„Zu viele dir nicht geläufige Worte, was?“
„Ach, halt doch die Klappe, Köhler.“
Brigitte lachte und da sie vor dem Zimmer angekommen waren, entgegnete sie lediglich noch. „Ich wette mir dir die edlen Herrschaften waren nicht einmal hier, aber jetzt sind wir ja drin.“
Sie waren nicht nur im Haus der Langens, sondern standen nun vor der Zimmertür von Charlotte, die sich extrem vom ganzen Haus unterschied. An der dunklen Holztür, mit dem Türgriff um den ein Schild ‚Nicht stören’, wie man sie im Hotel fand, hing, haftete ein plakatives Warnzeichen, dass das Eintreten ein Fehler sein könnte. Zudem klebte mit bunten Buchstaben Charlottes Name auf dem oberen Drittel, darum viele kleine Sterne.
Der Kontrast war einfach, dass allein schon an der Zimmertür so viel Krimskrams zu finden war, wie im gesamten restlichen Haus nicht. Unaufgeräumt, kindlich; offensichtlich rebellierte das einzige Kind gegen peniblen, gesitteten Hausstand, der hier normalerweise herrschen sollte. Brigitte klopfte an die Tür, auch wenn die Schilder es ihr verboten. „Charlotte, hier ist Kommissarin Brigitte Köhler. Ich bin gekommen um mit dir über Mia-Sophie zu sprechen. Darf ich reinkommen?“
Zuerst war nichts aus dem Inneren des Zimmers zu hören, erst nach einigen Augenblicken waren Schritte zu hören, worauf Brigitte Jonas zunickte. Er wusste genau was das zu bedeuten hatte, er sollte sich dezent zurückhalten. Damit hatte er kein Problem, denn meistens redeten Kinder lieber mit Brigitte.
Ganz unwillkürlich wunderte er sich, warum seine Partnerin selber nie den Weg eingeschlagen hatte eine eigene Familie zu gründen. Zugegeben sie waren erst seit fünf Monaten Partner, aber alles was er in dieser Zeit aufgeschnappt hatte, zeugte davon, dass Brigitte Köhler nie einen langwierigen Lebenspartner gehabt hatte oder je an Kinder einen Gedanken verschwendet hatte. Irgendwie schade, dachte er, seiner Meinung nach wäre sie eine gute Mutter gewesen.
Ein recht zierliches Mädchen, mit misstrauischen Augen und deutlichen Augenringen darunter, machte die Tür einen Spalt breit auf. „Was wollen Sie denn wissen?“
„Es sind nur ein paar Fragen. Du könntest uns helfen den Mord an Mia aufzuklären.“ Die Vierzehnjährige sah kurz zur Seite weg, öffnete danach jedoch ganz die Tür.
„Kommen Sie rein.“ Obwohl Charlotte erst vierzehn Jahre alt war, hatte sie schon eine beträchtliche Größe erreicht für ihr Alter; mindestens einen Meter fünfundsiebzig. Sie hatte die langen, blonden Haare ihrer Mutter, über die sich die beiden bereits etwas informiert hatten, geerbt, die sie an diesem Morgen zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden hat. Das Mädchen drehte sich zu ihnen um und deutete dabei auf die riesige Couch, die so ausgestellt war, sodass der Sitzende mitten in die aufgehende Sonne sehen konnte. So ein Anblick, von diesem kleinen Hügel, auf dem das Haus stand, war wahrhaftig beeindruckend. Nur leider ein kurzer Augenblick, denn zumindest Brigitte konzentrierte sich rasch wieder auf das Kind, dass überhaupt nicht wie ein kleines Mädchen wirkte. Ihr Blick durchbohrte sie regelrecht, nachdem sie sich auf den dazugehörigen Sessel gesetzt hatte.
„Wie geht es dir Charlotte?“ Inzwischen hatte Charlotte noch die Arme verschränkt und die in ein paar Jahren sicherlich meterlangen Beine übergeschlagen. Ihre Kiefermuskeln arbeiteten ununterbrochen und Brigitte suchte verzweifelt momentane Anzeichen von Traurigkeit.
„Ich weiß es selber nicht wirklich.“ Glücklicherweise stellte Brigitte nun fest, dass es in den Augen der Kleinen schimmerte.
„Es tut uns sehr leid, was mit Mia-Sophie geschehen ist.“
„Wie kann ich Ihnen helfen, Frau Köhler?“ Brachte das Mädchen, was auf Brigitte einen immer größeren viel zu erwachsenen Eindruck machte, das Gespräch auf den Punkt. Verdammt das irritierte sie ungemein. „Seit wann war Mia-Sophie deine…äh ‚Schwester’?“
„Vor sechs Wochen habe ich mich bei dem Projekt angemeldet. Von da an haben wir uns einfach super verstanden.“
„Wie kam es dazu, dass du dich Hilfe suchend an das Projekt gewandt hast?“ Scharf musterte Charlotte erst Jonas, der angeblich beiläufig umherlief, erst dann antwortete sie, immer noch mit fester Stimme. „Ich hatte mir davon erhofft, dass ich dort jemanden treffe, der mich so nimmt wie ich bin. Wissen Sie, meine Eltern wollen, dass ich die feine Anstandstochter abgebe, die überall den Engel spielt. Die bin ich aber keineswegs, eher die Rebellin, wenn auch noch nicht völlig ausgereift. Meine Mitschüler wiederum verurteilen mich, weil ich reich bin und wollen erst gar nicht herausfinden, ob ich vielleicht doch nicht die arrogante Millionärstochter bin. Außer natürlich die, die sich erhoffen für sich selber Vorteile zu bekommen. Und die Leute, die Geld bekommen um so zu tun als ob sie meine Freunde wären, habe ich schon längst in die Wüste geschickt. Der Grund also? Ich wollte dieser stinkenden Einsamkeit entfliehen.“
Sie hatte keine Ahnung auf welchem Niveau dieses Mädchen war und wüsste sie nicht, dass sie freilich, ja, erst vierzehn Jahre alt war, dann würde Brigitte sie auf mindestens siebzehn schätzen. Allem Anschein nach hatte sie sich schon so sehr gegen all das angekämpft, dass ihr Individualbewusstsein enorm war. Schockierend wie auch phänomenal.
Reiß dich zusammen, Brigitte!
„Wussten deine Eltern, dass du dich dort angemeldet hast?“
„Nein, sie haben Mia-Sophie auch nie kennen gelernt. Wie auch.“
„Was meinst du mit ‚wie auch’?“
Der Blick der Schülerin sagte alles, aber dennoch untermauerte sie es noch. „Mein Vater hat sehr viel im Ausland zu tun und meine Mutter ist den lieben langen Tag beschäftigt, womit auch immer. Sie haben kaum Zeit für mich, dann werden sie wohl sicher keine Zeit finden jemanden mit ihrer Anwesenheit zu ehren, den sich ihr Kind mal höchstpersönlich ausgesucht hat.“
„Wären deine Eltern denn damit einverstanden gewesen?“
„Ich denke nicht, nein. Meinem Vater hätte ich es vielleicht noch erklären können, meine Mutter hätte es mir verboten.“
„Warum? Schließlich hat sie dich auch auf eine öffentliche Schule gelassen.“
Die Augen des Mädchens zogen sich zusammen, als ob sie sich direkt fragte, woher Brigitte das wusste. „Richtig, aber sie hat sich heute noch nicht damit abgefunden.“
„Also trifft dein Vater die wichtigen Entscheidungen?“
„Keineswegs.“ Ein grimmiges Lächeln trat auf die Lippen von Charlotte. „Sie kennen doch mit Sicherheit die Waffen der Frau, mit der sie einen Mann leicht kontrollieren kann. Meine Mutter muss es dabei irgendwann zur Perfektion gebracht haben.“
„Du scheinst dieses Verhalten nicht gutzuheißen.“
„Meine Mutter ist meine Mutter, Frau Köhler.“ Das führte nicht zu viel, dachte sich Jonas, der sich die ganze Zeit über das riesige Zimmer von Charlotte von Langen angesehen hatte. Dabei hatte er kaum persönliche Habseligkeiten gefunden, nur einige Bilder, die auf ihn aber irgendwie gestellt wirkten. Sie zeigten das Mädchen an vielen Orten der Welt, in vielen verschiedenen Situationen und bei verschiedenen Tätigkeiten. Aber was er nie auf den Bildern gesehen hatte, war, dass sie mit ihren Eltern zusammen abgelichtet worden war. Höchstens mit einem Elternteil. Ansonsten bestand das Zimmer aus all den Dingen wie es auch in anderen Teenagerzimmern zu finden war, eben nur in teurerer und größerer Ausgabe.
„Warum leben deine Eltern noch zusammen, wenn sie schon längst geschieden sind?“ Kam seine Kollegin ihm doch noch zuvor. Und diesmal runzelte die Schülerin extrem die Stirn.
„Woher wissen Sie das?“
„Die Hausdame, Frau Bielacki.“
„Gott, sie ist so dämlich. Aber ja es stimmt, sie sind geschieden. Trotzdem können sie nicht ohne einander, und möglicherweise haben sie doch etwas für mich übrig und machen das, weil sie mich nicht verletzen wollen. Ich habe ihnen schon öfter gesagt, dass sie das nicht brauchen, aber anscheinend können sie einfach nicht ohne einander, wenn Sie verstehen was ich meine.“ In sexueller Hinsicht, klar,