem fast entschuldigenden Ton - "Sie verstehen, wir suchen nach einem Motiv." - hatte Bremminger dann nach den Vermögensverhältnissen gefragt, nach Erbansprüchen, und wieder hatte sie dafür nur ein müdes Lächeln übrig gehabt. Sie hätten noch nie darüber gesprochen, ihr Mann sei schließlich noch nicht tot.

      Und ganz unerwartet hatte die Frau dann plötzlich Dinge erzählt, die Bremminger und Börner völlig überrascht hatten. "Da Sie nach einem Motiv fragen: Ich glaube, da kann ich Ihnen behilflich sein. Das heißt, ich weiß nicht recht, ob ich von Motiv reden soll ..., aber ich kann Ihnen zumindest sagen, in welcher Umgebung Sie suchen sollten."

      Dazu hatte Bremminger sie dann sehr energisch aufgefordert.

      "Mein Sohn war von Anfang an in den falschen Kreisen." Börner glaubte, sich an jedes Wort der folgenden Aussage von Frau Brenner noch erinnern zu können. "Zunächst habe ich noch versucht, mich dagegen zu wehren, aber er war schließlich ein erwachsener Mensch.

      Mein Sohn war schwul. Wissen Sie, anfangs habe ich das alles gar nicht ernst genommen, als etwas Vorübergehendes eben, eine unbedeutende Episode in Carls Leben. Später haben wir ihn dann zu Psychiatern geschickt. Natürlich nur auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin. Aber es war nichts daran zu ändern. Es war einfach so. Irgendwann fing Carl dann an, einschlägige Lokale zu besuchen, und wir waren froh, wenn diese Lokale zumindest nicht in unmittelbarer Nähe lagen. Er fuhr dennoch meistens nach Dortmund, und mir war es jedesmal viel lieber, wenn er erzählte, dass er in Köln, Düsseldorf oder sonstwo seine Bekanntschaften gesucht hatte. Er hat diese Kerle dann immer ausgehalten wie Huren. Er hat sich immer nur ausnehmen lassen und es hinterher bereut." An diesem Punkt, so meinte Börner nun, waren ihm zum erstenmal die zahlreichen grauen Haare der Frau aufgefallen.

      "Sehen Sie, es ist schwer, sich damit abzufinden. Nicht die Angst, dass andere darüber reden könnten. Das meine ich nicht. Es gibt wichtigeres als das, was andere Leute über einen reden. Kurz und bündig: Sämtliche Vorstellungen von Familie können sie einfach vergessen. Es geht hier nicht um Toleranz oder Intoleranz; man kann lernen, letztlich alles zu tolerieren. Das hat zu tun mit Hoffnungen und Wünschen, die Sie einfach haben, wenn Sie ganz bewusst ein Kind in die Welt setzen. Ich habe solche Dinge längst über Bord geworfen."

      "Sie sprachen von einem Verdacht", hatte Bremminger gesagt, und die Frau hatte genickt und weiter bereitwillig Auskunft gegeben.

      "Seit etwa einem halben Jahr war mein Sohn mit einem Mann enger befreundet, mit einem gewissen Raimund Wels. Ich war übrigens froh darüber, weil Carls Besuche in diesen Schwulenkneipen endlich aufhörten. Die beiden verstanden sich gut, und Herr Wels war auch öfters hier. Aber vor ein paar Wochen, es ist vielleicht vier oder fünf Wochen her, da gab es plötzlich eine Wende. Irgendwie hatte sich