Kapitel 2
Vor nichts haben geistvolle Frauen mehr Angst als davor, dass man sie der Liebe zum Schick bezichtigen könnte, die sie immer verschweigen; werden sie in der Unterhaltung bedrängt, so flüchten sie in eine Umschreibung, um den Namen dieses Geliebten nicht nennen zu müssen, der sie kompromittieren könnte. Im Notfall werfen sie sich auf das Wort Eleganz, das den Verdacht ablenken kann und ihre Lebensrichtung mehr in die Regionen der Kunst als in die der Eitelkeit zu steuern scheint. Bloß wer noch nicht bis zum Schick vorgedrungen ist oder ihn verloren hat, nennt das Wort mit der ganzen Glut und Gier unbefriedigter oder verlassener Liebesseelen. So kommt's, dass gewisse junge Frauen, die vorwärts wollen, und ältere, die über die Höhe hinaus sind, gern vom Schick der andern sprechen, ob diese ihn haben oder, noch besser, nicht haben. Der Wahrheit die Ehre, von dem nicht vorhandenen Schick der andern zu sprechen macht mehr Spaß, aber mehr Stoff gibt das Gespräch über den wirklich existenten Schick, es nährt die ausgehungerte Phantasie als richtig kräftiges Gericht.
Ich habe Frauen gekannt, denen der Gedanke an die Liaisons einer Herzogin einen Schauer (mehr des Vergnügens als des Neides) verschaffte. Scheinbar gibt es in der Provinz Krämerfrauen, deren Hirn wie ein enger Käfig die brennenden Begierden nach Schick gefangen hält, als seien es wilde Tiere.
Der Postbote bringt ihnen den »Gaulois«. Die neuen Moden sind in einer Sekunde überflogen. Das unruhvolle Herz der Provinzdame hat seinen Trost, und für eine Stunde sind ihre Blicke heiter geworden, denn in ihren weit gewordenen Augensternen will der Genuss brennen und die leuchtende Bewunderung.
Gegen eine Snobdame
Wenn Sie nicht zur Gesellschaft gehören und man erzählt Ihnen, dass Elianthe jung ist, schön, angebetet von ihren Freunden und verliebt, dass sie trotzdem ohne einen Augenblick der Ruhe um die Gunst gewisser Männer buhlt und sich die harte Abweisung seitens dieser Männer gefallen lässt, die oft hässlich, alt, stumpfsinnig sind, ferner, dass sie wie im Bagno arbeitet, um ihnen, die sie kaum kennt, zu gefallen, ferner, dass sie ihnen zuliebe verrückt wird, nüchtern wird, dass sie sich durch ungezählte Liebesdienste zu ihrer Freundin macht, wenn sie arm sind, zu ihrer Schützerin, durch sinnliche Hingabe zu ihrer Mätresse – dann werden Sie denken: Welch ein Verbrechen muss Elianthe begangen haben, und wer sind die strengen, furchteinflößenden Amtspersonen, die sie unter allen Umständen gewinnen muss, denen sie ihre Freunde opfert, ihre Liebesbeziehungen, ihre Geistesfreiheit, die Würde ihres Daseins, ihr Vermögen, ihre Zeit, die intimsten weiblichen Antipathien? Nein, Elianthe hat kein Verbrechen begangen. Die Zeugen, die sie zu bestechen sucht, haben sich nie um sie gekümmert und hätten den ruhig und klar fließenden Strom ihres heiteren Lebens friedlich weiterwallen lassen. Aber ein furchtbarer Fluch lastet über der Unseligen: sie ist eine Snobdame.
Für eine Snobdame
Wohl ist Ihre Seele, wie Tolstoi sagt, ein dunkler Forst. Aber die Bäume sind von besonderer Art, es sind Stammbäume. Man nennt Sie eitel? Aber das Universum ist ja nicht ganz leer für Sie, solange es ein Wappenschild gibt. Auch dieses ist eine Weltschöpfung, die glänzend ist und der Symbole nicht ermangelt. Auch Sie haben Ihre Chimäre, und sie trägt Farben, wie man sie gemalt sieht auf heraldischen Feldern. Fehlt es Ihnen an Bildung? Sie sind durch die Schule des Tout-Paris, des Gotha, des Highlife gegangen. Sie lesen die Schlachtberichte, welche die Namen der Altvorderen enthalten, die sich ausgezeichnet haben, und so finden Sie die Namen der Leute, die man zum Diner einladen muss, und auf dem Wege dieser Mnemotechnik ist Ihnen die Geschichte Frankreichs vertraut geworden. Daher eine gewisse Größe in Ihrem ehrgeizigen Traum, dem Sie Ihre Freiheit geopfert haben, Ihre Stunden der Muße und des Nachdenkens, Ihre Pflichten, Ihre Freundschaften, ja selbst die Liebe. In Ihrer Phantasie wird die Gestalt eines Ihrer neuen Freunde von dem großen Heer der Ahnenbilder begleitet und umgeben. In der allerältesten französischen Erde wurzeln die Stammbäume, die Sie mit so viel Liebe hegen und deren Früchte Sie alljährlich, mit so viel Lust pflücken. Ihr Traum baut die Gegenwart auf dem Fundament der Vergangenheit auf. Die Seele der Kreuzfahrer belebt die nichtssagenden Gesichter der zeitgenössischen Nachkommen, und wenn Sie fieberhaft die Namen auf den Visitenkarten immer wieder durchstudieren, so ist es deshalb, weil Sie bei jedem Namen fühlen, wie das prunkvolle alte Frankreich aufersteht, lebt und fast zu singen beginnt, als sei es ein Toter, auferstanden aus seinem wappengeschmückten Gruftgewölbe.
Oranthe
Sie haben sich heute Nacht nicht zur Ruhe begeben und haben sich heute Morgen noch nicht gewaschen?
Muss das gesagt sein, Oranthe?
Sie haben doch so viel Gaben mitbekommen. Glauben Sie nicht, dass dies genügt, um sich von der übrigen Welt zu unterscheiden; wozu dann noch dies triste Maskenspiel?
Die Gläubiger halten Sie in Ihren Fängen, Ihre Frau wird von Ihrer Untreue zur Verzweiflung gebracht. Sollen Sie einen Abendanzug tragen, so heißt das für Sie so viel wie sich in eine Livree zwingen, und keine Macht auf Erden kann Sie dazu bringen, anders in Gesellschaft zu erscheinen als zerzaust. Sitzen Sie beim Diner, dann behalten Sie Ihre Handschuhe an, um zu zeigen, dass Sie nicht essen, und haben Sie nachts Fieber, lassen Sie Ihre Viktoriakutsche anspannen, um ins Bois zu fahren.
Lamartine können Sie nur in einer Schneenacht lesen, und Wagner zu hören macht Ihnen nur Spaß, wenn Sie dazu Räucherwerk anzünden.
Trotzdem sind Sie ein Ehrenmann, reich genug, um ohne Schulden auskommen zu können, glauben aber diese Ihrem Genie schuldig zu sein; Sie sind zärtlich genug, um zu wissen, welchen Schmerz Sie Ihrer Frau bereiten, aber Sie würden es kleinbürgerlich finden, ihr den zu ersparen. Sie fliehen nicht die Menschen, wissen ihnen zu gefallen, und auch ohne Ihre langen Locken würden Sie durch Ihren Geist hervorstechen. Sie haben guten Appetit, essen hinreichend vor dem Diner und versteifen sich darauf, dort nüchtern zu bleiben, keinen Bissen zu essen. Nur bei den nächtlichen Spaziergängen, zu denen Ihre Originalität Sie verpflichtet, holen Sie sich Ihre Krankheiten. Ihre Phantasie ist stark genug, um Schneefall und verbranntes Räucherwerk zu erleben ohne Winter und ohne Parfümverbrenner, Sie sind gebildet und musikalisch genug, um Lamartine und Wagner zu lieben im Geiste und in Wirklichkeit. Alles vergebens! In der Seele eines echten Künstlers hegen Sie die Vorurteile eines Kleinbürgers, und selbst davon haben Sie uns durch einen für uns unfruchtbaren Tausch nur die Schattenseiten zu zeigen.
Gegen die Freimütigkeit
Es ist nur klug, sich gleichmäßig vor Percy, Laurence und Augustin in acht zu nehmen. Laurence zitiert Verse, Percy hält Konferenzen ab, Augustin sagt Wahrheiten. »Eine offenherzige Person«, das ist der Titel, und sein Beruf heißt: »Der wahre Freund.«
Augustin tritt in einen Salon. Ich schildere ihn, wie er ist, halten Sie sich zurück, vergessen Sie nie, er ist Ihr wahrer Freund. Vergessen Sie nicht, ebenso wie Percy und Laurence kommt er nie ungestraft, er wird gar nicht abwarten, dass Sie ihn um seine Wahrheiten fragen, ebenso wenig wie Laurence damit wartet, mit seinem Monolog loszulegen, oder Percy mit seinen Ansichten über Verlaine. Er duldet ebenso wenig eine Verzögerung des Beginns als eine Unterbrechung, denn er ist frank und frei, ebenso wie Laurence den Conférencier macht nicht etwa Ihnen zuliebe, sondern für sich, zu seinem eigenen Spaß. Ihr Missfallen würzt sicher sein Vergnügen, nicht anders als Ihre Aufmerksamkeit dem Herzen von Laurence wohltut. Aber im Notfalle würden sie darauf verzichten. Also drei unverschämte Schurken, denen man jede Ermutigung versagen müsste, da diese das Festmahl oder geradezu die Nahrung ihres Lasters ist. Aber sie haben, ganz im Gegenteil, ihr eigenes Publikum, das sie am Leben lässt, und das Publikum Augustins, des Wahrheitskünders, ist sogar sehr zahlreich. Dieses Publikum ist durch die banale Theaterpsychologie und die absurde Sprichwörterweisheit »Wer gut liebt, der züchtigt gut« ganz aus dem Häuschen gebracht. Nun ist es durch nichts dazu zu bringen, zuzugeben, dass Schmeichelei manchmal einem überströmend wohlwollenden Herzen entspringen kann,