Das Myzel. Paul Hartmann Hermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Hartmann Hermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844249767
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bizarre Felsen wie Skulpturen aufragten. Hier hatte ein Riese mit großen Brocken gewürfelt.

      Nachdem man etwa zweihundert Höhenmeter bewältigt hatte, bog man auf ein Plateau ab. Da lag Endos Campo, mitten im Naturschutzgebiet. Es gab nur einen Nachbarn weit und breit, einen Kuhbauern, der ein paar hundert Meter weiter mit seinen wenigen Tieren in einem einfachen Gehöft hauste.

      K. stieg aus dem Wagen aus und dehnte sich. Das letzte Mal war er vor fünf Jahren hier gewesen. Da hatte sich das Hausprojekt noch in der Planung befunden. Er setzte sich auf einen Gartenstuhl vor dem Haus. Mitten auf dem Vorplatz war vor einem Mauerfragment ein großer Sandhaufen aufgeschüttet worden, wahrscheinlich Bausand, dachte er sich. Und überall strichen Katzen herum.

      Jetzt war der Hausherr angekommen. Endo hatte scharf gebremst. Er sprang aus seinem alten Land Rover.

      „Hey Alter, gut dass du da bist.“

      Es klang so, als wenn er nur auf K. gewartet hätte. Er drückte K. an seine Brust, dass diesem schier die Luft wegblieb.

      Endo äußerte sich nicht zu K.s körperlicher Verfassung. K. empfand das als äußerst rücksichtsvoll. Man hätte durchaus Ansatzpunkte zum Frotzeln gehabt. Ein biologischer Zeitraffer hatte K.s Gesichtsregion aufquellen und zusammen mit der Haut am Hals verwittern lassen. Die Haare waren innerhalb der letzten fünf Jahre fast vollständig ergraut und auch lichter geworden. Über dem Gürtel wölbte sich ein breiter Kiel, den K. mit der Restkraft seiner Bauchmuskeln einzufahren versuchte.

      „Jetzt zeige ich dir erst mal das Haus. Es hat sich einiges getan. Du bleibst ja ein Weilchen, da solltest du wissen, wo es lang geht.“

      Das Haus selbst war nicht groß. Das Erdgeschoss wurde beherrscht durch einen großen Raum. Dahinter lag eine kleine Küche. Über eine schmale Holztreppe gelangte man in das niedrige Obergeschoss, welches über eine Galerie mit dem Hauptraum verbunden war und auf dem sich mehrere Schlafgelegenheiten befanden. Das alles war schlicht und bescheiden. Dem lag kein anspruchsvolles gestalterisches Konzept zugrunde. Alles war durch reine Zweckmäßigkeit geprägt.

      Seitlich von der Terrasse führte eine Treppe hinab auf eine weitere ebene Fläche. Hier versammelte Endo seine Karatefreunde für meditative Übungen und die Durchführung der gemeinsamen Kata, genau vorgegebenen Bewegungseinheiten zum Training für den Ernstfall. Der künstlich angelegte große Tümpel unweit des Hauses war an seinen Rändern mit Schilf zugewachsen. Überall lagen Schläuche herum, welche zum komplizierten Wasserversorgungssystem gehörten.

      Endo war der alte geblieben: Gedrungener Körper, harte Muskulatur, kein Gramm Fett, leichte O-Beine, eine wilde sonnengebleichte grau-blonde Mähne struppigen Haares, prominente Nase und ein schraubstockartiger Händedruck. Gegen ihn verblasste jeder Actionheld zum Abziehbild. Endo war das Original. Seine Fingergelenke waren rechts wie links keulenartig aufgetrieben. Tausende von Impulskontakten beim Zertrümmern von Holzlatten und Ziegeln hatten die Finger knorrig gemacht.

      Der Mann war voller positiver Energie. Selbst in der Zeit, in der seine beiden Hüftgelenke ihre ursprüngliche knöcherne und knorpelige Struktur zunehmend verloren hatten und sich Gelenkkopf und -pfanne im Röntgenbild als eine amorphen Masse darstellten und er nur noch unter ständiger Schmerzmittelzufuhr und dennoch nicht schmerzfrei laufen konnte, selbst dann war die Aura der Unbesiegbarkeit da gewesen. Gleichwohl hatten sich die Gramfalten tief zwischen Nase und Mund eingegraben.

      Er hatte die Hüftoperationen so lange wie möglich hinausgezögert. Als es dann wirklich nicht mehr ging, wählte er eine Operationsmethode aus, welche den Oberschenkelhals erhielt. Nur die Kugel musste geopfert werden. Was ich hab, hab ich, das war sein Hauptmotto und so verfuhr er nicht nur mit seinen Knochen, sondern auch mit seinen Besitztümern und Freundschaften.

      Nach einem kurzen Rundgang über das Areal ließ Endo trockenen Chiclana aus dem großen Glasballon laufen und sie machten sich über die mitgebrachten Tappas her. Und während man über die gemeinsamen Freunde sprach, verschwand die Sonne Andalusiens hinter dem Horizont. Zwischendurch stand Endo auf und verschwand im Dunkeln. Sein Wiederauftauchen wurde von diversen Schmatzgeräuschen begleitet. Er hatte die Fressnäpfe der Katzen gefüllt. In den Nischen der alten Mauer verspeisten die Tiere ihre Abendmahlzeit.

      „Ich habe ein Herz für Katzen. Das hat sich herum gesprochen. Von überall her laufen mir die Tiere zu. Die fressen mich arm. Und sie haben hier überall hingepinkelt. Jetzt habe ich sie so weit, dass sie ihr Geschäft auf dem Sandhaufen verrichten.“

      Die Katzen schmatzten unentwegt und die Zikaden zirpten um die Wette.

      „Übrigens, ich habe einen Meditationsfelsen“, informierte Endo, „komm mal mit.“

      Vom Plateau des Hanggrundstückes führte ein Holzsteg auf einen vor gelagerten Felsbrocken. Dort oben konnten zwei Personen bequem sitzen.

      „Morgen früh wirst du sehen, dass gleich hier unten ein Mangrovenhain liegt. Vereinzelt sind Pinien und Zypressen eingestreut. Darunter liegen Wiesen, auf denen wilde Calla-Blumen wachsen. Hinter der Landzunge liegt Gibraltar und gegenüber sieht man bereits auf der afrikanischen Seite in Umrissen die Felsformationen von Ceuta. Was da rechts flimmert, das sind die spärlichen Lichter von Tanger.“

      K. war überwältigt. Der Sternenhimmel war hier irgendwie üppiger mit Gestirnen ausgestattet, als zu Hause. Der fast volle Mond warf einen fahlen Lichtstreifen auf die leicht ondulierte Fläche des Atlaniks. Weit und breit war kein Schiff zu sehen.

      Beide schauten über Landschaft und Meer.

      „Wie oft kann man einem die Eier abschneiden?“, fragte K.

      „Wenn du beide auf einmal abnimmst, dann eigentlich nur ein Mal.“

      „Richtig. Und mir wurden beide zugleich abmontiert. Ich bin psychisch entmannt worden. Bei derartigen Metamorphosen verliert man ganz schnell Reputation, Anerkennung, Respekt und soziale Stellung, alles Dinge, die sich langsam aufbauen und die einem dann ganz selbstverständlich erscheinen. Das alles ist nach der Operation schlagartig vorbei. Man ruft dich nicht mehr an, auf der Straße schaut man an dir vorbei, deine Meinung interessiert keine Sau mehr. Einmal im Abseits besteht die Gefahr, dass du deine Bemühungen verstärkst, um wieder so etwas Ähnliches wie deinen alten Status zu erreichen. Und dann kann es passieren, dass du ganz schnell dumme Sachen machst, die dich noch schneller ins soziale Off befördern.“

      Endo schaute K. von der Seite an und lachte. „Du hast das einzig Richtige gemacht. Du bist hierher gekommen.“

      „Ich sehe mich mit meinen letzten Habseligkeiten im geklauten Einkaufswagen auf dem Weg zu meinem neuen Zuhause. Und das liegt unter der Brücke, wo ein großes Feuer in einer Tonne lodert. Um das Feuer stehen verkommene Typen mit zotteligen Bärten und die haben Literflaschen Billigwein in der Hand und grölen. Hier muss ich mich ganz weit hinten anstellen, damit ich dann auch mal kurz an die warme Tonne darf.“

      „Ach nun lass mal, wir finden deine Eier schon wieder“, war der einzige Kommentar zu K.s Lamento. Endo dachte nicht komplex, sondern geradeaus.

      K. wusste, dass er erst mal mit sich selber ins Reine kommen musste, bevor er weitere Pläne schmieden könnte. Er spürte im Laufe der Tage in der Einsamkeit der Küstenberge, wie langsam wieder Zuversicht bei ihm einkehrte. Der Aufenthalt im Campo und die Begegnungen mit Endo wirkten wie eine geheime Kräutermixtur in der Wundsalbe, welche er auf seine aufgescheuerte Seele streichen konnte. Langsam bildeten sich Narben und er fasste wieder Zutrauen zu sich selber.

      Die Stadtresidenz Endos, das Kloster, lag Mauer an Mauer direkt neben der Kirche. Auch damals schon hatte man kurze Wege geschätzt. Beide Gebäude hatten einen gemeinsamen Vorplatz, den Engelsplatz, nur wenige Gehminuten vom Stadtzentrum entfernt. Genau genommen gab es gar kein Stadtzentrum, das Cafe Central war der städtische Mittelpunkt, zumindest für die Surfer.

      Vom Engelsplatz aus war vom Kloster nur ein schmaler Wandstreifen zu sehen. Deswegen unterschätzte man die wahren Ausmaße des Gebäudes. Der Eingang war überwuchert von purpurfarbenen Buganvillen. Öffnete sich ein Flügel der Eingangstüre, trat man in ein großes Patio, welches sich über vier Etagen erstreckte. Von den Galerien gingen die Türen