Asiatische Nächte. Hans J. Unsoeld. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans J. Unsoeld
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783738007015
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von religiösen oder künstlerischen oder wissenschaftlichen Fragestellun­gen ausgeht, dasselbe Ziel erreichbar sein, ohne Konflikte zu erzeugen. Das wird Konsistenz genannt. Die grundlegenden Ergebnisse, zu welchen man gelangt, müssen unabhängig vom Weg sein, auf welchem man zu ihnen gelangt,- also auch unabhängig davon, ob man sich als religiös Suchender, als Künstler oder als Wissen­schaft­ler auf den Weg macht. Sie müssen eben konsistent sein.

      Gerade die Künstler haben aber noch einen wichtigen dritten Begriff, der allem zugrunde liegt. Das ist die Schönheit. Auch dieser Begriff hat in den anderen Bereichen ganz tiefe Bedeutung. Jeder Wissenschaftler wird sagen, dass den grundlegenden mathematischen Gleichungen Schönheit innewohnt und dass die grundlegenden Gedanken schön sind. Ebenso wird einem auf dem religiösen Wege Suchenden sofort das Wort Schönheit in den Sinn kommen, wenn er auf das gewaltige Universum und auch, wenn er auf die winzigen Details in ihm stößt. Ganz besonders wird er all das Leben im Zwischenbereich zwi­schen diesen Extremen, sowohl das tierische als auch insbesondere das menschliche Leben, in seinen vielfältigen Ausprägungen als schön empfinden.

      Wir haben also drei grundlegende Begriffe, quasi drei Dimensionen, welche allen drei Bereichen gleichermaßen zugrunde liegen: einfach, konsistent und schön. Sollte sich damit prüfen lassen, ob unser jeweils erreichtes Verständnis von der Welt sinnvoll ist?

      Igor gab sich innerlich einen Ruck und blickte auf. Er schaute immer noch auf die im morgendlichen Sonnenlicht vor ihm liegende Alhambra. War er in Meditation verfallen? Hatten ihn fernliegende Gedanken davon getragen? Nach dem Frühstück machte er sich auf, die Alhambra ein zweites Mal wie ein guter Tourist anzuschauen. Das erste Mal lag vierzig Jahre zurück. In seiner Erinnerung hatte sich vor allem die Schönheit der Gärten eingegraben.

      Dieselben Gedanken kamen wieder in ihm hoch, als er durch die so verschiedenartigen Räume wan­derte und versuchte, sich in die damaligen, völlig anderen Zeiten zu versetzen. Die kunsthistorischen Einzelheiten, mit denen die verschiedenen Touristengruppen von durchaus sowohl sachlich als auch sprachlich versierten geschulten Führern überschüttet wurden, interessierten ihn wenig. Er dachte über Räume und Zeiten nach. War das nicht ein Kernthema der modernen Naturwissenschaften, vor allem der Theorien von Einstein, und all der gescheiterten Versuche, eine grundlegende Formel „für alles“ zu finden. Alles,- was war das?

      Was für Räume gibt es? Unsere Umgebung, der Staub zu unseren Füßen, die brennende Sonne über uns. Unser Körper, die winzige Welt der Atome und Elementarteilchen, die gewaltig große Welt der Sterne, Galaxien und vielleicht ganz anderer Universen. Die Ausmaße sind so unglaublich verschieden, dass sich das unserer Vorstellungsfähigkeit völlig entzieht. Das Kleine ist so winzig klein, dass nur noch mathematische Zehnerpotenzen uns eine vage Idee von den Räumen der Elementarteilchen geben. Dennoch sind sie die Bausteine von allem, was es gibt. Und das Große ist genauso unvorstellbar groß, dass gleichermaßen nur noch kaum vorstellbare Zahlenpotenzen die Räume der Galaxien bemessen. Doch unser Sonnensystem ist Teil einer Galaxie, der Milchstraße, und diese allein schon riesige Galaxie ist wiederum nur eine von unzählbar vielen anderen.

      Mit den Zeiten ist es nicht viel anders. Schon ein wichtiger Moment in unserem Leben verglichen mit unserer gesamten Lebenszeit,- wie verschieden lang sie sind! Doch die Zeitdauer, in der sich die einzelnen Vorgänge im Bereich der Atome und vollends der Elementarteilchen abspielen, ist so unglaublich kurz, das nur Angaben zum Beispiel von Picosekunden, also im Grunde auch Zehnerpotenzen, zur Beschreibung taugen. Nun wird uns der Hinweis schon fast selbstverständlich sein, dass umge­kehrt die Zeiten, in denen sich Ereignisse in astronomischen Welten abspielen, also etwa in Galaxien, vergleichs­weise unglaublich lang sind und sich ebenso nur mit schwer vorstellbaren Zahlen­potenzen beschreiben lassen.

      Verschiedene Welten, verschiedene Räume, verschiedene Zeiten! Als Igor durch die Alhambra wanderte, wurde ihm bewusst, in welchem Maße jede Welt eigenen Raum und eigene Zeit hat. Raum und Zeit sind nicht vorgegeben, sondern werden von der jeweiligen Welt erst erzeugt. Wir aber sind von klein auf geschult worden, alles in unserem, dem täglichen menschlichen Leben entlehnten Rahmen von Raum und Zeit zu verstehen. Dies ist auch ein tief verwurzeltes Prinzip in den aktuellen Naturwissen­schaften. Einstein hat beträchtlich an dieser scheinbaren Selbstverständlichkeit gerüttelt, indem er behauptete, Raum und Zeit würden in der Nähe von großen Massen gleichsam verbogen, was bald danach auch experimentell bewiesen wurde.

      Warum hatte diese tiefe Einsicht Einstein nicht bewegt zu überlegen, ob Raum und Zeit wirklich der richtige Rahmen sind, um die grundlegenden gemeinsamen Prinzipien all der so verschiedenen Welten zu verstehen? Die enormen Fortschritte der Physik in seiner Zeit fanden ihre Bestätigung und einen nie geahnten Anwendungsbereich in der sich damals und heute immer weiter sich in Riesenschritten entwickelnden Technik. Experimentelle Überprüfbarkeit wurde zum neuen Dogma. Das auf Raum und Zeit basierende System funktionierte wunderbar, es gab kaum einen Grund, daran zu zweifeln.

      Dennoch gibt es beträchtliche Unvereinbarkeiten in den so entwickelten Theorien. Gerade dort, wo es zwar nicht unbedingt für technisch interessierte Menschen, aber für diejenigen spannend wird, die die verschiedenen, nur scheinbar getrennten Welten in ihrem Zusammenwirken verstehen wollen, hapert es beträchtlich. Schon Einstein hat damit gehadert, dass seine Relativitätstheorie nicht erklärt, warum ein Stein herunter fällt. Es gibt zwar seit Newton schöne Formeln, die diesen Vorgang beschreiben, doch die eigentlichen Zusammenhänge der beiden Theorien bleiben unklar.

      Hatte dieses Zögern etwas mit Einsteins eigenem Leben zu tun? Als Igor nach dem Besuch der Alhambra durch die Straßen von Granada zog, wurden seine Gedanken wieder von den vielen schönen, oft noch jungen Frauen abgelenkt, die ihm dort begegneten. Aber war das wirklich eine Ablenkung? Lenkten sie ihn nicht vielleicht auf etwas ebenso sinnvolles,- auf Gedanken oder Gefühle, die ihn weiter führen konnten? Von Einstein war bekannt, dass er sich auch mehr zu manch einer Frau hingezogen fühlte, als ihm von der ihn damals umgebenden Gesellschaft erlaubt wurde. Er respektierte diese Gesellschaft möglichst weitgehend, was in jüdischen Kreisen ganz besonders verlangt wurde. Im eigenen Leben bedeutete das für ihn, dass er seinen Neigungen so diskret wie möglich nachging und sie vor der Öffentlichkeit verbarg. Hier galt das Dogma, dass zu kritische Dinge aus dem vermeintlich privaten Leben nicht hinaus dringen durften.

      War es für Einstein ein zu kritisches Ding gewesen, daran zu rütteln, dass Raum und Zeit das Basissystem sind für all unserer Verständnis all der Welten, die es gibt? Igor hatte zu großen Respekt vor Einstein und den von ihm entwickelten Theorien, um das infrage zu stellen. Und was die vielen schönen Frauen in Granada betraf, so war ihm klar, dass diese sich gewiss nicht mit einem schon älteren und nicht sonderlich profilierten Mann wie ihm selbst einlassen wollten. Ganz besonders schien das in jüngster Zeit zu gelten, wo sich die Kluft zwischen jungen und alten Menschen immer weiter vertiefte.

      Mit einer Mischung von Befriedigung und Frustration fuhr Igor am nächsten Tag nach Sevilla weiter und kam damit wieder an den Ausgangspunkt seiner Reise zurück. Wieder fand er eine Unterkunft mit einer hohen Dachterrasse. Er durchstöberte einen Tag lang auch diese ebenfalls ihm so schön vorkom­mende Stadt mit ihren berühmten Bauwerken und fand sich dann abends auf jener Terrasse in der überschäumend lustigen Gesellschaft von vielen jungen Backpackern aus aller Herren Länder. Er war ein oder sogar zwei Generationen älter als die meisten von ihnen, doch keiner,- und keine, wie er selbst leise vor sich hin murmelte,- schien sein höheres Alter irgendwie zur Kenntnis zu nehmen. Es wurde gelacht und gegessen und getrunken und geflirtet, und er fühlte sich nicht das geringste bisschen ausgeschlossen. Was hätte er sagen sollen, wenn er gefragt worden wäre, wie alt er ist? „ Ich bin so alt, wie ich mich fühle,“ kam ihm in den Sinn.

      Am nächsten Tag musste er nach Berlin zurück fliegen. Mit seinem nicht allzu schweren Gepäck machte er sich auf zur Abfahrtstelle des Flughafenbus. Er fühlte sich völlig entspannt und schaute sich die lebendige Fußgängerzone an. Doch plötzlich fühlte er sich wie von einem Blitz getroffen. Eine unglaublich schöne Frau kam ihm entgegen. Der leicht knochige Typ ihres Gesichtes, die nach Regeln von Schönheitswettbewerben gar nicht schöne Stupsnase und die tiefschwarzen, etwas mehr als halblangen Haare sagten ihm sofort, dass es eine Thailänderin aus dem Isaan im Nordosten, also laotischer Abstam­mung war. Doch kaum hatte er ihre Schönheit und ihr Herkunftsland realisiert, war sie auch schon an ihm