23.8.2000
Wir waren heute Nacht wieder auf der Weide. Aber wir mussten vorsichtig sein. Es war im ganzen Haus kein Licht zu sehen, und gerade das fand ich verdächtig. Ich könnte es nicht ertragen, wenn der alte Sack sehen würde, was wir machen.
Mittlerweile lebe ich wirklich in zwei Welten. Ich meine das nicht in dem Sinne, wie es wohl von einem Schizophrenen behauptet werden kann. Es gibt die eine Welt, die man nur mit Mühe und Not ertragen kann; und es gibt die andere Welt, die ich nachts stattfinden lassen muss und die dieses Leben erst rechtfertigt. Für mich gibt es selbstverständlich nur eine einzige Welt, aber die anderen Menschen verstehen das nicht. Also sind die pervers und nicht ich. Manchmal habe ich das Bedürfnis, aus diesen zwei Welten eine zu machen, andere an meinen Erfahrungen teilhaben zu lassen. Aber das wage ich nicht. Vielleicht noch nicht. Im Augenblick ist es sogar noch so, dass ich alles tun würde, um zu verhindern, dass meine Aktivitäten in die erste Welt gerückt würden. Alles, und das meine ich im Ernst. Es würde eh niemand verstehen. Aber auf Dauer kann ich diese Einstellung nicht durchhalten. Ich will, dass auch andere Menschen beginnen zu sehen.
Dazu braucht es Geduld. Und die richtige Einstellung. Ich glaube, dass jeder Mensch in seinem Leben nur ein Rätsel wirklich lösen kann. Und dieses Rätsel muss er zum Mittelpunkt seines gesamten Lebens machen, muss dem alle anderen Probleme und Problemchen unterordnen, ohne Rücksicht darauf, was andere davon halten.
24.8.2000
Heute habe ich in der Bochumer Innenstadt zufällig Klaus wiedergetroffen. Ich hatte sofort die Idee, ihm von Jonas zu erzählen. Aber dieser Kerl ist wirklich ein dummes, ignorantes Schwein. Irgendwann hat er gesagt, wenn Jonas wirklich solch einen geilen Arsch habe, dann sei es ihm jedenfalls völlig gleichgültig, ob dieser Arsch auf einem Fahrradsattel oder einem Pferderücken sitze. Aber wenn ich so sehr darauf stehe, sollte ich doch mal Ferien auf dem Immenhof machen. Ich gehe davon aus, dass er das nur gesagt hat, um mich zu treffen, und hier und heute schwöre ich, dass er dafür büßen wird. Anschließend ist er mit einem Typen verschwunden, wahrscheinlich sein neuer Freund, auf jeden Fall auch einer von der Sorte Mensch, um die es nicht schade ist und die ich mit der Kneifzange nicht mehr anfassen würde.
25.8.2000
Ich bin gerade von Klaus’ Wohnung nach Hause gekommen. Er hat tatsächlich einen neuen Freund, diese Kreatur, mit der ich ihn in der Stadt gesehen hatte. Das hat ihn aber nicht davon abgehalten, mich ein weiteres Mal zu bedienen. Oder besser gesagt: Das hat mich nicht davon abgehalten, mich ein weiteres Mal von ihm bedienen zu lassen. (Ich kann schon die Idee nicht mehr ertragen, dass einmal zwischen mir und diesem Kerl etwas passiert, was nicht einzig und allein von mir gewollt und in Szene gesetzt wird. Heute hätte es mir am meisten Spaß gemacht, wenn sein angeblicher Freund bei dem hätte zusehen müssen, was ich mit ihm gemacht habe!) Auf jeden Fall ist er jetzt ganz heiß auf Jonas, und das nächste Mal wird er mitkommen. Er war sogar ganz aufgeregt und hat irgendetwas geredet von anonymem Sex auf nächtlichen Autobahnparkplätzen. Ich weiß gar nicht, was dieser Mensch von dem versteht, was man ihm erzählt. Der Kerl kotzt mich einfach an. Aber er wird nicht mehr lange dummes Zeug reden; wenn er Jonas gesehen hat, muss er ohnehin weg. Ich war bei meinem heutigen Besuch bereits besonders vorsichtig. Den Wagen habe ich ein paar Häuserblocks entfernt geparkt und darauf geachtet, dass mich in dem Wohnhaus und in der näheren Umgebung niemand bewusst wahrgenommen hat.
1.9.2000
Heute Nacht war auch Klaus dabei. Und wenn ich bisher noch Zweifel daran hatte, dass Jonas die ganze Sache Spaß macht, dann sind diese Zweifel seit der vergangenen Nacht restlos ausgeräumt. Jonas hat diese Wurst nach allen Regeln der Kunst vorgeführt!
Zunächst hat er mit dem Tier gespielt, wie er es noch nie getan hat, und dann hat er sich von dieser armseligen schwulen Kreatur auf dem Pferderücken bedienen lassen. (Für Klaus war es ohne jeden Zweifel der Höhepunkt seines Scheißlebens, und wenn etwas am schönsten ist, sollte man bekanntlich damit aufhören.) Ich muss unbedingt eine Möglichkeit finden, derartige Bilder festzuhalten. Zu fotografieren wage ich nicht, weil ich alles vermeiden muss, was die Aufmerksamkeit des Alten wecken könnte.
An der Uni habe ich heute Mittag diesen verrückten Märchenerzähler wieder getroffen, der vor ein paar Tagen mit Lars auch auf dem Unifest war. Eigentlich ist das ein alberner Kerl und ich weiß noch immer nicht einmal seinen Namen, aber beim Essen in der Mensa ist er doch einmal ganz hellhörig geworden, als ich mein Interesse für Pferde bekundet habe. Natürlich habe ich das ganz allgemein und unverbindlich getan und er hat dann irgend etwas von der mythologischen Bedeutung dieser Tiere erzählt. Er studiert wie Lars Germanistik und interessiert sich für Volkspoesie. (Was immer das im einzelnen sein soll.)
Interessanter war die Tatsache, dass er im Augenblick ein Seminar über den Kriminalroman besucht. Er war ganz begeistert über meine Behauptung, dass nur der Kriminalroman wirklich von Bedeutung ist, in dem deutlich wird, dass das Opfer seinen Mörder immer schon gekannt hat, weil es ihn ansonsten nicht so zielstrebig suchen kann.
Ich glaube, er hat überhaupt nicht verstanden, was ich meine. (Vielleicht habe ich das ja selber noch nicht so ganz. Ich habe es irgendwann mal in einem Krimi gelesen und fand es interessant.)
Aber mit Klaus habe ich jetzt ein Problem.
3.9.2000
Mir ist eine grandiose Idee gekommen. Erwachsene zum Sehen zu bringen ist äußerst schwierig, weil ihnen schon die Sprache der ersten Welt in jeder Beziehung im Wege steht. Aber bei Kindern ist das etwas anderes. Kinder sind noch weitgehend unverdorben, was die Einflüsse der ersten Welt betrifft. Die Vorstellung, ein Kind zum Sehen zu bringen macht mich unendlich geil.
4.9.2000
Auf keinen Fall darf es ein Kind aus der Nachbarschaft sein. Es wäre zu gefährlich. Und außerdem ist die Rolle, die ich spiele, mittlerweile so unendlich weit entfernt von all dem spießigen Getue rings um mich. Ich will andere aufrütteln, aber ich habe keine Lust, dies mit einem Wust an Worten tun zu müssen, die letztendlich ohnehin bei diesem Spießerpack nichts fruchten. Überhaupt verachte ich die Sprache immer mehr, weil sie das Leben verhindert. Man muss Bilder sehen und überzeugt sein. Und wenn man sie sieht, ganz einfach die Klappe halten.
6.9.2000
Ich bin heute bis ins südliche Ruhrgebiet gefahren, aber ich habe nichts Geeignetes gefunden. In den letzten Tagen lebe ich in einer fürchterlichen Unruhe, weil ich genau weiß, was ich will, aber nicht weiß, wie ich dies umsetzen kann. Um zu finden, muss man vorher genau festlegen, was man sucht, und planen, wie man es bekommt.
Es kann kein Kind aus den sogenannten besseren Kreisen sein. Die Gefahr einer sofortigen Entdeckung ist viel zu groß. Es muss ein Kind sein, das weniger behütet ist, dessen Verschwinden für eine ganze Nacht sogar unentdeckt bleiben kann. Bei den behüteten Kindern besteht zudem die große Gefahr, dass sie sich von dem Gerede der Erwachsenen einfangen lassen, dass sie schon davon infiziert sind und diese altklugen Gören sich möglicherweise verplappern und alles zunichte machen. Ich suche also ein weniger behütetes Kind, das möglichst wenig Gelegenheit hat, mit Erwachsenen zu reden.
9.9.2000
Ich fahre herum, und es bringt gar nichts.
10.9.2000
Nichts. Gar nichts. Bin heute bis ins Bergische Land gefahren. Nur eine Erkenntnis gewonnen: Auf dem Land ist es auf jeden Fall viel zu gefährlich. Da fällt ja schon ein fremdes Auto auf. Es muss in einer Stadt sein.
11.9.2000
Dieses sinnlose Herumfahren macht mich völlig fertig. Ich war schon seit Tagen nicht mehr an der Universität. Die Prüfung in der nächsten Woche interessiert mich nicht im geringsten, und doch muss ich sie unbedingt bestehen; Mutter spricht mich andauernd darauf an. Ich darf nicht auffallen. Auf gar keinen Fall darf ich jetzt auffallen.
13.9.2000
Ich glaube, es klappt. Auf einem Spielplatz in Essen-Stoppenberg. Ziemlich heruntergekommene Gegend. Die Mutter ist alleinerziehend und berufstätig. Die Kleine ist nach dem Kindergarten bei ihrer Oma, und das heißt meistens