Flink schlüpfe ich in den schwarzen knielangen Rock und streife mir die beigefarbene Bluse über. Nachdem ich alle Knöpfe verschlossen habe, trete ich vor den Spiegel und prüfe mein Äußeres.
»Na ja, geht so«, flüstere ich und nehme den Anblick hin. Mittlerweile müsste ich mich daran gewöhnt haben, nie so perfekt gestylt zu sein, wie meine Freundinnen. Manchmal beneide ich sie um ihre Stylingfähigkeiten. Mir fehlt eindeutig das Händchen dafür. Mein ganzes Leben lang laufe ich wie eine graue Maus herum, weil ich es nicht besser kann. Woher auch? In meiner Familie wird wenig Wert auf Styling gelegt. Natürlich sind alle ordentlich angezogen, aber das Augenmerk liegt auf dem beruflichen Erfolg. Schließlich will man ja vor anderen einwandfrei dastehen. Wie es einem dabei geht, spielt keine Rolle.
Immerhin habe ich es vor einigen Monaten geschafft, meine Brille gegen Kontaktlinsen auszutauschen. Anfangs habe ich mich dagegen gesträubt, weil es eine nervenaufreibende Fummelei ist, sich die Linsen in die Augen zu setzen. Mittlerweile bekomme ich es problemlos hin und bin stolz darauf.
Nach einem letzten Blick auf mein Spiegelbild zucke ich mit den Schultern und gehe in den Flur, mir die Schuhe anziehen.
Morgen um diese Zeit bis du bei Marie!, denke ich.
Nach fast drei Jahren besuche ich meine zwei Jahre ältere Cousine in Potsdam und freue mich wahnsinnig, sie wieder zu sehen. Letztes Jahr im Februar ist ihr Töchterchen Kim zur Welt gekommen. Seitdem nehme ich mir vor, zu Marie und ihrer kleinen Familie zu fahren. Von Kim habe ich bisher nur Fotos gesehen. Sie ist so niedlich. Ich freue mich, sie endlich live zu sehen. Eigentlich wollte ich heute schon hinfahren, aber ich konnte Mia nicht absagen. Jetzt, wo wir uns so gut verstehen, wie nie zuvor, und so etwas wie Freundinnen sind, hätte Mia mir das übel genommen. Das wollte ich keinesfalls riskieren.
Ich schnappe die Schlüssel vom Schlüsselbrett, greife nach der Handtasche, die an der Tür hängt, und verlasse die Wohnung.
Als ich aus der Haustür komme, schaue ich nach links und rechts, ob einer meiner Nachbarn draußen ist. Besonders aufmerksam begutachte ich die Fenster von der alten Frau Jakobs, ob sie sich hinter einem versteckt und das Geschehen auf der Straße beobachtet. Nachdem ich niemanden entdecken kann, laufe ich auf die Wiese und sammle beiläufig den Filter auf, den ich kurz darauf in der Mülltonne versenke. Dann gehe ich zu meinem Kleinwagen und mache mich auf den Weg zu Mias Party.
2. Kapitel - Paul
»Was machst du denn hier?«, begrüßt mich Marta, als ich vor ihrer Tür stehe. Sie ist so aufgebrezelt, viel mehr als sonst im Büro. In ihren Augen sehe ich Unmut. Sie scheint nicht erfreut über meinen Besuch zu sein.
Dennoch zwinge ich mich zu einem Lächeln und antworte: »Hallo Marta! Ich dachte, wir könnten mal wieder zusammen was trinken gehen!«
»Sonst gerne, aber heute passt es mir überhaupt nicht. Ich muss gleich weg!«
»Oh schade! Wo soll es denn hingehen?«
Marta schaut auf den Boden und vermittelt mir das Gefühl, als müsste sie erst über eine Antwort nachdenken.
Sie hebt ihren Kopf und sagt: »Ähm, ich bin zu einer Geburtstagsparty eingeladen und muss jetzt los.«
»Okay. Darf ich fragen, wer Geburtstag hat?«
»Mia«, antwortet sie leise.
»Das ist ja klasse. Da kann ich doch mitkommen, oder? Ich müsste unterwegs nur noch ein paar Blumen besorgen, damit ich nicht mit leeren Händen auftauche.«
Wieder zögert Marta mit einer Antwort. Ich habe das Gefühl, sie will lieber alleine gehen. Seit Wochen ist sie so komisch zu mir. Seit der Sache mit dem Chef geht sie mir aus dem Weg. Mehrmals versuchte ich herauszufinden, was los ist. Bisher wich sie mir immer aus. Also kann es nur an mir liegen. Ich weiß nur nicht, was ich falsch gemacht haben sollte. Nie war ich unhöflich zu ihr oder habe sie wissentlich beleidigt. Im Gegenteil, ich half Marta, ihren Eltern etwas vorzuspielen. Obwohl Lügen gegen meine Prinzipien verstoßen. Ich dachte, wir seien Freunde. Jetzt scheint sie mich nicht mehr zu brauchen und lässt es mich spüren.
»Von mir aus«, antwortet sie aus heiterem Himmel.
In ihrem Gesicht kann ich deutlich lesen, dass sie mich am liebsten loswerden will. Doch ich lasse mich nicht abschütteln und bin entschlossen mitzugehen.
»Super!«
»Ja, ich hole nur noch meine Tasche.«
Marta verschwindet hinter der Wohnungstür und lässt mich stehen.
»Ist irgendwas?«, frage ich, als sie zurückkommt.
»Nein, was soll sein?«
»Ich habe den Eindruck, du hast etwas gegen mich. Habe ich dir was getan?«, versuche ich erneut herauszufinden, was zwischen uns steht.
»Nein, ich sagte doch, es ist nichts!«
»Okay. Wenn du das sagst, will ich dir das glauben«, antworte ich und zwinge mich zu einem Lächeln. Insgeheim habe ich Zweifel an Martas Aussage und erhoffe mir, am heutigen Tag noch hinter ihr Verhalten zu kommen. Vielleicht lockert sich ihre Zunge, wenn sie ein bisschen Alkohol getrunken hat.
Zusammen verlassen wir das Haus und machen uns auf den Weg zur Party.
3. Kapitel - Lisa
Nervös betrete ich die Gaststätte, in der Mia den Saal angemietet hat, und hoffe, sie ist schon da und kommt nicht wie sonst zu spät. Ich habe mich so abgehetzt, dass ich wieder einmal eine Viertelstunde zu früh dran bin.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragt mich der Herr hinter dem Tresen, als ich mich verloren im Gastraum umschaue.
»Ähm, ja. Ich möchte zu der Geburtstagsparty, die hier stattfinden soll.«
»Ja, da gehen Sie da hinten durch die Tür«, antwortet der Barkeeper und zeigt auf die Tür in der hintersten Ecke des Raumes.
»Danke! Sind schon viele Leute da?«
»Sehr gerne! Von achtzig geladenen Gästen müsste ungefähr die Hälfte da sein.«
Achtzig Menschen? Woher kennt Mia die alle?
»Vielen Dank!«, antworte ich, zwinge mich zu einem Lächeln und gehe auf die Tür zu. Meine Hände zittern, als ich sie öffne. Mia erwähnte, es würden einige Leute kommen. Mit achtzig Gästen hätte ich niemals gerechnet. Mir ist ein bisschen mulmig zumute, auf solch eine Menge fremder Menschen zu treffen. Wenn ich ehrlich bin, kenne ich nicht annähernd so viele Personen. Ich habe kaum Freunde. Bis auf die Mädels gibt es niemanden, den ich als Freund bezeichnen würde. Selbst mit den Kollegen pflege ich keine Bindungen außerhalb der Dienststelle. Das liegt womöglich daran, dass jeder von ihnen der typische Beamte ist. Ich arbeite seit dem Schulabschluss im Einwohnermeldeamt. Dort absolvierte ich schon meine Ausbildung. Die meisten meiner Kollegen kenne ich aus dieser Zeit. Für sie werde ich immer die kleine Lisa bleiben. Sie duzen mich bis heute. Mich stört es nicht, obwohl ich mir ein bisschen mehr Respekt von ihnen wünschen würde. Das wird wohl auch so bleiben.
Auf dem Amt begegne ich jeden Tag so vielen Menschen. Die meisten behandeln mich unfreundlich, weil es oftmals schwieriger ist, als sie es sich erhoffen. Ich muss mich eben an die Regeln halten und kann nicht so reagieren, wie ich möchte. Womöglich verhalte ich mich privat auch wie eine Beamtin und deshalb will kaum jemand etwas mit mir zu tun haben.
Ich seufze, bevor ich den Saal betrete. Die meisten Gäste sitzen an der langen u-förmig aufgebauten Tafel und starren mich an, als ich die Tür hinter mir schließe. Ich komme mir vor wie auf dem Präsentierteller. Mir ist die Situation unangenehm und ich möchte, so schnell es geht, aus dem Blickfeld