»Gesehen noch nicht. Aber ich erkenne ihn an seiner Gestalt, seiner Kleidung, seinem Alter, am meisten aber an seinem Gewehre. Es ist die berühmte Silberbüchse, deren Kugel niemals ihr Ziel verfehlt. Ihr habt das Glück, den berühmtesten Indianerhäuptling Nordamerika’s kennen zu lernen, Winnetou, den Häuptling der Apachen. Er ist der hervorragendste unter allen Indianern. Sein Name lebt in jedem Palaste, in jeder Blockhütte, an jedem Lagerfeuer. Gerecht, klug, ehrlich, treu, stolz, tapfer bis zur Verwegenheit, Meister im Gebrauche aller
Waffen, ohne Falsch, ein Freund und Beschützer aller Hilfsbedürftigen, gleichviel, ob sie roth oder weiß von Farbe sind, ist er bekannt über die ganze Länge und Breite der Vereinigten Staaten und weit über deren Grenzen hinaus als der ehrenhafteste und berühmteste Held des fernen Westens.«
»Aber wie kommt er zu diesem Englisch und zu den Manieren eines weißen Gentleman?«
»Er verkehrt sehr viel im Osten, und man erzählt sich, ein europäischer Gelehrter sei in die Gefangenschaft der Apachen gerathen und von ihnen so gut behandelt worden, daß er sich entschlossen habe, bei ihnen zu bleiben, sich eine Tochter des Stammes zum Weibe zu nehmen und die Indianer zum Frieden zu erziehen. Er ist der Lehrer Winnetou’s gewesen, wird aber mit seinen philanthropischen Ansichten nicht durchgedrungen und nach und nach verkommen sein.«
Das war sehr, sehr leise gesprochen worden; kaum hatte ich es verstehen können. Und doch wendete sich der über fünf Ellen von uns entfernte Indianer zu meinem neuen Freunde:
»Old Death hat sich geirrt. Der weiße Gelehrte kam zu den Apachen und wurde freundlich von ihnen aufgenommen. Er liebte die Schwester von Winnetou’s Vater, welche die »Taube des Westens« genannt wurde, und nahm sie zum Weib. Er wurde der Lehrer seines Neffen Winnetou und hat ihn unterrichtet, gut zu sein und die Sünde von der Gerechtigkeit, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden. Er ist nicht verkommen, sondern er war hochgeehrt und hat sich niemals nach den weißen Männern zurückgesehnt. Als er starb, wurde ihm ein Grabstein errichtet, wie ihn gleich prächtig kein Häuptling jemals empfing, und mit Lebenseichen und schneeweiß blühenden Magnolien umpflanzt. Er ist hinüber gegangen in die ewig grünenden Savannenländer, wo die Seligen sich nicht zerfleischen und vom Angesichte Manitou’s wonniges Entzücken trinken. Dort wird Winnetou ihn wiedersehen und allen Haß vergessen, den er hier auf Erden schaut.«
Was für ein feines Ohr mußte dieser Mann besitzen! Jetzt glaubte ich, was ich früher bezweifelt hatte, daß ein im Grase liegender Indianer im Stande sei, die an einem Halme emporkletternde Ameise zu hören.
Old Death hatte keine Zeit, sich wie ich zu wundern; er war unendlich glücklich, von diesem Manne erkannt worden zu sein. Sein Gesicht strahlte vor Freude, als er ihn fragte:
»Wie, Sir, Ihr kennt mich? Wirklich?«
»Ich habe Euch noch nicht gesehen, aber dennoch sofort erkannt, als ich hereintrat. Ihr seid ein Scout, dessen Name bis hinüber zum las Animas erklingt.«
Nach diesen Worten wendete er sich wieder ab. Während seiner Rede hatte sich kein Zug seines ehernen Gesichtes bewegt – jetzt saß er still und scheinbar in sich selbst versunken da; nur seine Ohrmuscheln zuckten zuweilen, als ob sie sich mit etwas außer ihm Vorgehenden beschäftigten.
Indessen flüsterten die Rowdies immer unter sich weiter, sahen sich fragend an, nickten einander zu, und schienen endlich zu einem Entschlusse zu kommen. Sie kannten den Indsman nicht, hatten auch aus seiner Rede nicht geschlossen, wer er sei, und wollten nun wohl die Niederlage, welche sie uns gegenüber erlitten hatten, dadurch ausgleichen, daß sie ihn fühlen ließen, wie sehr sie einen rothhäutigen Menschen verachteten. Dabei mochten sie der Ansicht sein, daß es mir und Old Death nicht einfallen werde, uns seiner anzunehmen, denn wenn nicht wir es waren, welche beleidigt wurden, so hatten wir uns nach den herrschenden Regeln ruhig zu verhalten und zuzuschauen, wie ein harmloser Mensch moralisch mißhandelt wurde. Also stand Einer von ihnen auf, derselbe, welcher vorher mit mir angebunden hatte, und schritt langsam und in herausfordernder Haltung auf den Indsman zu.
Ich war sofort dazu entschlossen, Letzterem nöthigenfalls beizustehen, und zog meinen Revolver aus der Tasche, um ihn so vor mich auf den Tisch zu legen, daß ich ihn bequem erreichen konnte.
»Ist nicht nothwendig,« flüsterte Old Death mir zu. »Ein Kerl wie Winnetou nimmt es mit der doppelten Anzahl dieser Buben auf.«
Der Rowdy pflanzte sich breitspurig vor den Apachen hin, stemmte die Hände in die Hüften und sagte:
»Was hast Du hier in Matagorda zu suchen, Rothhaut? Wir dulden keine Wilden in unserer Gesellschaft.«
Winnetou würdigte den Mann keines Blickes, führte sein Glas an den Mund, that einen Schluck und setzte es dann, behaglich mit der Zunge schnalzend, wieder auf den Tisch.
»Hast Du nicht gehört, was ich sagte, verwünschte Rothhaut?« fragte der Rowdy. »Ich will wissen, was Du hier treibst. Du schleichst umher, um uns auszuhorchen, den Spion zu spielen. Die Rothhäute halten es mit dem Hallunken Juarez, dessen Fell ja auch ein rothes ist; aber wir sind auf Seiten des Imperators Max und werden jeden Indianer aufknüpfen, welcher uns in den Weg kommt. Wenn Du nicht sofort in den Ruf einstimmst: »Es lebe Kaiser Max«, legen wir Dir den Strick um den Hals!«
Auch jetzt sagte der Apache kein Wort. Kein Zug seines Gesichtes bewegte sich.
»Hund, verstehst Du mich? Antwort will ich haben!« schrie ihn der Andere jetzt in offenbarer Wuth an, indem er ihm die Faust auf die Achsel legte.
Da richtete sich die geschmeidige Gestalt des Indianers blitzschnell in die Höhe.
»Zurück!« rief er in befehlendem Tone. »Ich dulde nicht, daß ein Cojote mich anheult.«
Cojote wird der feige Prairiewolf genannt, der allgemein als ein verächtliches Thier angesehen wird. Die Indianer bedienen sich dieses Schimpfwortes, sobald sie Jemandem ihre höchste Geringschätzung ausdrücken wollen.
»Ein Cojote?« rief der Rowdy. »Das ist eine Beleidigung, für welche ich Dich zur Ader lassen werde, und zwar augenblicklich!«
Er zog seinen Revolver. Da aber geschah Etwas, was weder er noch ich erwartet hatten: Der Apache schlug ihm die Waffe aus der Hand, faßte ihn an den Hüften, hob ihn empor und schleuderte ihn gegen das Fenster, welches natürlich in Stücke und Scherben ging und mit ihm hinaus auf die Straße flog.
Das war viel schneller geschehen, als man es erzählen kann. Das Klirren des Fensters, das Heulen der Hunde, das zornige Aufbrüllen der Genossen des auf diese Weise an die Luft Beförderten, das Alles verursachte einen Heidenscandal, welcher aber von Winnetou’s Stimme übertönt wurde. Er trat auf die Burschen zu, deutete mit der Hand nach dem Fenster und rief:
»Will noch einer von Euch dort hinaus? Er mag es sagen!«
Er war einem der Hunde zu nahe gekommen. Dieser fuhr nach ihm, erhielt aber von dem Apachen einen Fußtritt, daß er sich winselnd unter den Tisch verkroch. Die Sklavenaufseher wichen scheu zurück und schwiegen. Winnetou hielt keine Waffe in der Hand. Seine Persönlichkeit allein war es, welche allen imponirte. Keiner der Angegriffenen antwortete. Der Indianer glich einem Thierbändiger, wenn er in den Käfig tritt und die Wildheit der Katzen mit dem Blick seines Auges niederhält.
Da wurde die Thüre aufgerissen, und der durch das Fenster Geworfene, dessen Gesicht durch die Scherben des Glases leicht beschädigt worden war, trat herein. Er hatte das Messer gezogen und sprang unter einem wüthenden Schrei auf Winnetou los. Dieser machte nur eine kleine Seitenbewegung und packte mit schnellem Griffe die Hand, welche das Messer hielt. Dann faßte er ihn grad so wie vorhin bei den Hüften, hob ihn empor und schmetterte ihn auf den Boden, wo der Rowdy besinnungs- und bewegungslos liegen blieb. Keiner der Gefährten des letzteren machte Miene, sich an dem Sieger zu vergreifen. Dieser griff so ruhig, als ob gar nichts geschehen sei, nach seinem Biere und trank es aus. Dann winkte er dem Wirth, welcher sich angstvoll nach der in sein Kabinet führenden Thüre zurückgezogen hatte, zu sich, nahm einen Lederbeutel aus dem Gürtel und legte ihm aus demselben einen kleinen gelben Gegenstand in die Hand, dabei sagend:
»Nehmt