ATTENTI AL CANE! - e al padrone. T. F. Wilfried. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: T. F. Wilfried
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741827426
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der Taxifahrer gibt alles, ich kann den Bahnhof schon sehen!« Nach interner Statistik schaffte es Mongo so zu fünfzig Prozent, den Bummelzug Richtung Rotenburg an der Wümme noch zu erwischen. Rein rechnerisch erreichte Presbyter mit seiner Statistik mehr Türbesitz bei der Deutschen Bundesbahn als der HSV Ballbesitz in den meisten Spielen. Und brachte damit den Fahrplan etliche Male gehörig durcheinander.

      Verlor der Presbyter den Türbesitz an den Zugbegleiter, bedeutete das für Mongo: ICE! Natürlich nicht regulär mit Fahrschein. Die letzte Kohle war je gerade erst in der Taxe drauf gegangen.

      Also war wieder einmal Toilettengang angesagt, sobald der Schaffner in Sichtweite war. Und ansonsten unauffällig unter die übrigen Fahrgäste mischen. Wie Mongo das immer wieder von Dortmund bis Hamburg hinbekam - mit Fan-Schal und Bierflasche in der Hand -, sollte sein Geheimnis bleiben.

      Tom-Tom konnte sich jedenfalls an keinen Spieltag erinnern, an dem Mongo die Asi-Ticket-Fahrgemeinschaft verpasst hatte und nicht trotzdem pünktlich, ja sogar vor dem Rest, in Hamburg angekommen war: »Wie hast’n das gemacht?« »ICE natürlich!«

      Mehr Spaß machte es allemal, wenn die Truppe geschlossen im Abteil war. Dies traf insbesondere auf Liebhaber lauthals gegrölter Fangesänge, überall herumkullernder Bierflaschen und bis zum Anschlag aufgedrehtem portablen Party-Booster zu, welcher mit liebreizendem Kulturgut von Griechischer Wein über Schatzilein… bis Kniet nieder Ihr Bauern gefüttert war. Zur Karnevalszeit angereichert um die Hits der Session. Waren Holländer dabei, konnte es auch mal Schatje mag ik je foto sein, was da die Waggonscheiben scheppern ließ.

      Tom-Tom beschlich bereits bei der ersten Tour, die er mitmachte, das vage Gefühl, dass außer der Truppe selbst niemand sonst im Abteil so recht Presbyters Musikgeschmack teilen mochte. Von der Lautstärke ganz zu schweigen. Man kann es auch anders ausdrücken: Die Truppe ging allen anderen im Zug gehörig auf die Nerven und machte dem Namen Asi-Ticket alle Ehre.

      Getoppt wurden die Auftritte, sobald sich weitere Fangruppen im Zug befanden. Dies war nachgerade regelmäßig der Fall. Denn, wenngleich sie selbst zu einem Heimspiel unterwegs waren, hatten die Fans der Mannschaften aus dem Westen und Südwesten der Republik, die ihre eigene Mannschaft in Hamburg unterstützen wollten, ja die gleiche Zugverbindung.

      Und spätestens an den Umsteigebahnhöfen traf man auf Fangruppierungen anderer Vereine, die von Nord nach Süd, von Ost nach West unterwegs waren. Also immer viel los an Spieltagen in den Zügen der Republik.

      Eigentlich sollte die Deutsche Bahn an solchen Tagen von den übrigen Gästen einen Top-Zuschlag verlangen. Ein solches Event bieten Musical, Vergnügungspark und Docu-Soap zusammen nicht.

      Kam dann noch ein gestandener Kegelclubausflug dazu, war eines sicher: Sie würden nicht in gleicher Truppenstärke die Rückfahrt beenden, in der sie morgens eingecheckt hatten.

      Der Holländer hatte sich mit drei richtig schnuckeligen Mädels aus einer Truppe, die auf dem Kiez einen lebhaften Junggesellinnen-Abschied gefeiert hatte, dereinst dermaßen enthusiastisch verquatscht, dass sie gleich bis Amsterdam durchgerattert sind.

      Angeblich haben sie dann in Amsterdam da weiter gemacht, wo sie auf dem Kiez aufgehört hatten. Die Geschichten, die der Holländer im Anschluss über die Nacht in Amsterdam zum Besten gab, waren spektakulär, schienen aber doch ein wenig übertrieben.

      Zum Beweis seines heroischen Einsatzes hatte der Holländer die Rechnung des Hotels mitgebracht, in welchem die wilde Party stattgefunden haben sollte. Sie erhielt einen Ehrenplatz in seiner Stammkneipe neben den schönsten Auswärts-Tickets, welche er dort seit Jahren zur Schau stellte und nach jedem besonderen Spieltag neu anordnete.

      Nun gut, hatte er also Auswärtsspiel gehabt in Amsterdam. Mit Verlängerung und Elfmeterschießen. Es bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung, dass sich der Holländer nach eigener Schilderung keinen einzigen Fehlschuss geleistet hatte.

      Mongo und der Presbyter waren auf der Skala der anthropologischen Rückentwicklung zum Kleinkind a la neanderthalensis, welche ein Fan-Leben nach ihrem Gusto so mit sich brachte, ordentlich weit gekommen.

      Beide konnten sich im Gehen zielsicher übergeben, ohne erkennbar abzubremsen (war wichtig, um den letzten Zug nicht zu verpassen!); Pinkeln war immer und überall möglich, egal wer oder wie viele dabei zusahen (enorm wichtig, schaffte Platz für neues Bier!); und konnten in jedweder Stellung, Situation und Wetterlage tief und fest meditieren (wichtig für die Regeneration; der Presbyter war mit seinem Halbzeit-Nickerchen in vorderster Front der Fans damit bildschirmfüllend bis in die Sportschau vorgedrungen; das Spiel war aber auch wirklich zum Einschlafen!). Und wenn mal gar nichts mehr ging, hatten sie ja immer noch Mutti, der sich um alles kümmerte. Wie das halt bei Flaschenkindern so ist.

      Mutti und die beiden ergänzten sich richtig gut. In Muttis Bordbuch waren sämtliche Zugverbindungen, Abfahrtszeiten, Bahnsteige und Alternativ-Verbindungen peinlichst genau notiert.

      Wie es sich für einen ordentlichen Reiseleiter gehörte, hatte Mutti die Truppe eingeschworen, wie viel Zeit für Jubel nach Spielende eingeplant war, damit die Abfahrtszeit für die Rückfahrt auch penibel eingehalten werden konnte. Und wie es sich für eine ordentliche Reisetruppe gehörte, hielt sich keine Sau an Muttis Konzept.

      In der Autostadt sollte sich dieser Ungehorsam jedoch einmal als äußerst zielführend erweisen. Mutti hatte sich mit dem Bahnsteig für die Abfahrt vertan. Geschah übrigens nahezu regelmäßig. Der Zeitplan war bedingungslos eng kalkuliert und nicht einzuhalten. Geschah auch nahezu regelmäßig.

      Mongo und der Presbyter hatten bei der Ankunft in der Autostadt einen noch fast gefüllten Kasten Bier am Ende des Bahnsteigs hinter dem letzten Prellbock versteckt und hörten natürlich einen Teufel auf Mutti, der aufgeregt in die entgegengesetzte Richtung zerrte und lauthals auf maximal verbleibende dreißig Sekunden bis Abfahrt hinwies.

      »Nich' ohne den Kasten!«, war die energische Widerrede des Presbyters. Von Mongo kam der Standardsatz:

      »Wir können ja immer noch ICE fahren!« Während Mutti irgendetwas von »ihr könnt mich doch mal alle!« brabbelte und heftig hyperventilierte, behielt der Avvocato die Übersicht, hielt Mutti am Ärmel fest und meinte: »Lasst uns doch einfach einsteigen. Unser Zug steht hier auf demselben Bahnsteig, auf dem wir angekommen sind.«

      Mutti wollte sich trotzdem nicht beruhigen und zog sich schmollend in den letzten Winkel des Abteils zurück. Die anderen bekamen ein Bier, der Holländer baggerte die Schaffnerin an und Mongo konstatierte: »Wir hätten ja immer noch den ICE nehmen können!«

      Alles war, wie es immer war. Und als der Holländer die Schaffnerin beim nächsten Durchgang dazu brachte, mit ihm Sirtaki zu tanzen - quasi als Belohnung, weil er tatsächlich dem Presbyter eine leichte Reduzierung der Lautstärke abgerungen hatte -, trollte sich auch Mutti wieder aus seiner Schmollecke und klatschte mit dem Rest des Abteils zum Takt der Musik. Also, ging doch.

      Im Normalo-Leben, also so ohne Alkohol und Fan-Schal, waren sowohl Mongo wie auch der Presbyter im Grunde so, wie sich jede zukünftige Schwiegermutter ihren Schwiegersohn vorstellen mochte.

      Mongo brachte vor lauter Schüchternheit kaum ein Wort hervor - ganz ideal für Schwiegermütter - und war genau der Typ, welcher nicht nur seinen Sitzplatz für die ältere Generation räumte, sondern auch noch die Einkaufstaschen bis nach Hause trug.

      Auch ohne Alkohol konnte der Presbyter einem zwar einen Knopf an die Backe labern. Aber mit seiner augenfälligen Kassenbrille, die er immer trug, wenn er bei Fahrten mit dem Auto das Steuer übernehmen musste, sah er richtig seriös aus. Konnte ausgesprochen eloquent räsonieren und war in seinem gesamten Auftreten einfach nur best choice of son-in-law.

      Wer die Degeneration zum Fan on tour meets the devil nicht miterlebt hatte, konnte überhaupt nicht nachvollziehen, wieso jemand an Mongo und dem Presbyter etwas auszusetzen haben könnte. Beides richtig