Als sie fortreisten, begleitete ich sie eine Strecke Wegs, und meine kleine Schwester Anastasia hing, in ein Ziegenfell eingenäht, auf meinem Rücken. Einer der fränkischen Herren stellte mich gegen einen Felsen und zeichnete mich und sie ab, so lebendig, wie wir dort standen, wir sahen aus wie ein Geschöpf; – nie hatte ich daran gedacht, aber Anastasia und ich waren ja Eins, immer lag sie in meinem Schoße oder hing auf meinem Rücken, und träumte ich, dann erschien sie in meinen Träumen.
Zwei Nächte später kamen andere Leute, mit Messern und Gewehren bewaffnet, in unsere Hütte. Es waren Albaneser, kühne Leute, wie meine Mutter sagte. Sie verweilten nur kurze Zeit; meine Schwester Anastasia saß auf dem Schoße des Einen – als sie fort waren, hatte sie zwei und nicht drei Silbermünzen in ihrem Haare. Sie legten Tabak in Papierstreifen und rauchten daraus; der Aelteste sprach vom Wege, den sie einschlagen sollten, und war über diesen in Ungewißheit. »Spucke ich in die Höhe,« sagte er, »so fällt es mir ins Gesicht, spucke ich hinunter, so fällt es in meinen Bart!« –
Aber ein Weg mußte gewählt werden; sie gingen und mein Vater begleitete sie. Bald darauf hörten wir Schüsse – es knallte nochmals; Soldaten drangen in unsere Hütte und nahmen meine Mutter, mich und Anastasia gefangen; die Räuber hatten ihren Aufenthalt bei uns gehabt, mein Vater sei ihr Führer gewesen, deshalb müßten wir fort. Ich sah die Leichen der Räuber, ich sah meines Vaters Leiche und weinte, bis ich einschlief. Als ich erwachte, waren wir im Gefängnisse, aber die Stube war nicht schlechter, als in unserer eigenen Hütte, ich erhielt Zwiebeln und harzigen Wein, den sie aus einem getheerten Sacke gossen, besser hatten wir es zu Hause auch nicht. Wie lange wir gefangen waren, weiß ich nicht; aber viele Tage und Nächte vergingen. Als wir freigelassen wurden, war das heilige Osterfest; ich trug Anastasia auf dem Rücken, denn meine Mutter war krank, nur langsam konnte sie gehen, und es war weit, ehe wir hinab bis an das Meer gelangten, bis an den Golf von Lepanto. Wir traten in eine Kirche, die von Bildern auf goldnem Grunde widerstrahlte; es waren Engel und sehr hübsch, aber mir schien doch, daß unsere kleine Anastasia eben so hübsch sei. Mitten auf dem Boden stand ein mit Rosen angefüllter Sarg; der Herr Christus liegt da als schöne Blume, sagte meine Mutter; und der Priester verkündete: »Christus ist erstanden!« Alle Leute küßten sich. Jeder hielt ein brennendes Licht in der Hand, ich selbst erhielt eins, die kleine Anastasia auch eins, Sackpfeifen ertönten, Männer tanzten Hand in Hand aus der Kirche und draußen brieten die Frauen das Osterlamm. Wir wurden eingeladen, ich saß am Feuer; ein Knabe, älter als ich, umschlang meinen Hals, küßte mich und sagte: »Christus ist erstanden!« So begegneten Aphtanides und ich uns zum ersten Mal.
Meine Mutter konnte Fischernetze stricken, das gab hier an der Meeresbucht einen guten Verdienst und wir blieben lange Zeit am Meere, – dem schönen Meere, das wie Thränen schmeckte und durch seine Farben an die Thränen des Hirsches erinnerte, bald war es ja roth, bald grün und dann wieder blau.
Aphtanides verstand das Boot zu lenken, und ich saß mit meiner kleinen Anastasia darin, es glitt auf dem Wasser wie eine Wolke durch die Luft. Wenn dann die Sonne sank, färbten sich die Berge mit tieferem Blau, eine Bergreihe erhob sich über die andere, und am fernsten stand der Parnaß mit seinem Schnee. In der Abendsonne schimmerte der Berggipfel, wie ein glühendes Eisen, es sah aus, als komme das Licht von innen, denn lange, nachdem die Sonne untergegangen war, schimmerte er in der blauen, glänzenden Luft; die weißen Seevögel schlugen den Wasserspiegel mit ihren Flügeln, übrigens war es hier so still, als bei Delphi zwischen den schwarzen Felsen. Ich lag im Boote auf dem Rücken, Anastasia lag an meiner Brust, und die Sterne über uns schimmerten noch heller als die Lampen in unserer Kirche. Es waren dieselben Sterne, und sie standen an derselben Stelle über mir, als wenn ich in Delphi vor unserer Hütte saß. Zuletzt schien es mir, als sei ich noch dort! – Da plätscherte es im Wasser und das Boot schaukelte stark; – ich schrie laut aus, denn Anastasia war ins Wasser gefallen, aber eben so schnell sprang Aphtanides nach und bald hob er sie zu mir empor! Wir zogen ihr die Kleider aus, preßten das Wasser aus denselben und kleideten sie dann wieder an; das that Aphtanides. Wir blieben auf dem Wasser, bis die Sachen wieder getrocknet waren, und Niemand erfuhr von unserm Schreck wegen der kleinen Pflegeschwester, an deren Leben ja Aphtanides nun Theil hatte.
Der Sommer kam. Die Sonne brannte so heiß, daß das Laub der Bäume verdorrte; ich dachte an unsere kühlen Berge, an das frische Wasser in diesen; auch meine Mutter sehnte sich darnach und eines Abends wanderten wir wieder zurück. Welche Ruhe, welche Stille! Wir gingen durch den hohen Thymian, der noch duftete, obgleich die Sonne seine Blätter versengt hatte. Nicht einem Hirten begegneten wir, nicht an einer Hütte kamen wir vorüber. Alles war still und einsam, nur eine Sternschnuppe sagte: dort oben im Himmel sei noch Leben. Ich weiß nicht, ob die klare, blaue Luft selbst leuchtete, oder ob es die Strahlen der Sterne waren; wir erkannten gut alle Umrisse der Berge. Meine Mutter zündete Feuer an, briet Zwiebeln, die sie mitgebracht, und die kleine Schwester und ich schliefen im Thymian, ohne uns vor dem häßlichen Smidraki[19] zu fürchten, dem die Flamme aus dem Halse leckt, noch weniger vor dem Wolfe und dem Schakal; meine Mutter faß ja neben uns, und das hielt ich für genug zu unserm Schutze.
Wir erreichten unsere alte Heimath, aber die Hütte war ein Schutthaufen, eine neue mußte gebaut werden. Einige Weiber halfen meiner Mutter, und in wenigen Tagen waren Mauern aufgeführt und ein neues Dach von Oleander darüber gedeckt. Meine Mutter flocht aus Fellen und Baumrinde viele Flaschenfutterale, ich hütete die Heerde der Priester[20]; Anastasia und die kleinen Schildkröten waren meine Spielkameraden.
Eines Tages erhielten wir Besuch von dem geliebten Aphtanides; er sehne sich so sehr, uns zu sehen, sagte er, und blieb zwei volle Tage bei uns.
Nach einem Monate kam er wieder und erzählte, daß er mit einem Schiffe nach Patras und Corfu wolle; vorher müsse er uns Lebewohl sagen; unserer Mutter brachte er einen großen Fisch mit. Er wußte gar viel zu erzählen, nicht allein von den Fischern unten am Golfe von Lepanto, sondern auch von Königen und Helden, die einst Griechenland beherrscht hatten, wie jetzt die Türken.
Ich habe den Rosenstrauch eine Knospe ansetzen und diese sich in Tagen und Wochen zu einer Blume entfalten sehen; sie wurde es, ehe ich daran dachte, wie groß, schön und roth sie sei; so erging es mir auch mit Anastasia. Sie war ein schönes, erwachsenes Mädchen, ich ein kräftiger Bursche. Die Wolfsfelle auf meiner Mutter und Anastasia's Lager hatte ich selbst den Thieren abgezogen, die von meinem Schusse gefallen waren.
Jahre waren verstrichen. – Da kam eines Abends Aphtanides. schlank wie ein Rohr, stark und braun; er küßte uns Alle und wußte von dem großen Meere, von Malta's Festungswerken und Aegyptens seltsamen Gräbern zu erzählen; es klang wunderbar wie eine Legende der Priester; ich sah mit einer Art Ehrfurcht zu ihm empor.
»Wie viel Du weißt!« sagte ich, »wie Du erzählen kannst!«
»Du hast mir doch einst das Schönste erzählt!« sagte er. »Du hast mir erzählt, was mir nie aus den Gedanken gekommen ist, von dem schönen, alten Gebrauche, dem Freundschaftsbunde; dem Gebrauche, welchem zu folgen ich Lust hätte! Bruder, laß uns Beide auch, wie Dein und Anastasia's Vater es thaten, zur Kirche gehen, das schönste und unschuldigste Mädchen ist Anastasia, die Schwester, sie soll uns weihen! Kein Volt hat doch schönere Gebräuche als wir Griechen!«
Anastasia erröthete wie die junge Rose, meine Mutter küßte Aphtanides.
Eine Stunde Wegs von unserer Hütte entfernt, dort, wo auf dem Felsen lockere Erde liegt und einzelne Bäume Schatten gewähren, lag die