Bernd erschien auf der Bildfläche. „Mir liegt es fern zu drängeln“, meinte er, „aber wir haben einen Gast.“ Er deutete mit dem Daumen in Richtung Wohnzimmer.
Noch hatte es sich nicht herauskristallisiert, aber der Biber war zum Schießen und im Geschichtenerzählen ein wahrer Meister. Nie vorher hatte ich so dermaßen herzhaft gelacht. Und so viel. Dabei bekam die Sympathie Flügel, sie flog von mir zu ihm. Im Lauf des Abends tauschten wir sogar unsere Telefonnummern aus. Dorner, das Überwachungsorgan, mit seinen krassen Zurechtweisungen rückte in die Tiefen meines Unterbewusstseins und verharrte dort ... bis Montag.
Kapitel 2
Wäre es sinnvoll, die Wochentage nach Noten zu beurteilen, bekäme der Montag von mir eine Fünf. Auch würde er eingeteilt in die Kategorie „völlig überflüssig“. Aber da der Montag als umsatzträchtiger Bonus und als nicht verzichtbare Sitte der Geschäftswelt galt, kam kein Lohnabhängiger darum herum, den regelmäßigen Sprung von der sonntäglichen Freiheit in die wochenturnusmäßige Abhängigkeit zu machen. Auch ich nicht. Ein Sprung, der einer eiskalten Dusche glich. Und wenn man den Schock dieser Dusche einigermaßen verkraftet hatte, dieser Tag dann seine unsympathischen Fühler ausstreckte, um einen zu orten und die Worte um die Ohren zu schleudern: „Frau Starz, ins Büro bitte“, konnte mir dieser Tag erst recht gestohlen bleiben. Aber der Meister hatte das Sagen. So riss ich mich von meinen Obstregalen los, um mich folgsam in das Zentrum der „Macht“ zu begeben. Es war mir nicht klar, was auf mich zukommen würde, jedoch befürchtete ich, was ich insgeheim ahnte. Umso mehr verbannte ich diesen unwillkommenen, hellseherischen Blitz aus meinen Gedanken und versuchte mich auf die Situation neutral einzustellen.
„Bitte setzen Sie sich.“
Dorner gab sich sachlich. Abwägend ob das gut oder schlecht für mich wäre, beschloss ich abzuwarten. Er ließ sich mir gegenüber nieder. Sein mehrmaliges Räuspern schien meiner Meinung nach kein gutes Zeichen zu sein. Einen Kugelschreiber zwischen den Fingern drehend, lächelte er mich unentwegt an, was mich stutzig werden ließ. Sein durchdringender Blick sagte viel, jedoch nichts Bestimmtes. Zumindest nicht für mich - in meiner Situation.
„Frau Starz, Sie können einen wirklich überraschen.“
Seine Worte erinnerten mich instinktiv an das Sprichwort: Stille Wasser sind tief. Ob er das damit gemeint hatte? Während es mir gelang meinem Gesicht ein entspanntes, unschuldiges Aussehen zu geben, verkrampfte sich meine übrige Muskulatur. Als läge ich in einer Zitronenpresse, worin man mich erbarmungslos ausgequetschte. Unwillkürlich hielt ich den Atem an, um dieses ungemütliche Gefühl zu schlucken und es auf Nimmer-wieder-Spüren zu verdauen. Leider gelang es nur bedingt. Ich für meine Person liebte ja Überraschungen - manchmal ...
„Verstehen Sie mich nicht falsch, ... äh, ... ich meine, ... äh, nach Ihrem Auftritt am Samstag überlege ich, ob Sie ... äh ... den Anforderungen einer führenden Position gewachsen sind.“
Oh, Mann. Meine am Wochenende so brillant verdrängten Befürchtungen erschienen auf der Bildfläche, wie gerufene Gespenster. Hatte ich sie unbewusst visualisiert und sie sich deshalb manifestiert? Keine Zeit, darüber nachzudenken. Unerlässlicher schien mir, mein sinkendes Boot aus dem Wasser zu ziehen, bevor es endgültig unterzugehen drohte. Unmerklich jagte ich nach überzeugenden Argumenten. Endlich fiel mir ein: „Einen ungetauften Kahn darf man nicht so schnell untergehen lassen, Herr Dorner.“
Scheinbar irritiert überging er meine Worte, als wären nie welche über meine Lippen gekommen. „Immerhin ... äh ... verkörpern Sie Ihren Mitarbeiterinnen gegenüber eine Respektsperson ...“
Nach einem solch tief greifenden Leitsatz begriff ich in Sekundeneile, dass ein Joker her musste, um Dorner den Wind aus den Segeln zu reißen, damit er letztendlich nicht in einen Orkan ausartete. Rasch kleidete ich den Joker in die Worte: „Sie haben vollkommen Recht.“
Mich wurmte es gehörig, aber insgeheim blieb mir nichts anderes übrig, als zuzugeben, so falsch lag er nicht mit seiner Anschauung. Schon am Morgen ging es mit den Anspielungen der Kolleginnen los, zusammen mit ihren vielsagenden Blicken, die ich bewusst überhörte und übersah. Doch als der Fleischhauer dazukam und einen Boogie pantomierte, ließ sich das Gegröle der anderen nicht mehr unterbinden. Und als der Titel „Überwachungsorgan“ fiel, purzelte ich endgültig aus jener Scheinwelt, die ich mir am Wochenende als so eine Art Schutzbunker ersonnen hatte. Und die Hoffnung, dass alles unausgesprochen im Sand verlaufen würde, purzelte mit. Dorners Worte schlugen meinem Stolz eine tiefe Kerbe. Mein Selbstvertrauen machte in Anbetracht der prekären Lage keinen wünschenswerten Fortschritt. Daher gab ich meiner Würde Nahrung und schlug ihm vor, was ich als bestehende Tatsache sowieso auf mich zukommen sah.
„Wenn Sie es wünschen, dann ist eben der Letzte der Erste für mich, mit anschließender Kündigungszeit.“
Dorner stutzte. Er wirkte, als hätte ihn diese Mitteilung überrumpelt. „Moment, so ... äh ... war das ... äh ... war das nicht gemeint. Wo soll ich so plötzlich einen neuen Abteilungsleiter hernehmen?“
Ich erhob mich. Für mich war unsere Unterredung beendet. Meiner Meinung nach bauschte er das vorweihnachtsfeierliche Vorkommnis viel zu viel auf. Die Leute vergaßen schnell und würden sich wieder beruhigen.
Er kratzte sich am Kopf. „Schätze, die Leute werden sich bald wieder beruhigen“, sagte er. Aha. Welch weise Worte aus dem Munde des Meisters. Zwei Herzen und ein Gedanke. Das grenzte ja an eine Schnulze für ein Gedicht oder einen Liebesfilm. Mit Dorner als Romeo? Schreckliche Vorstellung.
(Wellenartige Signale zwischen Männlein und Weiblein rühren tagtäglich die menschliche Chemie, was spürende Sympathie oder Antisympathie ergibt. Eine Tatsache, mit der wir uns täglich auseinanderzusetzen haben - bewusst oder unbewusst. Wenn die Chemie stimmt, ergeben sich selten Reibungspunkte. Dazu ist man gern bereit, das Niveau der miteinander führenden Gespräche intimer werden zu lassen.)
Nun … zwischen Dorner und mir stimmte die Chemie nicht.
„Es ist nur ... äh ..., von dieser Seite kannte ich Sie bisher nicht.“
Augenscheinlich ergeben nickte, doch innerlich kochte ich, dennoch bemühte ich mich um Sachlichkeit. „Verstehe, was Sie meinen. Als Führungskraft sollte man kein Privatleben haben.“
Wieder dieser irritierte Blick von ihm und keine Antwort. „Personalführung verlangt Bodenständigkeit, Disziplin sowie ein Muster an Beispielhaftigkeit, ist Ihnen das klar?“
Ja, wen glaubte er denn, dass er vor sich hatte? Seine minderjährige Tochter, die in ihrer Erziehungsphase einen beträchtlichen Schubs brauchte, damit sie nicht vom rechten Weg abwich? „Herr Dorner, es tut mir leid, wenn ich in Ihrer Achtung gesunken bin, nur weil ich den Mut hatte, mich auf der Weihnachtsfeier zu amüsieren. Und nicht, wie die meisten, steif und verkrampft den Abend auf dem Stuhl zu sitzen und sich zu langweilen. Aber in meiner Freizeit benehme ich mich, seien Sie mir bitte nicht böse, wie ich es will.“
Weil es wahr war. Ich war jederzeit bereit, mich für die Firma einzusetzen, trotzdem gehörte ich immer noch mir. Wenn er von mir verlangte, meine Persönlichkeit aufzugeben, um dem geheiligten Ansehen des Marktes gerecht zu werden, dann sollte er sich seinen Abteilungsleiterposten gefälligst an den Hut stecken.
„Einverstanden?“
Es steckte ein Frosch in meinem Hals, der mich zwang, mich zu räuspern. Rena, du solltest dich wirklich zusammenreißen und dich mehr konzentrieren! Den Faden hatte ich jedenfalls, wie man so schön sagt, verloren, dazu nicht den blassesten Schimmer, wovon mein Gegenüber zuletzt gesprochen hatte.
„Ich will noch die Gelegenheit wahrnehmen Ihnen zu sagen, dass heute Nachmittag ... äh, eine Besprechung mit allen Abteilungsleitern stattfindet. Wir behandeln