Und dann kamen sie in ein Zimmer, wo die Wände mit Schweinsleder überzogen waren, und auf dem Schweinsleder waren Goldblumen eingepreßt.
»Vergoldung vergeht,
Schweinsleder besteht!«
sagten die Wände.
Und da standen Stühle mit hohen Rücklehnen, mit Schnitzwerk und mit Armen an beiden Seiten! »Setzen Sie sich!« sagten sie. »Uh! wie es in mir knackt! Nun werde ich gewiß auch Gicht bekommen, wie der alte Schrank! Gicht im Rücken! Uh!«
Und dann kam der kleine Knabe in die Stube, wo der alte Mann saß. »Dank für den Zinnsoldaten, mein kleiner Freund!« sagte der alte Mann. »Und Dank dafür, daß Du zu mir herüber gekommen bist!«
»Dank! Dank!« oder »Knick! Knack!« sagten alle Möbel. Es waren ihrer so viele, daß sie sich beinahe einander im Wege standen, um den kleinen Knaben zu sehen.
Und mitten an der Wand hing ein Gemälde, eine schöne Dame, jugendlich und fröhlich aussehend, aber so gekleidet, wie in alten Tagen! mit Puder im Haar und mit Kleidern, die steif standen. Die sagte weder »Dank« und »Knack«, sah aber mit ihren milden Augen auf den kleinen Knaben herab, der sogleich den alten Mann fragte: »Wo hast Du Die her?«
»Da drüben vom Trödler,« sagte der alte Mann. »Dort hängen immer viele Bilder; Niemand kannte sie oder bekümmerte sich um sie, denn sie sind Alle begraben. Aber vor vielen Jahren habe ich Diese gekannt, und nun ist sie todt und fort seit einem halben Jahrhundert!«
Und unter dem Bilde hing, hinter Glas, ein Strauß verwelkter Blumen; die waren gewiß auch ein halbes Jahrhundert alt, so sahen sie wenigstens aus. Und das Perpendikel der großen Uhr ging hin und her, und die Zeiger drehten sich, und Alles in der Stube wurde noch älter; aber Niemand bemerkte es.
»Sie sagen zu Hause,« sagte der kleine Knabe, »daß Du immer allein bist!«
»O,« sagte er, »die alten Gedanken mit alle Dem, was sie mit sich führen können, kommen und besuchen mich; und nun kommst Du ja auch! – Es geht mir sehr gut!«
Und dann nahm er von dem Wandbrett ein Buch mit Bildern herunter; darin waren lange Aufzüge, die wunderbarsten Kutschen, wie man sie heutzutage nicht mehr sieht; Soldaten, wie Trefflebube, und Bürger mit wehenden Fahnen. Die Schneider hatten eine Fahne mit einer Scheere, von zwei Löwen gehalten, und die Schuhmacher eine Fahne ohne Stiefel, aber mit einem Adler, der zwei Köpfe hatte; denn bei den Schuhmachern muß Alles so sein, damit sie sagen können: »Das ist ein Paar!« – Ja, das war ein Bilderbuch!
Der alte Mann ging in die andere Stube, um Eingemachtes, Aepfel und Nüsse zu holen. Es war wirklich herrlich in dem alten Hause.
»Ich kann es nicht aushalten!« sagte der Zinnsoldat, der auf der Lade stand. »Hier ist es gar zu einsam und traurig! Nein, wenn man das Familienleben kennen gelernt hat, kann man sich an das hier nicht gewöhnen! Ich kann es nicht aushalten! Der Tag währt Einem schon lang; der Abend aber noch länger; hier ist es gar nicht so, wie drüben bei Dir, wo Dein Vater und Deine Mutter stets vergnügt sprachen, und wo Du und Ihr süßen Kinder einen prächtigen Lärm machtet. Nein, wie einsam es bei dem alten Manne ist! Glaubst Du, daß er Küsse bekommt? Glaubst Du, daß er freundliche Blicke oder einen Weihnachtsbaum bekommt? – Er bekommt nichts, als ein Grab! – Ich kann es nicht aushalten.«
»Du mußt es nicht so von der traurigen Seite nehmen!« sagte der kleine Knabe. »Mir kommt dies Alles außerordentlich schön vor, und alle die alten Gedanken mit Dem, was sie mit sich führen können, kommen hier ja auf Besuch!« »Ja, aber die sehe ich nicht und kenne ich nicht!« sagte der Zinnsoldat. »Ich kann es nicht aushalten!«
»Das mußt Du!« sagte der kleine Knabe.
Der alte Mann kam mit dem vergnügtesten Gesichte und mit den schönsten eingemachten Früchten und Aepfeln und Nüssen; da dachte der Kleine nicht mehr an den Zinnsoldaten.
Glücklich und vergnügt kam der kleine Knabe nach Hause; und es vergingen Tage und Wochen; es wurde nach dem alten Hause hin und von dem alten Hanse her genickt; dann kam der kleine Knabe wieder hinüber.
Die ausgeschnitzten Trompeter bliesen: »Schnetterengdeng! Da ist der kleine Knabe! Schnetterengdeng!« Die Schwerter und Rüstungen auf den alten Ritterbildern rasselten, und die seidenen Kleider rauschten; das Schweinsleder erzählte, und die alten Stühle hatten Gicht im Rücken: »Au!« Das war eben so, wie das erste Mal, denn oa drüben war der eine Tag und die eine Stunde ganz so, wie die andere.
»Ich kann es nicht aushalten!« sagte der Zinnsoldat. »Ich habe Zinn geweint! Hier ist es zu traurig! Laß mich lieber in den Krieg ziehen und Arme und Beine verlieren! Das ist doch eine Veränderung –. Ich kann es nicht aushalten! – Nun weiß ich, was es heißt, Besuch von seinen alten Gedanken und Allem, was sie mit sich führen können, zu bekommen. Ich habe Besuch von den Meinigen gehabt, und Du kannst glauben, das ist auf die Länge hin kein Vergnügen. Ich war zuletzt nahe daran, von der Lade herunterzuspringen. Euch Alle da drüben im Hause sah ich so deutlich, als ob Ihr wirklich hier wäret. Es war wieder Sonntag Morgen, wo Ihr Kinder alle vor dem Tische standet und den Psalm absangt, den Ihr jeden Morgen singt. Ihr standet andächtig mit gefalteten Händen, und Vater und Mutter waren ebenso feierlich gestimmt; da ging die Thüre auf, und die kleine Schwester Maria, die noch nicht zwei Jahre alt ist, und immer tanzt, wenn sie Musik oder Gesang hört, welcher Art dieser auch sein mag, wurde hereingesetzt. – Sie sollte zwar nicht, aber sie fing an zu tanzen, konnte jedoch nicht recht in den Takt kommen, denn die Töne waren zu lang gezogen, und deshalb stand sie erst auf dem einen Beine und hielt den Kopf vorn über; aber es reichte nicht aus. Ihr standet Alle sehr ernsthaft, obgleich das etwas schwer fiel; aber ich lachte innerlich, und deswegen fiel ich vom Tische herunter und bekam eine Beule, mit der ich noch umhergehe; denn es war nicht recht von mir, daß ich lachte. Aber dies Alles, und Alles was ich sonst erlebt habe, geht mir jetzt wieder in meinem Innern vorüber, und das sind wohl die alten Gedanken, mit Allem, was sie mit sich führen! Sage mir, ob Ihr noch des Sonntags singt? Erzähle mir etwas von der kleinen Maria! Und wie geht es meinem Cameraden, dem andern Zinnsoldaten? Ja, der ist freilich recht glücklich! – Ich kann es nicht aushalten!«
»Du bist weggeschenkt,« sagte der Knabe; »Du mußt bleiben. Kannst Du das nicht einsehen?«
Und der alte Mann kam mit einem Kasten, in dem Manches zu sehen war: Schminkdöschen und Balsambüchsen, alte Karten, so groß und so vergoldet, wie man sie jetzt nicht mehr zu sehen bekommt. Es wurden mehrere Kästchen geöffnet; auch das Clavier; in dieses waren inwendig auf den Deckel Landschaften gemalt; aber es war heiser, als der alte Mann darauf spielte; dann nickte er dem Bilde zu, das er bei dem Trödler gekauft hatte, und des alten Mannes Augen leuchteten dabei gar klar.
»Ich will in den Krieg! Ich will in den Krieg!« rief der Zinnsoldat so laut, wie er nur konnte, und stürzte sich auf den Fußboden hinab.
Ja, aber wo blieb er? Der alte Mann suchte, der kleine Knabe suchte: fort war er und fort blieb er. »Ich werde ihn schon finden,« sagte der alte Mann; aber er fand ihn nie; der Fußboden war zu offen und durchlöchert. Der Zinnsoldat war durch eine Spalte gefallen, da lag er nun, wie in einem offenen Grabe.
Der Tag verging, und der kleine Knabe kam nach Hause; und es vergingen mehrere Wochen. Die Fenster waren ganz zugefroren, und der kleine Knabe mußte auf die Scheiben hauchen, um ein Guckloch nach dem alten Hause zu machen, da war Schnee in alle Schnörkel und Inschriften geweht und bedeckte die ganze Treppe, als wenn Niemand im Hause sei. Und es war auch Niemand im Hause; der alte Mann war gestorben!
Am Abend hielt ein Wagen vor der Thüre und auf denselben setzte man ihn in seinem Sarge: er sollte draußen auf dem Lande in seiner Familiengruft ruhen. Da wurde er nun hingefahren; aber Niemand gab ihm das Geleit; alle seine Freunde waren todt. Der kleine Knabe warf dem Sarge, als dieser vorübergefahren wurde, Kußhändchen nach.
Einige