Das Myzel. Paul Hartmann Hermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Hartmann Hermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844249767
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      Deshalb haben wir relativ viele Aussteiger. Die kommen damit nicht zu recht, dass es tabu ist, mit der Frau über den Beruf zu reden. Irgendwann fragen die sich auch, was sie ihren Kindern erzählen sollen, was Papi beruflich so getrieben hat. Sie sollen Helden sein, die das Vaterland retten, müssen aber unter dem Teppichflor laufen. Diesen Konflikten gehen viele Kollegen dadurch aus dem Weg, dass sie sich erst gar nicht dauerhaft in Partnerschaften binden. Die Amis machen das teilweise besser. Dort gibt es eine Verzahnung von öffentlichem und geheimem Leben. Hohe Dienstränge der CIA sitzen auch gleichzeitig in Führungspositionen der Wirtschaft oder von Nichtregierungsorganisationen. Die Durchdringung der konspirativen und der öffentlichen Welt ist viel inniger, als bei uns. Deshalb ist das Sozialprestige des Geheimdienstlers in den Staaten auch höher als in Deutschland.

      Eines haben aber alle Geheimdienste gemeinsam. Sie erzählen den Politikern, dass sie ihnen über die Beschaffung geheimer Informationen Vorteile verschaffen können, was natürlich verlockend ist. Wissen ist Macht, das gilt ganz besonders für die Politik aber auch für die Industrie. Ist der Bedarf nach geheimen Informationen erst einmal geweckt, dann ist es ein Leichtes, Nachforderungen zu stellen. Manche Politiker sind regelrecht süchtig nach nachrichtendienstlichen Informationen. Andere trauen ihren eigenen Geheimdiensten nicht, so beispielsweise Stalin. Er war der Meinung, dass die nur hahnebüchenen Unsinn verbreiten würden. So wurde vom sowjetischen Geheimdienst gemeldet, dass Hitler Krebs hätte und das Jahr 1938 wohl kaum mehr erleben würde. Andererseits aber nahm Stalin nicht zur Kenntnis, dass das Unternehmen Barbarossa, der Überfall auf die Sowjetunion, unmittelbar bevorstand. Stalin notierte auf der geheimen Meldung, man solle den Berichterstatter zu seiner Hurenmutter zurückschicken, er sei ein Desinformant.

      So, jetzt habe ich einiges aus dem Nähkästchen geplaudert. Noch Mal: Mein Name spielt keine Rolle. Ich halte es aber für wichtig, dass sie wissen, welche Welt sich hinter der glamourösen Geheimdienstfassade verbirgt.“

      3. Herr Professor K.

      Man hatte ihm gekündigt, oder exakter formuliert, man hatte ihn gefeuert und das war paradox. Sein Management war tadellos gewesen. Seine Leistungsbilanz für die Firma konnte sich sehen lassen: Über zehn Jahre hinweg organisches Wachstum und stetig steigende Gewinnmargen, kein Fremdkapital im Unternehmen, beeindruckender Cash flow, stabiler Mitarbeiterstamm, alle Erfolgsfaktoren hatten sich im positiven Bereich befunden. Deswegen war sein Vorstandsvertrag erst vor ein paar Monaten um weitere fünf Jahre verlängert worden.

      So einen schmeißt man nicht einfach raus. Erstens sei er kaum ersetzbar und zweitens würde die Trennung teuer werden, so dachte er. Aber in beidem hatte er sich gründlich verspekuliert. Es war denen egal, ob er nun wirklich so einzigartig war oder nicht. Sein Abgang war für das Unternehmen nicht ganz billig, fiel aber in den Büchern auch nicht so richtig auf. Schließlich konnte man die Abfindungssumme Steuer mindernd absetzen. Teuer für die Firma würden über kurz oder lang die korrupten Saubermänner im Aufsichtsrat werden. Die hatten ihn geschasst, weil er deren immer dreister gewordene Selbstbedienungsmentalität unterbinden wollte und weil er denen einfach zu mächtig geworden war.

      Zugegeben, er war auch nicht gerade zimperlich im Umgang mit den Mitgliedern des Aufsichtsorgans der Stiftung gewesen. Er gab nicht klein bei, als man sich gegenseitig die Daumenschrauben anzog. Dazu war seine Position in der Stiftungssatzung zu gut abgesichert. Aber genau das war der Stein des Anstoßes, hier hakte die Gegenseite ein und verfolgte mit krimineller Energie und Lügen ihr Ziel der Machtausweitung.

      Es ging schlicht und ergreifend darum, wer in Zukunft das Sagen in der Stiftung haben würde und sich an den angehäuften Finanzmitteln laben könnte. Diese Stiftung war nämlich eine Stiftung des bürgerlichen Rechts, also durchaus nicht gemeinnützig, sondern mit Gewinnerzielungsabsicht. Der Webfehler, den K. in seiner vollen Tragweite ursprünglich nicht richtig erkannt hatte war, dass das Unternehmen sich selbst gehörte, also kein Eigentümer im landläufigen Sinne existierte. Das jedoch machte etliche Leute sinnlich.

      Hier geriet K. letztendlich unweigerlich ins Hintertreffen. Papier, auf dem Vereinbarungen stehen, ist das Eine ist. Das Andere sind gewachsene persönliche Beziehungen und diskrete Absprachen. Da war der Feind besser. K. lief immer mit offenem Visier herum. Sein Minenspiel zeigte seismographisch seine Stimmung an. Die Gegenseite hatte konstant eine Maske der freundlichsten Unverbindlichkeit auf. Die einzige Möglichkeit, den Rausschmiss zu vermeiden, wäre ein Kotau gewesen. Aber nicht mit ihm: Einmal Neger, immer Neger.

      Bei dieser von K. so nicht geplanten beruflichen Zäsur hatte aber wahrscheinlich noch ein anderer Grund eine Rolle gespielt. Es war nichts Konkretes, sondern mehr eine Stimmung, die sich bei ihm schleichend breit gemacht hatte und die sein berufliches Selbstverständnis gehörig erodierte. Er musste erkennen, dass die Dienstleistungen, die durch die Health Care Foundation verkauft wurden, kein tieferer Sinn steckte. Bei Kunden, auf Veranstaltungen und in seinen Artikeln pries er etwas an, was nutzlos war. Nachdem in der Republik über die Jahre mittlerweile rund 100 Millionen sogenannte Vorsorgeuntersuchungen nach berufsgenossenschaftlichen Grundsätzen durchgeführt worden waren, hatte bislang kein einziger Arbeitsmediziner oder Epidemiologe nachweisen können, dass dieser Untersuchungsoverkill zu einer Reduzierung der arbeitsbedingten Gesundheitsstörungen geführt hatte. Die Untersuchungen, die in Wirklichkeit allenfalls Früherkennungsmaßnahmen waren, mussten größtenteils aufgrund gesetzlicher Auflagen durchgeführt werden. Freiwillig hätte diese Untersuchungen kaum ein Unternehmen machen lassen. Denn sie kosteten nur Geld und zwar nicht nur für die medizinische Dienstleistung, sondern auch für den Arbeitsausfall des zu untersuchenden Mitarbeiters.

      Auch die medizinischen Check-ups bei high Potentials waren Bullshit. Okay, gelegentlich wurde mal ein vorher unbekannter Nebennierentumor entdeckt. Dafür aber zeigten die sonographischen und kernspintomographischen Bilder häufig Artefakte, die zu weiteren unsinnigen Abklärungen Anlass gaben oder vielleicht sogar in eine überflüssige Operation mündeten. Der Großteil der untersuchten Probanden war aber weitgehend gesund.

      Überproportional vertreten bei den Check-up-Kandidaten waren die Gesundheitsfanatiker, also die Personen, die eine Durchuntersuchung am wenigsten nötig hatten. Bei den regelmäßigen Nachuntersuchungen der anderen Auserwählten war es dann immer wieder dasselbe. Die niedrigen HDL-Werte bestanden nach wie vor, die Glucosetoleranz hatte sich weiter vermindert, die Blutdruckwerte waren angestiegen und die Leberenzymaktivtäten hatten sich eher verschlechtert.

      Hatten wir nicht vereinbart, dass sie weniger fressen und saufen und dafür mehr laufen?

      Ja schon, Herr Doktor, aber sie kennen das doch, die sozialen Zwänge, die Reisen, die Geschäftsessen.

      Jetzt nur nicht zu streng sein, sagte sich dann der auch auf seine Jahresgratifikation schauende Arzt, sonst kommt diese wichtige Person das nächste Mal nicht wieder.

      Es ging also K.s Identifikation mit dem was er beruflich machte, den Bach runter. Er verdiente zwar nicht schlecht, sah das aber weniger als Anerkennung, sondern mehr als Schmerzensgeld. Und man merkte K. an, dass er nicht hinter dem stand, was er sagte und tat und er merkte, dass man es merkte. So machte sich ein ungutes Karma breit, eine Strömung, die nur schwerlich zu beeinflussen war und die schließlich dazu führte, dass er stank. Er stank nach Bockigkeit, Unzufriedenheit, Missmut und Revolution. Am liebsten hätte er das ganze System der Pseudoprävention in die Luft gesprengt. Damit hätte er aber gleichzeitig alles das, was er vorher gemacht hatte, in Frage stellen müssen. Er wäre unglaubwürdig geworden.

      Für die ärztlichen Mitarbeiter, die Dienst nach Vorschrift machten und den ganzen Tag überwiegend diese saublöden Vorsorgeuntersuchungen durchführten, die laufend maulten und Extras haben wollten, empfand er nichts als Verachtung. Dabei führte er eine Firma, die solche Drückeberger und Duckmäuser magisch anzog.

      Das alles brachte ihn zunehmend aus dem Lot und führte zu unüberlegten und durch Frust getragene Handlungen. Die Gegenseite spürte seine nachlassende Motivation und seine zunehmende Aggressivität. Sein Standing schmolz dahin.

      In der letzten Zeit hatte er sich zunehmend ausgebrannt gefühlt, war dünnhäutiger geworden. Vielleicht hatte er zu viel erreichen wollen. Zur Bekämpfung seiner Identifikationskrise hatte er seine Anstrengungen im Beruf weiter verstärkt. Er hatte