Die Seele des Ruhrgebiets wäre dann weg. Thomas Hölscher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Hölscher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783750218901
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von irgendwoher nach Hause komme und schon von weitem den Tannenbaum auf dem Förderturm von „Nordstern“ sehe, dann ist der für mich immer noch das Symbol für Heimat schlechthin. Und das hat auch mit Gefühlsduselei nichts zu tun; das ist einfach ein Symbol für einen ganz wichtigen Teil meines Lebens. Und eben nicht nur meines Lebens. Der Bergbau hat diese ganze Region und auch die Menschen des Ruhrgebiets geprägt. Unter Tage hat es z.B. nie eine Diskriminierung anderer gegeben, keine Apartheid, weil unter Tage alle schwarz waren, ob sie nun Türken, Deutsche, Polen oder sonstwas waren. Und diese Kameradschaft und Toleranz haben auch nie nach Ende der Schicht am Zechentor aufgehört. Gerade im Hinblick auf solche Dinge ist das Ende des Bergbaus besonders schade.

      Und natürlich wegen ganz konkreter Probleme, wegen der Arbeitsplätze, die im und um den Bergbau schon weggefallen sind oder noch verloren gehen. Ich hoffe zwar, dass das Ruhrgebiet auch eine gute Zukunft hat, weil die Menschen hier nie aufgegeben und es immer verstanden haben, wieder auf die Beine zu kommen; aber im Augenblick sehe ich diese Zukunft noch nicht. Am schlimmsten ist die hohe Arbeitslosigkeit. Wer will es einem Langzeitarbeitslosen denn verübeln, dass er irgendwann einfach den Mut verliert? Die Menschen hier sind gewohnt, hart zu arbeiten und anzupacken, und nun vermittelt man ihnen das Gefühl, Menschen zweiter oder dritter Klasse zu sein und nicht mehr dazu zu gehören. Lediglich noch sein Geld beim Sozialamt abholen zu dürfen, das ist einfach erniedrigend und menschenunwürdig.

      3. Ich möchte lebenden Bergbau, nicht Bergbau-Geschichte

      Wolfgang Neuhaus, 53 Jahre, Betriebsrats-Vorsitzender i.R.

      Ich bin 53 Jahre alt und habe 39 Jahre auf dem Bergwerk "Hugo" gearbeitet, zuletzt war ich dort Betriebsratsvorsitzender. Gelernt habe ich Maschinenschlosser für den Untertage-Bereich. Als ich auf der Zeche anfing, hatte der Beruf des Bergmanns keinen besonderen Ruf, aus meiner Sicht war er allerdings völlig verkannt. Dies wurde zum erstenmal ganz deutlich, als der Bergbau sich aus dem Süden des Ruhrgebiets völlig zurückzog und Opel in Bochum eine Fabrik aufbaute. Viele Bergleute haben damals bei Opel angefangen und sind anschließend zum Bergbau zurückgekehrt. Die Arbeit in der Fabrik war ihnen zu eintönig, nicht abwechslungsreich genug. Der Beruf des Bergmanns war meiner Meinung nach in der Öffentlichkeit verkannt, weil er öffentlich gar nicht sichtbar ist. Das ganze Arbeitsleben spielt sich schließlich unter Tage ab. Und in Wirklichkeit ist dieses Arbeitsleben sehr interessant, weil der Bergbau lebt: Damals haben sich im Bereich der Kohlegewinnung die Arbeitsplätze tagtäglich um zwei bis drei Meter verschoben, heute sogar um sechs bis acht Meter pro Tag. Jeden Tag ist man eigentlich vor neue Aufgaben gestellt, können unerwartete Dinge auf einen zukommen, neue Herausforderungen, auf die man reagieren muss. Man sagt ja auch: Vor der Hacke ist es duster. Hinzu kommen Fragen des Arbeitsschutzes, der Sicherheit, die große Kollegialität, die Verantwortung füreinander und die Tatsache, eigentlich jeden Tag an einer anderen Ecke gebraucht zu werden. Das zeichnet den Bergmann aus, in gewissem Rahmen eine unwahrscheinliche Eigenständigkeit, die andere so nicht erreichen. Der Bergmann muss sich viel zutrauen und anpacken können. Deutlich wird das doch auch im übertägigen Bereich, z.B. in den Bergarbeitersiedlungen. Da wird geschafft, gewerkelt, gearbeitet, die Leute können einfach zupacken.

      - Sie erwähnten gerade die besondere Kollegialität unter den Bergleuten. Gibt es im Bergbau wirklich ein ganz besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl?

      Wo Menschen auf engem Raum zusammenarbeiten, können natürlich immer Kameradschaften entstehen. Im Bergbau kommt die große Verantwortung hinzu, die unter Tage jeder für den anderen trägt. Und so etwas wird auch in das Privatleben hineingetragen. Das gaben natürlich auch schon die alten Siedlungen her, und außerdem waren die - heute würde man vielleicht sagen: Hobbys - weit verbreitet und gleich geartet: neben der Tierhaltung vor allem der Taubensport. Ich habe bei uns auf der Zeche mal in alten Akten herumgewühlt und dabei festgestellt, dass noch in den 30er Jahren seitens der Zeche der Umfang der Tierhaltung unter den Bergleuten nachgehalten wurde. Und wenn diese Zahlen sich erhöht hatten, wurde das jeweils mit Stolz zur Kenntnis genommen. Es war einfach so, dass in den Siedlungen auch der Bereich der Freizeit weitgehend gemeinsam gestaltet wurde, und auch das hatte zur Konsequenz, dass so etwas wie Kollegialität und Kameradschaft doch in besonderem Maße entstanden. Heutzutage gibt es all das nur noch in geringem Maß. Die Gesellschaft hat sich schließlich insgesamt verändert, außerdem wurden keine neuen Siedlungen mehr gebaut. Im Wohnungsbau ist man übergegangen zu meist mehrgeschossigen Miethäusern, und damit entstanden ganz andere soziale Verhaltensweisen, und es verschwand die ursprüngliche Atmosphäre, die das Leben in den Siedlungen geprägt hatte. Ferner darf man bei dieser Entwicklung die Rolle der Massenmedien, vor allem des Fernsehens, nicht vergessen.

      - In einem Zeitungsbericht der WAZ werden Sie mit den Worten zitiert: "Ich möchte lebenden Bergbau, keine Bergbaugeschichte." Sollte das einen frommen Wunsch zum Ausdruck bringen, oder halten Sie das für eine realistische Perspektive?

      Der deutsche Bergbau wurde - zumindest in den letzten Jahren - bestimmt durch die Politik. Und das wird auch wohl so bleiben. Unter dieser Vorgabe ist es in der Tat nicht einfach, von einer Zukunftsperspektive zu reden. Die Politik muss mitspielen, die Bürger müssen mitspielen. Unter dem Aspekt der Bedeutung unserer Kohle als Rohstoff bin ich der Ansicht, dass es hier mit dem Bergbau weitergehen muss. Nach meiner Ansicht muss es für den deutschen Bergbau eine Zukunft geben, eine recht lange sogar noch. Wenn man Sorgen und Ängste um den eigenen Arbeitsplatz hat, orientiert man sich natürlich vor allem an bestimmten Daten und Zahlen, und dann komme ich zu dem Ergebnis, dass über einen sehr langen Zeitraum noch Steinkohle benötigt wird, zur Verstromung, zur Wärmeerzeugung und zu all dem, was aus Steinkohle noch produziert wird. Ich bin also trotz allem eher optimistisch. Wenn man die Entwicklungen der letzten Zeit betrachtet, dann muss man doch die Unsicherheitsfaktoren bei den Energien erkennen, die wir im Augenblick importieren. Nehmen wir z.B. unsere Gasversorgung aus Russland: Ist die auf dem Hintergrund der politischen Instabilität dort wirklich so sicher? Oder nehmen wir den ehemaligen Ostblock insgesamt: Wenn in den jetzt veränderten Staaten die Wirtschaft einmal ans laufen kommen sollte, dann werden die ihre eigenen Energien in viel größerem Ausmaße selber benötigen und nicht mehr zu Tiefstpreisen exportieren. Wir würden uns dann wohl andere Märkte suchen müssen und spätestens, wenn wir diese Märkte nicht mehr finden, fragen, wo wir noch eigene Rohstoffe und Bodenschätze haben. Wir werden wieder auf unsere eigenen Rohstoffe zurückgreifen müssen, unabhängig davon, ob die Kosten dafür etwas höher sind oder nicht.

      - Als Sie in den 50er Jahren im Bergbau abgefangen haben, hätten Sie sich da vorstellen können, dass es einmal mit dem Bergbau in Deutschland zu Ende geht?

      So etwas konnte ich damals gar nicht beurteilen. Ich hatte allerdings gerade ausgelernt, da hatten wir schon die ersten Feierschichten. Ganz konkret hatten wir hier auf dem Bergwerk in den Jahren '58 und '59 einmal 32, einmal 35 Tage arbeitsfrei, weil wir unsere Produkte schon damals nicht loswerden konnten. Eigentlich hat die Krise aber schon 1956-57 begonnen, zumindest im politischen Bereich; denn damals sind auf Bundesebene die Entscheidungen gefallen zum Aufbau der Kernenergie und zur verstärkten Nutzung von Öl. Beide Produkte, die man damals für den deutschen Markt zugelassen hat, waren schon zu jener Zeit viel billiger als unsere eigene Energie. Das war der eigentliche Einstieg in die Krise des Bergbaus. Damals hatten wir noch fast 700000 Beschäftigte im Bergbau; heute sind wir noch knapp über 110000 Beschäftigte.

      - Hat sich durch die augenblickliche Krise das Arbeitsklima auf der Zeche verschlechtert?

      Nein. Insgesamt spannt die augenblickliche Situation natürlich an, weil sie ja doch die Gefahr in sich birgt, von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein. Verständlicherweise kostet diese Unsicherheit jeden ein paar Nerven. Aber auf das Verhältnis untereinander hat das keine negativen Auswirkungen. Unter dem Gesichtspunkt der Kostenminimierung ist der Druck im Betrieb zwar gestiegen, es gibt viel mehr Situationen von Stress oder sogar Dauerstress, und dementsprechend gibt es natürlich auch mehr Reibungspunkte; und doch hat, was früher Gültigkeit hatte, auch heute noch Gültigkeit. Mit der Einschränkung allerdings, dass sich die Gesellschaft insgesamt verändert hat. Wir sind alle größere Egoisten geworden, das verspürt man schon. Wenn ich einmal davon ausgehe, dass wir, schon eine ganze Zeit in der Bergbaukrise steckend, immer noch Anwerbung von ausländischen Mitarbeitern betrieben haben, weil die