SCHMITT happens – im Radio. N.F. Holstein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: N.F. Holstein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844236224
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sofort in die Flucht. Er konnte sich kaum mehr daran erinnern, was ihn an dieser Frau einmal so sehr fasziniert hatte, dass er über den unangenehmen Kreischton hatte hinweghören können. Obwohl, wenn er auf den Bereich zwischen Bauchnabel und Hals guckte, da war so etwas wie eine vage Erinnerung.

      Zu seinem Glück war Rüdiger, der Chef von Dienst (ausgewaschene Jeans mit Bügelfalte! zu La-Martina-Poloshirt-Fake aus dem Türkei-Urlaub in türkis) genau so genervt wie er. „Halt’ mal die Luft an Steffi. Das ist doch genau das, was wir wollten mit Jörn, und wie oft haben wir das hier schon diskutiert. Wiegand will ein deutsches Talk-Radio. Mir ist klar, dass du nicht so die Globetrotterin bist, vielleicht hast du auch noch nie einen amerikanischen Sender gehört, bei dem es so richtig abgeht, aber das ist hier nicht der Spiegel und auch nicht Deutschlandradio. Der Chef WILL andere Interviews von Jörn und die Hörer wollen das auch. Das haben die Umfragen in der Vergangenheit ja immer wieder ergeben. Vielleicht können wir dieses Gerede über nicht standesgemäße Interviewinhalte also einfach mal lassen!“

      Jetzt traute sich auch Marcel, der Redakteur der Frühsendung aus seinem Loch, in das er unmittelbar bei Ausbruch eines heftigen Wortwechsels zuverlässig verschwand. „Ja ähhhh, also ich finde das ja auch immer ganz lustig, wenn man von den Politikern nicht immer dasselbe Gelaber hört, sondern mal ein Gespräch mit Inhalten, die man so noch nicht vorher gehört hat. Und damit grenzen wir uns ja auch von den Mitbewerbern ab. Ich habe schon auch überlegt, ob wir eine Pressemeldung schreiben sollen zu dem Bürgermeister-Gespräch.“ Marcel wurde knallrot und schaute schnell wieder in seinen Block mit den Notizen für die Sendung. Franziska knallte ihre Themenmappe auf den Schreibtisch. „Ja klar, ‚Regierender Bürgermeister von Berlin kriegt nur bei High-Heels einen hoch’ - oder wie? Sagt mal, hackt es bei euch allen? Es ist fast schon Wahlkampf in Berlin und euch fällt nichts Besseres ein, als mit dem Blochmann darüber zu diskutieren, ob Absatzhöhen unter zehn Zentimetern überhaupt noch weiblich sind, und ob man es unter Strafe stellen müsste, Seidenstrümpfe in offenen Schuhen zu tragen? Manchmal glaube ich, ich bin hier im Irrenhaus. Das hat doch nichts mehr mit Radio zu tun!“

      „Peep-Toes heißen die vorne offenen Pumps.“ Jörn versuchte, sich auf die Meldungen zu konzentrieren, die vor ihm auf dem Bildschirm standen. Er hasste diese Frau. Und sie ihn auch. Wo sie nur konnte, spielte sie ihr unwichtiges Halbwissen gegen ihn aus, tat alles um ihn bei den neuen Praktikantinnen im Haus schlecht zu machen und leitete eMails von Hörern, die ihr Entsetzen über seine Sendung kundtaten, umgehend an den Wellenchef weiter. Doofe Ziege. Fand Rüdiger wohl auch. „Franzi, wir haben es geschnallt. Jetzt komm mal wieder runter. Ist doch jetzt sowieso zu spät. Versendet sich. Jörn verspricht, dass er seine Vorbereitung künftig besser liest und sich genauer an die Vorgaben der Redakteure hält und die Redaktion versucht, die harten Themen weiterhin aus der Frühsendung so gut es geht herauszuhalten, das kann ja zum Teil auch in die Nachrichten verlagert werden. Oder Michael?“ Am Ende versuchte Rüdiger immer zu vermitteln. Er war nicht gemacht für den ganz großen Streit und wollte Harmonie. Wahrscheinlich würde er auch am liebsten Duftkerzen und Wunschbrunnen in der Redaktion aufstellen, für die bessere Stimmung unter den Kollegen.

      Der angesprochene Nachrichtenredakteur nickte verständnisvoll. Michael war erst seit einigen Wochen bei Radio Null und mit den Charakteren der Mitarbeiter, erst recht mit der weiblichen Kollegenschaft, noch nicht so vertraut. Daher hielt er sich in den Konferenzen ähnlich zurück wie Jörn.

      „Ich finde auch, dass es nicht geht, dass Jörn sich immer so über die Musik lustig macht oder die Sänger sogar schlecht macht und seinen eigenen Geschmack so nach außen trägt. Immerhin hat die Musikredaktion sich da genau überlegt, warum welcher Song gespielt wird und so.“ Franziska war noch lange nicht am Ende mit ihrem täglichen Jörn-Dissing. „Wenn du etwas FINDEST, meine Liebe, dann heb’ es auf und steck’ es in die Tasche, dann gehört es ganz dir.“ Wow! Rüdiger hatte scheinbar auch eine schlechte Nacht gehabt, wenn er jetzt einen auf Germanist machte. Da konnte einem Franziska, die jetzt leicht errötete, ja fast schon leidtun. Aber eben auch nur fast. Der Konter seines CvD tat ihm gut und er bemühte sich, nach wie vor nicht zu seiner Ex zu sehen. „Immerhin macht Jörn seine Moderationen in sauberem und einwandfreiem Deutsch, was man leider nicht von jedem sagen kann.“ Er sah in die Runde und einige der Redakteure und Praktikanten, die sich angesprochen fühlten, lächelten unsicher oder sahen Desinteresse heuchelnd auf eine der ausgelegten Tageszeitungen. „Gut, können wir dann zu den Themen des Tages übergehen oder war noch was in Sachen Früh?“ Rüdiger sah sich fragend in der Runde um, aber weder die Sendungs-Assistenten noch die Volontäre hatten noch etwas zu melden. Steffi zog eine beleidigte Fresse, sagte aber auch nichts mehr. „Gut, dann also, was haben wir für morgen schon an festen Themen für Jörn hörn?“

      3.

      doch nun zu müde, um noch zu hoffen

      sagt sie sich gute nacht

      mit einem lachen in moll

      Erdmöbel / Lachen in Moll

      „Oma, diesen Dreck kannst du doch nicht ernsthaft lesen? Ich meine, du weißt schon, dass nicht mal die Hälfte von dem Zeug stimmt, das die hier aufschreiben?“ Jörn saß bei Oma Annie auf dem Sofa, das im Sommer in kurzen Hosen immer entsetzlich ungemütlich war, da es mit einem lindgrünem Stoff bezogen war, der dann an nackten Beinen zwickte und kribbelte wie ein Sack Stroh. Aber noch war Frühjahr und die Beine waren durch Hosenstoff geschützt. Das Sofa gehörte zu einem Ensemble, das bei Jörn unter dem Titel „Spießer-Dreier“ lief, Dreisitzer-Zweisitzer-Sessel. Seine Oma saß allerdings nie auf einem dieser Sitzgelegenheiten, sondern immer auf ihrem leberwurstfarbenen Schlafsessel mit den Holzlehnen, den sie mit einer selbstgehäkelten Decke vor Abnutzung schützen wollte. Dieses Monstrum von Sitz konnte man in verschiedene Positionen kippen: sitzend, leicht zurückgelehnt oder auch komplett in die Waagerechte. Als Kind hatte er sich darauf gefühlt wie Captain Kirk auf der Kommandobrücke von Raumschiff Enterprise. Oma Annie nahm mittags gern mal einen kleinen Eierlikör oder Baileys und wurde dann sehr schnell sehr müde, doch der Sessel hatte den Vorteil, dass man auf Knopfdruck in bequeme Schnarchstellung abgleiten konnte. Jörn hatte das selber schon einmal ausprobiert als er bei seiner Oma übernachten musste, weil diese eine schlimme Grippe hatte und nicht in der Lage war, sich selbst zu versorgen, also Essen machen, Tee kochen und dergleichen. Damals hatte der liebende Enkelsohn sich bei ihr einquartiert, damit jedenfalls ab Mittag jemand den Krankendienst verrichten konnte. Damals war er die ein oder andere Nacht, erschöpft nach einem Tag des Kümmerns und einigen Gläsern entspannenden Weins, selig beim Fernsehen auf diesem Sitzmöbel eingeschlummert. Natürlich hätte Oma Annie auch genug Geld gehabt, um sich rund um die Uhr eine Pflegerin leisten zu können, aber da war die Alte eisern: Fremde Menschen kamen ihr nicht über Nacht ins Haus und erst Recht nicht in ihre Küche.

      „Wir halten sie immer auf dem neuesten Stand über Neuigkeiten aus der Welt der Prominenten und des Adels,“ las Jörn vor und hielt seiner Oma das Titelbild des bunten Blattes vor die Nase. „Ich meine, das siehst doch sogar du ohne Brille, dass das hier vorne eine Fotomontage ist. Der Kopf von diesem Prinzen ist doch zweimal so groß wie der von dem Mädchen, das angeblich ins Königshaus einheiraten will. Womöglich haben die beiden noch nie im Leben nebeneinander gestanden. Aber die Leute hier wissen natürlich schon, welche Blumen die Hochzeitstafel schmücken sollen.“ Er griff nach einem Keks, den seine Oma auf einer Etagere zusammen mit Schokoküssen, zerbrochener Bitterschokolade und Gummibärchen angerichtet hatte, und blätterte die Zeitschrift durch. „Und dann so was hier: Auch aus dem tiefsten Tal der Verzweiflung gibt es einen Ausweg – Schicksale. Wer schreibt denn so etwas? „Sie wollte sich töten, doch das Leben ließ sie nicht los.“ Oma das geht doch nicht, liest du das wirklich alles, was die hier so absondern? Da wird man doch irre in der Birne.“

      „Das ist ein ganz neues Heft, damit bin ich noch nicht durch.“ Oma Anni lächelte und steckte sich ein Stückchen Schokolade in den Mund, auf dem sie genießerisch herumlutschte.

      Jörn blätterte weiter und schüttelte den Kopf über Geschichten von Prominenten von denen er noch nie zuvor gehört hatte und solchen, über die täglich neue Gerüchte in die Welt gesetzt wurden, weil sie in irgendeiner Fernsehshow einen Sängerwettstreit gewonnen oder Würmer und Maden gegessen hatten.