„Ist Ihr Kind, hier? Lauren?“ Rief Ruby dreist in die Wohnung hinein, achtete dabei aber nicht mehr auf ihre Widersacherin. Überraschend wurde sie nämlich in die Wohnung gezerrt und konnte sich nicht schnell genug berappeln, um die Angetrunkene daran zu hindern die Tür zu barrikadieren. Angespannt zog Ruby die Luft ein und bereitete sich innerlich auf alles vor; diese Frau konnte unberechenbar werden.
Aber Frau Winkler – Cornelia – war wohl noch nicht betrunken genug um handgreiflich zu werden, auch wenn sie gerade einen tiefen Schluck nahm. Vielmehr schien ihr etwas auf dem Herzen zu liegen, dass sich mit Worten regeln ließ.
„Haben Sie keine Angst.“ Leichter gesagt als getan, dachte sich Ruby und versuchte ihre angespannten Muskeln zu beruhigen. „Lauren ist nicht hier.“
„Dann sollte ich wieder gehen.“ Versuchte Ruby es zu übereifrig, wurde aber nur matt belächelt. „Ich muss Lauren noch finden und sie zur Schule bringen, wir haben keine Zeit für ein Schwätzchen.“ Das brachte sie selber zu einem unsicheren Kichern. „Sie wollen mich hier doch nicht gegen meinen Willen festhalten.“ Was zu einem unsicheren Lachen heranwuchs.
„Nur kurz, Frau Cavillo. Es geht mir hierbei um Lauren.“
„Das ist mir zu unheimlich, ich möchte jetzt gehen Frau Winkler.“ Die Augenbrauen von Cornelia zogen sich deutlich zusammen. „Das kann ich verstehen.“
„Sie sind betrunken. Legen Sie die Flasche weg, lassen Sie ein wenig Luft in die Bude und legen Sie sich auf die Couch.“
„Ich denke ich bin so nüchtern, wie schon lange nicht mehr.“
„Sie denken.“
„Hören Sie mir einfach zu.“
Ruby zögerte, das war alles so unwirklich, so plötzlich, total eigenartig, nickte aber letztendlich. Wenn sie dieser Situation eben nur so entkommen konnte, dann musste sie sich das Geschwafel anhören. Cornelia räusperte sich und stellte die Bierfalsche beiseite. „Lauren scheint Sie wirklich sehr zu mögen, ich erinnere mich da an ein paar Fetzen, als ich etwas klarer im Kopf war. Sie saß neben mir und hat ununterbrochen von Ihnen erzählt.“ Ruby beäugte ihr Gegenüber angestrengt, sagte allerdings nichts.
„Während sie mich im Gegenzug hasst. Aber das kann ich ihr nicht verübeln, oder?“
„Lauren hasst Sie doch nicht.“ Cornelia blinzelte einige Male. „Darüber will ich gar nicht mit Ihnen reden. Ich will mich nicht rausreden, ich bin eine Rabenmutter, aber was…mein Mann, Hendrik,… Scheiße!“ Die gefallene Witwe drückte dich die Handballen auf die nun feuchten Augen und versuchte gleichzeitig mit tiefen Ein,- und Ausatmen die Anspannung zu stillen und die Schmerzen zu lindern, sich zum Konzentrieren zu zwingen.
„Hörn Sie, Lauren vertraut mir nicht mehr, sie würde niemals bei mir Schutz suchen, diese Rolle haben Sie übernommen. Halten Sie von mir was Sie wollen, aber ich kenne mein Kind gut genug um zu wissen…“ Sie schluckte und schloss mit bebender Unterlippe die Augen. „…, dass etwas nicht mit ihr stimmt. Irgendetwas bedrückt sie, irgendetwas hat sie verändert.“
Ruby wollte ihren Ohren nicht trauen. Bat Laurens Mutter sie gerade etwa um einen Gefallen, gab sie gerade jegliche ihrer Ängste preis, vertraute sie sich ihr gerade an? Was war das hier?
„Wie…ich verstehe nicht ganz.“
„Halten Sie für mich verrückt, von mir aus, aber nehmen Sie bitte ernst was ich Ihnen sage. Ich mache mir große Sorgen.“
„Frau Winkler, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber was Sie mir da erzählen klingt absolut absurd.“
„Nein! Meine Tochter hat sich verändert! Bemerken Sie das denn nicht? Ich würde mich ja selber darum kümmern, aber dieser gottverdammte Alkohol er ist wie der Teufel höchst persönlich. Er holt mich ein, wie all jene schmerzenden Erinnerungen. Ich…“
„Alkoholismus ist eine ernstzunehmende Krankheit. Frau Winkler, Cornelia, Sie müssen sich helfen lassen.“ Ruby war näher an sie heran getreten und berührte sie behutsam am Arm. Aber anstatt ruhiger zu werden, schlug sie nur barsch ihre Hand weg und bekam immer größere, wahnsinnigere Pupillen. „Wollen Sie mich nicht verstehen? Oder denken Sie nur ich sei verrückt, würde Schwachsinn reden, durchdrehen?“
„Ja.“ Wie bereits erwähnt, Ruby hatte eher den übermütigen, blauäugigen Charakter, was sie selber gerade bemerkte, während die Augen von Cornelia zu Schlitzen wurden. Die zwischenzeitliche Gebrochenheit war wie verflogen.
Du dummes, dummes Großmaul!
„Eine Mutter spürt es, wenn etwas mit ihrem Kind nicht stimmt, egal in welcher Verfassung ihr Körper und ihr Geist sind!“
„Wissen Sie Cornelia, ich werde jetzt verschwinden und Sie, Sie sollten endlich einen Psychologen aufsuchen, der Ihnen hilft Ihre fürchterlichen Erlebnisse zu verarbeiten. Vielleicht können Sie Lauren dann irgendwann noch mal als eine normale Mutter unter die Augen treten.“ Das ließ Cornelia regelrecht erstarren, sodass Ruby sich recht unbekümmert an ihr vorbeidrängen konnte, die Tür von dem Stuhl befreien konnte und sie öffnete, um endlich aus dieser stickigen, engen, beängstigenden Behausung zu entkommen. Doch kurz bevor sie draußen war, spürte sie den festen, verkrampften Griff um ihr Handgelenk, der sie zurückhielt. Cornelia zwang sie praktisch dazu ihr genau in die irren Augen zu schauen, denn sie hatte sich ganz nah an sie heran geschoben. „Sie wollen mir nicht glauben, Ruby, ja?“ Sie drückte noch fester zu, sodass Ruby befürchten musste Blaue Flecken davonzutragen, andererseits verschwendete sie gerade keinen Gedanken daran, sondern schluckte nur missmutig.
„Sie denken ich bin verrückt? Würde mich nicht mehr für mein Kind interessieren? Bin dem Alkohol verfallen? Bitte, nur ich weiß ganz genau wenn Lauren von etwas bedrückt wird, sie ist mein Baby, meins! Wenn Sie sie mir schon wegnehmen, dann kümmern Sie sich gefälligst richtig um sie!“
„Ich nehme Ihnen nicht…“
„Etwas stimmt ganz und gar nicht, Ruby, überhaupt nicht.“ Hauchte sie ihr ins Ohr, als ob sie befürchtete, dass sie jemand belauschte. „Passen Sie auf mein Baby auf. Nur Sie können das noch, weil ich machtlos bin. Ich habe es vermasselt. Passen Sie auf.“ So plötzlich wie Ruby in die Wohnung geraten war, so plötzlich stand sie wieder vor der geschlossenen Tür. Und anstatt Lauren gefunden zu haben, rumorte es in ihrem Kopf wie wild nach dieser absoluten schaurigen Begegnung.
Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie sich auf den Weg machte um zumindest allein pünktlich zu dem Treffen zu erscheinen.
Kapitel 17
Ruby saß leicht konsterniert hinter dem Steuer, der Motor lief noch. Wenn sie an den Ausdruck in den Augen von Cornelia zurückdachte bekam sie noch immer weiche Knie. Bestimmt war die Fantasie mit der Mutter durchgegangen; das war die einzig plausible Erklärung, die sie auf der Autofahrt hierher gefunden hatte. Alles andere wäre doch völlig banal. Einer Frau, die selbst im größten Rausch noch fast fehlerfrei sprechen konnte, zu glauben, dass sie weiß, wie es ihrem Kind geht, das sonst normalerweise nur Luft für sie war, wäre doch der absolute Irrsinn.
Sie lachte über sich selber, während sie den Schlüssel umdrehte und die Tür aufstieß, weil sie die ganze Zeit über diesen Vorfall nachdenken musste. Es war an der Zeit diesen Zwischenfall zu vergessen und sich wieder auf ihre Probleme zu konzentrieren – sie wusste das würde sie sowieso nicht schaffen. Dennoch hatte dieses Ereignis ihr viel kostbare Zeit gestohlen, die sie für die Suche nach Lauren gut gebraucht hätte. Nun war es nämlich schon kurz vor halb acht; sie kam womöglich selbst noch zu spät und von dem Mädchen gab es keine Spur.
Seufzend warf sie die Fahrertür zu und wollte sich gar nicht ausmalen, wie peinlich es werden würde, wenn sie mal wieder die einzige ohne