Der Fluch des Nazigoldes. Anselm Weiser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anselm Weiser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741807343
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Erinnerungen übersprang er das Negative seines Auftretens. Ohne Grund für die spürbare Ablehnung hielt er alle anderen für Arschlöcher. Stielhammers Selbstüberschätzung führte zur Einsamkeit und nahm groteske Formen an. E. R. hatte diese Neigung zum Größenwahn von seinem ersten Ich Franz Stielhammer übernommen, die er seinerzeit mit anderen Zeitgenossen teilte.

      Dass er ihn in seinem zweiten Leben mit dem ungeliebten Namen Ewald Rudloff nicht ausleben konnte, war sein Problem. Im Alter führte seine große Zeit als Sturmbannführer Dr. Franz Stielhammer zur Verherrlichung. In besinnlichen Stunden trauere er in Rückblenden dieser Zeit nach.

      Die am achten Mai 1945 erfolgte Kapitulation, deren Geschehnisse er den Grundstock seines späteren Vermögens verdankte, war der Grund für seinen Identitätswechsel. Manchmal bedauerte er diesen und fragte sich, ob er notwendig gewesen war. Seiner Meinung nach hatte er bis zu diesem Zeitpunkt nichts als seine Pflicht getan. Die Angelegenheit mit dem geraubten Gold war nicht ganz zu rechtfertigen, hätte sich aber hinbiegen lassen. Niemand, außer sein Schwiegervater Karpinski, wusste davon.

      Mitte April 1945 erhielt Sturmbannführer Franz Stielhammer den Befehl, mit dem gesamten Ersatzbataillon und verfügbarem Geschütz an die Ostfront abzurücken. Die Amerikaner standen bei Aschaffenburg, und Wien war bereits gefallen. Ein Kontingent junger Rekruten, keiner über siebzehn Jahre und erst vor zwei Tagen eingerückt, wurde uniformiert, mit Karabinern ausgerüstet und ohne Ausbildung in die Schlacht um Aschaffenburg geschickt. Stielhammer rollte mit dem vierhundert Mann zählenden Ersatzhaufen per Bahn nach Osten. Ab Linz, wo es infolge eines Sabotageaktes im Bahnhofsareal drei Tote gab, fuhren sie mit den eigenen Zugmaschinen weiter. Bei Kirchberg an der Pillach stießen sie befehlskonform auf die Reste, die sich auf dem Rückzug befanden. Sie waren nach schweren Kämpfen in Ungarn und um Wien stark dezimiert. Irgendeine schützende Hand schien sie vor weiteren Zusammenstößen mit der Roten Armee bewahrt zu haben.

      Ein Marschbefehl aus dem Führerhauptquartier beorderten Stielhammer am fünfundzwanzigsten April nach Linz. Zu seinem großen Erstaunen stand er dort seinem Vater gegenüber, den er in Berlin vermutete. Die Begrüßung war eher sachlich. Franz erstattete, wie es sich einem Vorgesetzten gegenüber gehörte, mit ausgestreckter Hand Meldung über sein Eintreffen. Der Vater sagte nur lächelnd und ohne die Hand zu erheben: »Schon gut, Franz. Im übrigen gratuliere ich dir, du machst deine Sache nicht schlecht.« Er wirkte müde. Die Bewunderung, die Franz Stielhammer früher für den Vater ergriff, war einer ernüchternden Beurteilung gewichen. Der Vater war schlank und leicht ergraut, sah jetzt besser aus als je zuvor. Auf Franz Frage: »Wie steht es, Vater?« bekam er eine lakonische Antwort. »Beschissen, aber nicht hoffnungslos! Genügt dir das?« Dann folgte die Erklärung für das spontane Treffen.

      Marschbefehl für Franz zur Entgegennahme und Durchführung eines Goldtransports von Mailand nach Franzensfeste in Südtirol. Es handelte sich um Gold der italienischen Nationalbank, das Mussolini als Beitrag Italiens für die Weiterführung des Krieges gegen die Sowjets zur Verfügung gestellt hatte. Nach einem angestrebten Friedensschluss mit den Westmächten würde das Geld für weitere Waffenkäufe im neutralen Ausland benötigt. So die offizielle Version. »Übrigens wird Mussolini in den nächsten Tagen in Deutschland erwartet.« Auf Franz Frage: »Ist es nicht etwas spät« kam die Antwort: »Diese defätistische Frage habe ich nicht gehört. Selbst wenn die Alliierten zu dumm wären, um auf unser Friedensangebot nicht einzugehen und wir bedingungslos kapitulieren müssten, wäre der Kampf nicht zu Ende. Mit geheimen Konten in der Schweiz und in Südamerika können wir verbleibende Seilschaften im In- und Ausland am Leben erhalten. Du wirst sehen, wir kommen wieder!«

      E. R. war unversehens wieder in sein erstes Ich geschlüpft und versuchte sich davon zu lösen, Stielhammer als selbständige Person zu betrachten und sich nicht mit ihm zu identifizieren. Er erinnerte sich, dass er, nein Franz oder noch besser Stielhammer, nicht an diese Version geglaubt hatte. Er bezweifelte, dass der Vater sich als eine Art Hüter des Grals oder des Nibelungenschatzes sah. Dafür hatte Gold über alle Ideologien hinweg eine viel zu starke Anziehungs- und Verführungskraft. »Genug der Spekulationen« sagte sich E. R. und kehrte zu seinen Erinnerungen und den Worten des Vaters zurück.

      »Der Marschbefehl ist zugleich Auftrag und Passierschein und vom Führer persönlich unterzeichnet. Du übernimmst damit eine heikle und wichtige Mission, mein lieber Franz. Der Auftrag ist ohne Rücksicht auf Verluste durchzuführen, gegebenenfalls gegen anderslautende Befehle örtlicher Kommandostellen. Wenn es sein muss, auch mit Waffengewalt.« Nach einer kleinen Pause fuhr der Vater fort. »Noch etwas - und das betrifft nur uns beide. Es wäre bei dem Stand der Dinge möglich, dass wir in Zukunft getrennte Wege gehen müssen und mit falschen Namen operieren. Du verstehst. Ich habe vor etlichen Jahren in Basel einen Kreis von Freunden aufgebaut, wir nannten ihn die Seilschaft, der uns den Weg zu Banken ebnete. Für Goldtransporte in die Schweiz, zur Erlangung von Devisen, die das Reich zum Einkauf kriegswichtiger Materialien und Waffen in neutralen Ländern benötigte. Dabei sind, ganz legal, Provisionen in Millionenhöhe angefallen, von denen ich ein Viertel beansprucht habe, inoffiziell natürlich. Der Kreis bestand aus vier Herren, die sich zu Stillschweigen verpflichten mussten, auch gegenüber ihren Familien. Zu brisant waren diese Transaktionen, als dass sie an die Öffentlichkeit gelangen durften, ob in Deutschland, in der Schweiz und vor allem gegenüber den Alliierten.

      Zentrale Figur war ein Notar, bei dem alle Fäden zusammenliefen. Ferner gehörten der Seilschaft noch ein Bankdirektor der BIZ und ein höherer Zollbeamter an, der für die reibungslose Abwicklung an der Grenze zuständig war. Es passierten auch Antiquitäten, Juwelen und Kunstwerke die Grenze. Diese wurden natürlich legal erworben, wenn auch zu günstigen Preisen, mit deren Beträgen sich die Verkäufer, meistens Juden, ins Ausland absetzen konnten. Die Gattin des Notars hatte ein Antiquitätengeschäft, über das sich dieser Handel abwickeln ließ. Sie war die Einzige, die von der Seilschaft wusste. Als Jurist im Führungsstab Hitlers hatte ich an der Vorordnung für die Anmeldung des Vermögens von Juden für die Arisierung in Österreich mitgewirkt und damit die Wege geebnet. Der Notar übernahm auch Treuhandaufträge für Schwarzgeldkonten aus Deutschland. An diesen Geschäften war ich nicht beteiligt. Dieser Geldtransfer war aus deutscher Sicht illegal. Ich konnte nichts dagegen unternehmen, da ich sonst die Seilschaft gesprengt und den Goldtransfer gestört hätte.

      Man darf, wie du siehst, nicht kleinlich sein. Für den Fall, dass mir etwas zustoßen sollte, wäre es schade, wenn mein Guthaben, das in einem Banksafe und auf einem Nummernkonto liegt, meinem Freund dem Notar, der Vollmachten besitzt oder den Banken zufallen würde. Das, was ich dir gerade erzählt habe, sollte dir genügen, um an diese Gelder heranzukommen. Merken musst du dir, ohne es aufzuschreiben, der Notar heißt Dr. Simon Karpinski, seine Frau Johanna. Dies hier ist der Schlüssel zum Bankschließfach bei der genannten Bank in Basel, das ich für zehn Jahre im voraus bezahlt habe. Das Codewort heißt Franz. In dem Fach befinden sich eine Million US-Dollar und der Schlüssel sowie die Nummer eines zweiten Schließfaches und der Name der Bank. Die Unterlagen über ein Nummernkonto sowie ein gewöhnliches Sparbuch mit einer unbedeutenden Summe.

      Sollte es irgendwelche Schwierigkeiten geben, kann Karpinski dir helfen, wenn es sein müsste unter leichtem Druck. Er ist sicher nicht daran interessiert, dass besagte Machenschaften publik werden. Mag sein, dass du dich über diese Seite deines alten Herrn wunderst, aber du kennst nicht die Intrigen und das Machtstreben bei den Spitzenleuten unseres Systems. Meine Ehre heißt Treue steht zwar auf unserem Koppelschloss, das gilt nur für die Waffen-SS. In der Clique um Himmler gilt das Gesetz der Wildnis.«

      Als Franz nach diesen Eröffnungen sprachlos blieb, fuhr sein Vater fort. »Ich sehe, du wunderst dich. Nach internationalem Recht sind meine Handlungen legal. Im übrigen hat auch Hitler, wie mir zugetragen wurde, ein Konto in der Schweiz, über dessen Höhe ich nicht Bescheid weiß. Hast du dir die Namen und Nummern gemerkt?« Als Franz bejahte, sagte er:

      »Gut, ich lade dich jetzt zum Essen ein. Am Abend bringt dich eine Sondermaschine nach Mailand.«

      Der als geheime Reichssache bezeichnete Goldtransport, der ein Teil des Goldschatzes der italienischen Nationalbank war, war als Truppenverschiebung getarnt. Eine achtkommacht cm Flakbatterie mit sechs Geschützen und Zugmaschinen mit je drei Tonnen Gold in Barren