Einzigartig sind der Wipperkotten und sein Wupperwehr. Im rechten Teil des Doppelkottens aus dem 17. Jahrhundert werden Scheren und Messer mittels Wasserkraft geschliffen. Das Wehr soll aus dem 17. Jahrhundert stammen.
Wo alles beginnt
Hier plätschert offiziell das erste Wupperwasser: In Börlinghausen im Oberbergischen gibt es mehrere Quellen. Anfangs heißt die Wupper noch Wipper.
Von Axel Richter
Ein Goldfisch dümpelt im Kleingewässer. Zwei hölzerne Schildkröten und ein Fliegenpilz hocken am Ufer. In Speisfässern hat jemand Stiefmütterchen gepflanzt. Auf einem Wackermann steht „Wupperquelle“. Hier also entspringt der Fluss, dem das Bergische die Industrialisierung verdankt – und ihre größte Stadt den Namen. Der einst zur Kloake verkam und heute wieder vielen Tieren und Pflanzen eine Heimat ist. Der Erholung und Freizeitspaß zu bieten hat. Und der von jeher den Menschen Identität stiftet, die an seinen Ufern leben.
Bedichtet und besungen wurde die Wupper deshalb auch. Doch so viel ist klar: Hier, an ihrer Quelle in Börlinghausen, einem Nest mit 263 Einwohnern zwischen dem sauerländischen Meinerzhagen und dem oberbergischen Marienheide, woget noch nichts wild auf steinigem Weg.
Der Zwergenkönig rammt seinen Zauberstab ins Erdreich
Die Wipper, wie die Wupper auf ihren ersten Kilometern heißt, ist ein Rinnsal, das aus einem mit Teichfolie ausgelegten Quelltopf gespeist wird. Dabei liegt die eigentliche Quelle gar nicht mal hier. Oberhalb des Örtchens tritt das erste Wupperwasser aus vielen kleinen Quelltöpfen zutage. Mindestens 30 sollen es sein, wahrscheinlich sind es mehr. Meinerzhagen gilt als regenreichste Stadt Nordrhein-Westfalens. Bis zu 1400 Millimeter gehen hier im Jahresmittel nieder.
Wer in diesem Regenloch die Sage vom Zwergenkönig ersonnen hat, dem das Bergische Land die Wupper zu verdanken hat, muss eine blühende Fantasie gehabt haben. Vom Hunger getrieben sei der Gnom durchs Oberbergische gestolpert, um einer Frau zu begegnen, die Beeren sammelte. Sie gab dem Zwergenkönig welche ab, worauf das Männlein aus lauter Dankbarkeit seinen Zauberstab ins Erdreich rammte, wo sodann das Nass zutage trat, das seither das Tal durchströmt.
Die Altvorderen mauern einen Wupper-Brunnen
Heute ist das etwa vier Hektar große Quellgebiet unterhalb der vielbefahrenen Landstraße 306 ein naturgeschütztes Hangmoor, in dem die Ziegenmelker flattern und die Orchideen wachsen. Bei jedem Schritt schmatzt es, überall plätschert und gurgelt es. Und im Sommer wird der Wanderer von Myriaden von Mücken zerstochen.
Aus dem Moor mäandern die Bächlein zu Tal ins Dorf, wo sich die Ältesten darauf einigten, dass hier die Lebensader des Bergischen ihre Quelle haben soll. Im 19. Jahrhundert mauerten sie einen Ring aus Bruchsteinen um den Teich. So fanden sie es schön im wilhelminischen Deutschland. In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mussten die Steine verschwinden. Der Wupperverband erklärte den Wupper-Brunnen zum Biotop.
Sehr zum Ärger von Doris Rößler. „Das war so schön früher“, sagt sie. Seit 1954, das war das Jahr mit dem Wunder von Bern, steht die 73-Jährige in der angrenzenden Gaststätte hinter dem Tresen. Die heißt (wie sonst?) „An der Wupperquelle“ und hat sich seit der damaligen Fußball-Weltmeisterschaft nicht verändert.
Wanderer sind es vor allem, die sie in ihrem Gastraum unter dem großen Elchkopf an der Wand bewirtet. Die Gäste vom Sauerländischen Gebirgsverein (SGV) und vom Eifelverein schätzen die besonders großen Waffeln, die es hier gibt. Und den „Wupperteller“ mit zwei Schweineschnitzeln, Spiegeleiern und der überbackenen Tomate.
Der Sohn, gelernter Koch, hatte einst Pläne, wollte modernisieren, eine neue Küche anbieten. Doch Wirtin Doris mag es, wenn die Dinge bleiben, wie sie sind.
Im Bayern-Urlaub hat sie die alte Wupperquelle deshalb in Holz schnitzen lassen. Noch mit dem ummauerten Bruchsteinring. „Damit man sehen kann, wie das früher mal ausgesehen hat“, sagt sie. Und dann beginnt sie zu erzählen. Vom Sommer 1959, in dem es so heiß und trocken war, dass die Kühe der Bauern vor Durst brüllend auf der Weide standen. Alle Brunnen waren trocken gefallen. Nur die Wupperquelle nicht. Fässerweise holten die Landwirte das Wasser aus dem Pütt, um ihre Tiere zu tränken.
Die Ursuppe alles Bergischen hat noch 115 km vor sich
Eine so bedeutende Rolle spielt die Wupperquelle im Bewusstsein der Börlinghauser heute nicht mehr. Das Fest des Kinderschützenvereins und das vom FC Börlinghausen ausgerichtete Turnier für Thekenmannschaften finden anderswo im Dorf statt. Die Wanderer vom SGV sind deshalb oft die Einzigen, die dort andächtig verharren, wo das erste Wupperwasser in den kleinen Teich plätschert.
Diese Ursuppe alles Bergischen hat von Börlinghausen laut Wupperverband, der hier Infotafeln in überdachten Holzkästen angebracht hat, noch 115 Kilometer vor sich, bevor sie in Leverkusen in den Rhein mündet. Wer dem Bächlein, das den Quelltopf verlässt, auf dem ausgeschilderten Wupperweg folgt, kommt durch Örtchen, die ebenfalls mit seinem Wasser getauft wurden: durch Klaswipper, Holzwipper, Schmitzwipper, Böswipper, Niederwipper. Erst bei Wipperfürth wird die Wipper zur Wupper. Wer dort an ihren Ufern lebt, kennt den Bach, der zum Fluss wird, auch von einer weniger friedlichen Seite. Denn so viel sei mit Blick auf die nächste Folge unserer Serie verraten: Wenn die Wupper auch in Börlinghausen nicht wild woget, in ihrem weiteren Verlauf tut sie’s. Zuweilen sogar gefährlich.
Doris Rößler hat ihr Leben an und mit der Wupperquelle verbracht. Die 73-jährige Wirtin führt das benachbarte Gasthaus. Ihre Spezialität ist natürlich der Wupperteller.
Leben an der Wupper
Die Wupper prägt das Leben am alten Wehr: Hans Karl Rodenkirchen kämpfte in den 50er Jahren um den Wipperkotten. In dem Haus wohnt heute seine Witwe.
Von Uli Preuss
Die Wupper rauscht am Wipperkotten. Tag und Nacht. Das tat sie immer schon. Ein wenig lauter, seit es das Wehr gibt. Das wurde frühestens im 17. Jahrhundert aufgeschichtet, um den Doppelkotten und die hölzernen Schaufelräder mit Wasserkraft zu versorgen.
Die Anwohner heute, allen voran Lotte Rodenkirchen, stört das Geräusch des Wassers schon lange nicht mehr. „Im Gegenteil“, sagt die gebürtige Leichlingerin, „wenn es hier einmal nicht rauscht, machen wir uns Sorgen“. Dann nämlich, etwa nach Starkregen oder Unwettern, steigt das Wasser rund um den inneren Kotten bedrohlich, nimmt dem alten Wehr seine akustische Stärke und ersetzt bei zu hohem Pegelstand das Rauschen durch ein dumpfes, bedrohliches Gurgeln.
Hochwasser, daran sind sie hier gewöhnt im Haus aus dem 17. Jahrhundert. Mindestens zweimal im Jahr gibt es das Problem. Die Feuerwehr aus dem nahen Rupelrath liefert Sandsäcke. Die kommen zum Einsatz, wenn die Wupper über die Ufer tritt und die Anwohner in ihre Gummistiefel schlüpfen müssen. Die Feuerwehr schichtet dann die Säcke auf, pumpt Räume aus und wird dankbar mit Kaffee versorgt. Ein wiederkehrendes Ritual am Wipperkotten, das man gerne in Kauf nimmt, wenn man im Paradies wohnen will. Denn rundherum ist intakte Natur, seit aus der chemischen Kloake wieder ein fast sauberer Fluss mit hoher Gewässergüte geworden ist.
Begonnen hat alles, als der Wupperverband Deutschlands einzigartigen Doppelkotten Anfang der 50er Jahre abreißen lassen wollte. Der befand sich in einem maroden Zustand und störte – aus damaliger Sicht – den ungehinderten Lauf des bergischen Flusses. Gegner und Befürworter von einst müssen heute anerkennen: Den idyllisch gelegenen, bauhistorisch wertvollen Doppelkotten gibt es nur deshalb noch, weil Designer und Künstler Hans Karl