Das gottgelobte Herz. Erwin Guido Kolbenheyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erwin Guido Kolbenheyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748521006
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ist. Da kommt die Stunde der Alheid, und sie muß auftun die Rose ihres Leibes. Margarete hört den Klang der dunklen, tragenden Stimme von der Kanzel, aber sie vernimmt die Worte nicht mehr. In ihr hallt es nach, immer wieder dasselbe, und läßt sie nicht los. Es ist wie ein Spruch der alten Ann, der wischt auch alle anderen Worte aus. Sie blickt zur Mutter auf, die neben ihr im Gestühl der Ratsverwandten sitzt. Untergetaucht sind sie beide unter all den Leuten, die dicht gedrängt vor ihnen und neben dem Gestühl stehen.

      Das Gesicht der Mutter verrät nichts, es ist gleichmütig in seiner frommen Hingabe an den Prediger. Die Mutter nimmt das seltsame Wort hin, als halle es durch den Alltag Gottes. Und der blasse, schöne Bruder Lambert, dem alle zulaufen, wo er predigt, hat davon gesprochen, daß sich die Rose des Leibes dem Bräutigam auftut in Lust und Freuden.

      Es muß an der Agnes-Mutter geschehen sein, auch sie hat die hochzeitliche Lautmehrung gehabt und ist vom Turm angeblasen worden, auch sie hat den Machelring unter der Kirchtür empfangen und hat das Beilager gehalten. Der Vater war jung und ein Bräutigam, die Mutter hat auftan die Rose ihres Leibes. Warum hat die Agnes-Mutter nicht das Gesicht gehoben, wie bei dem Worte von der Nachtigall? Und warum nicht die anderen ringsum? Es ist an ihnen vorbeigegangen, als wäre es nichts.

      Margarete möchte nach der Alheid umsehen, die ist zu spät gekommen und sitzt hinter ihnen im Stuhl. Aber sie rührt sich nicht. Wenn er nicht spräche da oben aus seinem großen Antlitz, sie würde die Mutter fragen. Hier in der Kirche könnte sie. Margarete weiß, daß sie es draußen nicht wird tun können.

      Da bricht es schwer hernieder auf sie: „Das ist die Höll gsi üres Fleisches, so Ihr habet gebüeßet, dann üer Leib ist die Flammen der Höll und des Tüfels Kalfakter, daran er sine Händ wärmet, so ihn frieren im Angesichte Gottes des Herrn. Das sänt die heiligen vierzig Täg gsi. do wir fasten und wir den Zehent bringen in die Scheun Gottes durch Abbruch unsers höllischen Leibs vor diese Zit unsers Lebens …“

      Margarete stutzt in sich hinein und wagt kaum zu atmen, als sei sie auf losen Wegen ereilt worden. Kühl haucht es ihr über den Rücken. Leib und Fleisch – die Flamme der Hölle! Und doch – die Rose, die sich dem Bräutigam auftut. Wo ist der Schlüssel zu der Kammer dieses Geheimnisses? Sie spürt eine mächtige Verborgenheit, die unter diesen Worten pocht wie Herzschlag, und heimlich zieht sie den Handschuh von der Rechten und fühlt an ihre Wange, die frisch ist und sanft. Der Kalfakter, der in des Vaters Rechenstuben eingefahren wird, der glüht, daß man sich kaum nahen kann. – Der Bruder Lambert hat aus einer Ferne gesprochen, die alle anderen rings um sie schon überholt haben müssen, denn niemand ist erstaunt, und kein Blick sucht und fragt; alle wissen um die Höllenglut des Leibes und um sein Rosenblühen. Nur eines ist sicher: daheim die Alheid und der Matthies, die tragen das Geheimnis wie ein brennendes Licht in der Luzerne. Das muß den anderen ausgebrannt sein, auch der Agnes-Mutter, sonst säße sie nicht so gleichmütig neben ihr. Margarete fühlt, fröstelnd, befremdend, daß etwas zwischen ihr und der Mutter liegt, weit und anders. Das Wort aus dem großen Antlitz da oben hat es ihr offenbart. Sie hört nun, als schwinge es um sie, gleich den hangenden dünnen Ästen einer Birke im Winde:

      „O starker Gott,

      All unser Not

      Befehln wir, Herre, in din Gebot,

      Laß uns den Tag in Gnaden oberschinen!

      Die Namen dri,

      Die stöhnt uns bi

      In aller Not und wo es si.

      Hilf uns, Herre, mit allen Schmerzen dinen!

      Also schreiten wir us denen Fasten in die Zit der Heilung, do ist unser Herr gstorben den Marteltod für unser Sünd, daß uns Gott genade! Amen.“

      Noch unter dem verhallenden Amen sinkt der Bruder Lambert am Kanzelbord nieder. Er legt seinen Kopf auf die gefalteten Fäuste, so daß die bleiche Glatze zu sehen ist. Kaum ist aber sein Wort entschwunden, scharren die Füße über dem Ziegelpflaster und aus der Kirche. Sie beide müssen verharren, denn es ist zuviel Volks, und das Gedränge staut sich am Tor. Da rutscht die Agnes-Mutter auf die Knie, und neben ihr die Trugenhovin, und sie stützen gleich ihm die Stirn auf die gefalteten Hände. Margret sieht hinauf. Die Glatze ist kreisrund ausgeschnitten, und das hellblonde Haar umgibt sie wie ein scheinender Kranz.

      Der Bruder Lambert kennt sie und die Mutter gut, er kommt zuweilen in das Haus. So wirken alle seine Worte doppelt nah und doppelt tief. Der Bruder hat eine weiche Hand, und ob er auch nur leise tut, ihre Berührung dringt ein wie seine Worte. Ihn möchte sie fragen, er müßte das Geheime aufschließen können, ohne daß eine Furcht dabei bliebe. Aber wie soll sie ihre Stimme zu ihm heben, wo die Stimme der Mutter schwebend wird und wie ein Wasser im Schaffe zittert, wenn sie zu ihm spricht! Sie sieht hinauf und denkt, wenn sie ihm leise an die kreisrunde Glatze regen dürfte, so leicht, wie er ihr zum Gruße die Hand aufzulegen pflegt, vielleicht merkte er es dann und spräche von selbst.

      Da wird das schlurfende Geschiebe unter der Kanzel und um den Ratsstuhl locker. Die alteTrugenhovin wächst schwerfällig in die Höhe und stößt des Ebners Ehfrau an, aus der Andacht zurückzufinden. Denn auch der Bruder Lambert hat sich erhoben. Er prüft die weichende Gemeinde ruhig schweifenden Augs unter gesenkten Lidern. Die Agnes-Mutter reckt den Kopf, ihr erster Blick gilt der Kanzel, und sie versteht den Wink der Trugenhovin. Der Bruder Lambert scheint die beiden verharrenden Frauen nicht bemerkt zu haben, aber er steigt langsam, fast zögernd die enge Holztreppe hinab. Margarete spürt, daß er eingeholt werden soll, ihr Herz klopft erwartungsvoll. Die alte Trugenhovin ist voran, und die Agnes-Mutter faßt ein wenig heftig und ungewohnt ihre Hand. Sonst wird sie nicht geführt.

      Dann stehen sie vor dem Kaisheimer Bruder. Er winkt den beiden Frauen in die Kapellennische der Sankt Afra und spricht dann mit leiser Stimme hernieder. „Soll üch sin gseit, Frouen, der Meister ist us Paris kommen und ist dieser Täg ze Basel gsi. Er goht uf Rom. Do hät er ze Basel geprediget uf dem Wege unde gseit: Gott machet uns also selber für sich, daß wir ihn bekennen.“

      Die beiden Frauen sehen auf, und Bruder Lambert läßt seine Augen von einer zur anderen gehen, er nickt ernst und wartet. Die alte Trugenhovin runzelt die Stirn und will schon ansetzen. Sie geht den Dingen sofort auf den Grund und läßt sich durchaus nicht verblüffen. Die Agnes-Mutter aber ist gläubig und bereit, auch unvermögenden Geistes hinzunehmen. Darum wendet sich der Bruder, der Trugenhovin leise wehrend, zu ihr:

      „Do will der Meister sagen: All ünser Bekanntnus zuo Gott dem Herrn sige von ihme selbst ingeschaffen in uns. Und folget der Meister us deme: Gott ist in siner Substantie unde Nature unde Wesen sin eigen Bekennen, und do er uns sin Bekennen hat geschaffen in, als bin ich einsglichen sin Wesen, Substantie unde Nature, unde er ist das min.“

      Da atmet die Agnes-Mutter tief. Die Trugenhovin aber blickt sie von der Seite an, als meine sie, man sei noch nicht am Ort und wisse längst nicht aus und ein.

      „Höret, Frouen, und haltet dies Wort und tragets us. Dann wir können vor dieser Osterzit nicht zesammen sin, und es möchti uf Pfingsten zuogohn mit ünserer Samenunge. Ich mueß uf Friburg. Sagets der Ann, der Münzmeisterin, was der Meister hät gseit ze Basel, und der Frou Kathrin, der Scheppachin ze Hochstätt, der Mechthild, des Scharnstätten Wib, und dem Konz ze Bissingen. Die sullen sich dies Wort bedenken des Meisters: Ich bin sin Wesen, Substantie unde Nature, unde er ist das min.“

      Die Trugenhovin murrt es unter gesenkter, widerstrebender Stirne nach. Die Agnes-Mutter aber hat die Augen geschlossen, nur ihre Lippen beben leise. Der Bruder flüstert mit verhaltener Stimme:

      „Der Meister hät also gesprochen, und es treibt mich umb! Do mueß ich predigen, und alls Volk willt ein Predigt sim Verstand nach, daß es sie wahrnehme in der kurzen Wil des gesprochen Worts … und des Meisters Red leit mir hart uf und brennet in dem Gmüet, dann es machet den Tüfel und alls ze nichte, was do Sünd ist unde Boshet ist. Dann so ich bin us Gott, und Gotte ist min eigen, do wird der Tüfel in mir und an mir ze nichte. O Frouen, bedenket dies wohl, darvor ich nit kann Schlaufen.“

      Das will der Trugenhovin besser eingehen, sie denkt, wenn der Teufel nichts ist, dann ist aller Predigt ein End, und die Gmein fährt auseinander wie eine Schafherd, darein der Donner schlägt. Denn