„Aktiv verkaufen.“
Seiner Meinung nach war das der Schlüssel zum Erfolg. Aktiv verkaufen sagte mir zuerst gar nichts, bis Dorner sein Vorhaben ausschmückte: „An unseren verkaufsstärksten Tagen, sprich Wochenenden, konzentrieren wir uns ... äh ... auf einen Artikel, den wir groß und breitflächig platzieren. Wir bieten den Kunden die Ware persönlich, im Zuge einer Verkostung zum Kauf an, ... äh ... damit er gleich schmeckt, was er ... äh ... kaufen soll.“
„Mit einem Wort, wir in der Obstabteilung werden zu Marktschreiern“, folgerte ich unüberhörbar, in der Annahme, ihn falsch verstanden zu haben.
„Nicht direkt, aber ... äh ... so in der Art.“
Das war das Himmelschreiendste, was ich je gehört hatte. Es war der Hammer. Aber der Überhammer war der Film, den wir uns anschließend als Vorbild „hineinziehen“ durften. Worin ein Fischstand vorgeführt wurde, deren Angestellte sich nicht zu knapp in Szene setzten, indem sie die Fische zur Unterhaltung der davor stehenden Kunden in die Luft, warfen, sie auffingen und in einem Ton anpriesen, der jeden Rummelplatzsteher neidisch werden ließ.
Nebenbei gaukelte ich mir vor, wie wir unsere Äpfel, Birnen, Bananen und Salate durch die Gegend schupften. Wie das Obst und Gemüse durch Missgriff auf den Boden landete oder aus Versehen auf den Köpfen der Kunden. Kaum zu Ende gegaukelt prustete ich los vor Lachen. Letztlich rang ich mir unter den fragenden Blicken meiner Kolleginnen und Dorner ab: „Für diese Art von Verkauf bin ich eindeutig zu bald geboren.“
Schließlich waren wir ein Selbstbedienungsmarkt und keine Witzbude. Doch als loyales „Betriebsinventar“ hatte man natürlich umzusetzen, was Dorners Kopf ausbrütete. So war es mir auferlegt, die neu erworbenen Kenntnisse für den Verkauf an meine untergebenen Hirten von Obst und Gemüse weiterzugeben. Auf die Frage von Janina: „Wer soll das machen?“, bekam sie die zart besaitete Zukunftsmusik von Dorner zu hören. „Jeder.“
Das war nicht leicht durchzuführen, denn, jeder scheute sich vor dem intimen Kontakt zum Kunden, freiwillig meldete sich keiner dafür. Beim Austeilen des Selbstvertrauens nach der Geburt schien keiner meiner Kolleginnen zum Schreihals geworden zu sein. Ein Zustand, der mich zwang, ein Machtwort zu sprechen. Ein Klipp und Klares. Ein Chefmäßiges sozusagen. Wo käme man hin, ließe man die Drückebergerei durchgehen. Also teilte ich fürs Erste, zum nächsten Freitag - mich ein. Nach dem Leitspruch: Gehe mit gutem Beispiel voran. In der Hoffnung, dass meine lieben Mitarbeiterinnen den Wink verstanden.
Auf dem aktiven Verkaufsplan standen Ananas feil. Ich steckte saftige, appetitlich mundgerechte Würfel auf Zahnstocher und platzierte sie igelig liebevoll aufs Serviertablett, damit der Kunde sie flugs genießen konnte, wenn er wollte. Postierte mich damit vor die Ananaspyramide, die wir frühmorgens mitten in die Abteilung konstruiert hatten, und spähte optimistisch sowie verkaufsgeil nach meinen ersten „Opfern“.
Noch trotteten sie recht spärlich an. Aber das hatte auch sein Gutes, so entkam niemand meinem Verkaufsgenie. Der ersten Kundin, die mein Territorium betrat, hüpfte ich beflügelt vor die Füße, motiviert meinen einstudierten Text herunter zu spulen: „Guten Morgen, darf ich Ihnen eine Ananas zum Kosten anbieten?“
Die Frau winkte ab. „Nein danke. Habe gerade gefrühstückt.“
Auch gut. Dieser kaum spürbare Dämpfer an den genialen Verkäufer in mir haute mich stehenden Fußes nicht um. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, auf ein Neues, dachte ich beflissen. Lauernd fixierte ich ein älteres Ehepaar gegenüber, das gemütlich abschätzend Tomaten einsackte. Die sahen mir aus, als bräuchten sie eine Ananas. Guten Mutes bewegte ich mich auf sie zu und streckte ihnen flötend das Tablett mit den saftigen Würfeln vor die Nase: „Guten Morgen, darf ich Ihnen eine Ananas zum Kosten anbieten?“ Der grauhaarige Herr smylte und näselte: „Das ist lieb von Ihnen, aber mein Magen verträgt die Säure nicht.“
Abwartend lächelnd konzentrierte ich mich auf die sorgfältig zurechtgestylte Dame an seiner Seite. „Danke.“ Sie schüttelte den Kopf. Unbegreiflich. Mein Lächeln erstarb. Ich war verstimmt und nahe daran herauszuschreien: warum nicht! Besann mich gerade noch, denn schon kam der wahre Abnehmer des Weges. Ein junger Mann, spindeldürr, geschätzter Vegetarier.
„Wollen Sie kosten?“, fragte ich, schon kürzer angebunden, ihm den Köder vor sein Antlitz haltend, mit einem Gesichtsausdruck, der deutlich preisgab, was ich dachte. Nämlich: Wage es nicht, nein zu sagen. Unverkennbar eingeschüchtert griff der Dürre zu, was purer Balsam für meine Verkaufsseele bedeutete. Hastig, als würde er lieber das Weite suchen, führte er die Frucht auf dem Stocher an seinen geöffneten Mund. Doch noch bevor er das Stück hineinschob, purzelte es zu Boden. „Oh“, entfuhr es mir, bückte mich, um das Missgeschick auszumerzen. Während ich in Hocke ging, um die Frucht aufzuklauben, dabei emsig versuchte das Serviertablett in meiner Hand im Gleichgewicht zu halten, schmiss er mir das verwaiste Holzstäbchen unbemerkt aufs Tablett. Als ich aufschaute und nur mehr sein davonstrebendes Hinterteil wahrnahm, sprudelte es aus mir heraus: „Sie dürfen gern noch einmal ...“ Na, dann nicht. Aktiv verkaufen entpuppte sich zur Knochenarbeit, die eine Schwerstarbeiterzulage rechtfertigte. Namens Nervenkrisentöter. Zeit zum Lamentieren blieb mir allerdings nicht. Eine Mutter, mit ihren zwei Kindern im Kinderwagen, förderte schlagartig die Wachsamkeit eines Spions in mir. Die schrien geradezu nach Vitaminen.
„Guten Morgen. Wollen Sie eine Ananas kosten?“
„Ich will auch“, riefen die Kinder im Duett. Diese Mutter wusste, was ihren Kleinen gut tat und fütterte sie ausreichend, wie sich selbst. Erst bei halb leerem Tablett sagte sie: „Danke, schmeckt sehr gut“, was mich sozial verträglich nicken ließ. Im nächsten Augenblick schob sie den Kinderwagen freundlich lächelnd um die Ecke - und ich sah blöd hinterdrein. Irgendetwas musste ich übersehen, bei dieser Verkaufsstrategie. Die Leute sollten nicht nur essen, in erster Linie sollten sie kaufen. Demnach beschloss ich, meinen Standardsatz zu ändern. Vielleicht lag es ja daran?
„Guten Tag, unsere Ananas sind heute zuckersüß und in Aktion, wollen Sie kosten?“
Natürlich. „Der Preis?“
„Zwei Euro und neunundneunzig Cent.“
„So viel? Nein danke.“
„Guten Tag, unsere Ananas sind in Aktion. Den ersten Bissen gibt es gratis.“
„Muss ich den zweiten bezahlen?“
Wie steht es, mit einer ganzen Ananas kaufen? Danke, abgelehnt.
„Waaas...“, schrie eine Kundin lauthals, nachdem ich ihr die vitaminreiche Kost angeboten hatte, „... die ist ja billiger zu haben, als ein Ferrari!“
Schluck. Ich fühlte mich veralbert, machte gute Miene zum fiesen Spiel und säuselte: „Nicht nur billiger als ein Ferrari, auch gesünder.“
Worauf die Huldreiche wohlwollend nickte. „Wenn Sie zu diesem Preis mal eine haben, die auch so fährt, wie ein Ferrari, machen wir das Geschäft.“
Ich seufzte. Wissend, in dieser Preislage kriegte ich die Vitaminbombe nie über die Scannerkasse. Zumindest nicht in dem Umfang, wie Dorner sich das vorstellte.
Bald vermehrte sich die Kundschaft. Ich sauste durch die Abteilung, um jeden zu erreichen, ohne dass ich mich vierteilen musste. Selbstverständlich durfte keiner ungefragt die Kassa anvisieren und mir so durch die Schwindel erregend steigenden Umsatzzahlen gleiten. In weiser Absicht, mich dem aktuellen Stand anzupassen, ihn Gewinn bringend zu nützen, stellte ich mich in Position und alarmierte aus voller Kehle, sodass sich auch der letzte Winkel des Geschäftes meiner grellen, sich überschlagenden Stimme nicht entziehen konnte: „Ananas in Aktion, bitte kaufen, die Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder! Ananas, zuckersüß und superbillig!“
Die von Dorner gewollte Marktschreierin war geboren. Ungewollt. Das ergab sich. Einfach so. Die Kunden stierten mich an, als sähen sie die Schlange aus dem Paradies, die im Begriff war, sie zu was Illegalem zu verführen. Zu meinem Glück hielt ich eine