Die Sonne stand strahlend am wolkenlosen Himmel. Wir erwachten. An unserem kleinen Klapptisch sitzend, genossen wir ein ausgiebiges Frühstück. Danach gingen wir erneut rüber zu Bill Hunter und den zwei anderen Reisenden. Bill gab uns einen roten Zettel mit seiner Adresse und erklärte mir genau, wo er wohnt und wie man dort hinkommt. Falls unsere Route an Charters Towers vorbeiführen sollte, müssten wir ihn unbedingt besuchen kommen, meinte er. Auf dem roten Stück Papier standen viele Straßen und Wege. Es war scheinbar nicht ganz einfach, Bills Behausung zu finden.
»Wenn ihr in Charters Towers ankommt, müsst ihr zuerst da lang, dann dort lang, dann rechts, dann links, dann dieser Straße bis zu einer Senke folgen und dann seht ihr die Bill Hunter Road. Ich habe nämlich meine eigene Straße.«
»So, so«, dachten wir, »klingt ja interessant, seine eigene Straße.«
Ich knickte den Zettel mit der Wegbeschreibung in der Mitte und legte ihn zu meinen Reiseunterlagen. Doch falten hätte ich ihn lieber nicht sollen, wie sich später noch herausstellte.
Nach einer großen Verabschiedungszeremonie von Bill, seinen Hunden, den drei Welpen und den zwei alten Brüdern, fuhren wir auf der Devil Creek Road, am Lake Mitchell vorbei in Richtung Mareeba. Erster Stopp an diesem Tag war das Mareeba Tropical Savana and Wetland Reserve, eine riesige Seen- und Sumpflandschaft, mit seltenen und weniger seltenen Arten von Wasservögeln und Amphibien. Diese konnte man aus gut getarnter Stellung in speziellen Ausguckhäuschen hervorragend beobachten. Es folgte die Besichtigung einer Kaffeefarm und einer Mangoplantage. Da keine reifen Mangos an den Bäumen hingen, verkosteten wir stattdessen den angebotenen Mangowein, den Anne und ich für sehr schmackhaft befanden. Jeder kaufte eine Flasche. Die tranken wir allerdings nicht selbst, sondern schickten sie später als Geschenke nach Hause, was unsere Familien sehr freute. Von der Mangofarm aus führte uns die Landkarte zur Granit-Schlucht. Das Besondere hieran bildeten sowohl die gigantischen grauen Felsbrocken, die von kleinen Bächen durchschnitten wurden, als auch die kleinen niedlichen Wallabys, die in großer Zahl hin und her hüpften. Hinter einem Felsen saß eine ganze Wallabyfamilie genau in einer Reihe hintereinander - Vater, Mutter und das aus dem Beutel herauslukende Wallabyjunge, - das perfekte Fotomotiv.
In den kommenden drei Tagen führte uns der Kompass wieder Richtung Cairns. Ich musste ja noch meinen internationalen Führerschein abholen. Wir brauchten sowieso neuen Proviant und - ganz wichtig - eine gute und helle Campinglampe, die man an die Autobatterie anschließen kann. Schnell hatten wir festgestellt, dass wir, sobald die Nacht einbrach, immer unter einem gewissen Leuchtmitteldefizit litten. Unsere Taschenlampen waren der totalen Dunkelheit nicht gewachsen.
Bevor wir jedoch erneut in Cairns aufschlugen, durchquerten wir das besagte Atherton Tableland. Ein Wasserfall reihte sich hier an den nächsten - die Emerald Lake Falls, die Davies Creek Falls, die Barren Falls und wie sie alle hießen. Die Landschaft des Tablelands empfanden Anne und ich als grandios.
In einem Ort, dessen Namen mir nicht mehr in den Sinn kommen will, besuchten wir einen kleinen Wildtierzoo. Krokodile, Burramundies, Wombats, Koalabären, Dingos, Kängurus, Schlangen ... alles konnte man hier bestaunen. Der Besuch gefiel mir trotzdem nicht. Ich war nicht nach Australien gekommen, um mir die hiesige Flora und Fauna in irgendwelchen Gehegen anzugucken.
Ich sagte zu Anne: »Das war der erste und letzte Zoo, den wir uns antun. Wir sollten lieber versuchen, so viele Tiere wie möglich in freier Wildbahn zu Gesicht zu bekommen. Und was wir nicht sehen, das sehen wir eben nicht.«
Es war früh am Morgen, als wir unser `geliebtes´ Cairns erreichten. Eine aufregende Zeit lag hinter uns mit vielen neuen Eindrücken. Wir setzten uns in ein Restaurant am Hafen und frühstückten. Danach ging es los: Einkaufen, Lampe suchen, Foto-CDs brennen, E-Mails schreiben, endlich den Führerschein entgegennehmen, zu Hause anrufen und, und, und. Die Erledigung all dieser Dinge nahm so viel Zeit in Anspruch, dass im nächstgefühlten Moment die Nacht hereinbrach. Darum beschlossen wir, diese im Ort zu verbringen. Wo? Das ist wohl nicht so schwer zu erraten! Doch bevor wir zum Caravan Park aufbrachen, besorgte Anne etwas Grillfleisch. Damit spazierten wir die `Strandpromenade´ entlang und schnappten uns einen der fest installierten Barbecuegrills.
»Das ist eine gute Idee«, dachten wir, »alle können hierher kommen und grillen, kostenlos. Nur das, was man drauflegen will, muss sich jeder selbst mitbringen.«
So waren wir umgeben von den verschiedensten Menschen. Familien, Freundeskreise, Einzelgänger und andere Backpacker verbrachten genau wie wir einen gemütlichen Grillabend. Das letzte Stück Fleisch wurde gerade verschlungen, da bemerkten wir nicht weit von uns ein auffälliges Feuerflackern. Schnell reinigten wir den Grill und liefen dem Flammenspektakel neugierig entgegen. Ein Spektakel war es wirklich. Auf dem kleinen Fleckchen Sand, das der `Strand´ von Cairns zu bieten hatte, wirbelte eine Gruppe von Männern und Frauen wie wild mit Feuerstöcken und Feuerbällen umher. Fire Twirling nennt sich diese Art der Feuerkunst. Alle bewegten sich rhythmisch zur Musik. Mit ihren brennenden Instrumenten erzeugten sie Kreise, Achten und die wildesten Formen und Figuren aus Feuer. Das entstehende Gesamtbild erntete verdient den jubelnden Applaus der umstehenden Zuschauer.
Fire Twirling - das wollte ich auch können. Deshalb kaufte ich mir einen Firestick und nahm mir fest vor, auf der uns bevorstehenden Reise damit zu üben, zu üben und zu üben - so lange, bis keine Gefahr mehr bestünde, mir selbst die Haare vom Haupt zu brennen oder gar einen Buschbrand auszulösen.
»Liebes Cairns, dich werden wir so schnell nicht wiedersehen«, lautete die einstimmige Meinung, mit der wir im Morgengrauen die Stadtgrenze überquerten. An Bananen- und Zuckerrohrplantagen vorbei, flog unser Falcon den Bruce Highway entlang. Eines mussten wir den Australiern lassen, sie hatten die beste Kampagne für Verkehrssicherheit, die Anne und ich bis dato gesehen hatten. Am Highwayrand standen viele Schilder, die darauf hinwiesen, dass man als Fahrer unbedingt genügend Pausen einlegen und nicht rasen solle. Müdigkeit ist bei langen Touren, wie jeder Autofahrer weiß, der größte Feind des Fahrzeugführers. Die Australier bewiesen hier einen köstlich schwarzen Humor. `Rest or r.i.p.´ - `Ruhe dich aus oder ruhe in Frieden´ und `High speed - low I.Q.´ - `Hohe Geschwindigkeit - niedriger I.Q.´ sind nur zwei Sprüche von vielen, die für mehr Sicherheit auf den Straßen warben. Wir fanden diese Wortspiele sehr lustig und feixten uns jedes Mal eins, wenn uns ein neuer Spruch vor die Augen kam.
Weniger witzig sahen zu dieser Zeit Annes Füße aus. Am Cape Tribulation hatten wir Bekanntschaft mit sogenannten Sandfliegen gemacht - winzige Biester, so klein, dass man sie kaum sieht, dafür aber umso unangenehmer. Sandfliegen beißen nämlich, oder stechen, oder eine Mischung aus beidem, und das juckt dann unerträglich. Mich hatten sie zwar auch gebissen, doch meine Haut reagierte nicht so empfindlich wie Annes. Sie musste ständig kratzen, was ich versuchte, ihr auszureden.
»Hör auf! Vom Kratzen wird es nur schlimmer!«
Und das wurde es auch. Es bildeten sich große Blasen und entzündete Krater. Annes Füße sahen aus wie eine brodelnde Vulkanlandschaft.
»Siehste, das haste davon!« meinte ich belehrend.
Es dauerte lange, bis die aufgekratzten Bisswunden heilten.
Wir folgten den Wegweisern nach Innisfail. Dort kamen wir jedoch vorerst nicht an, da Anne, die sich mehr und mehr zu einem professionellen Navigator entwickelte und ständig sämtliche Karten studierte, einen riesigen Feigenbaum, die sogenannte Cathedral Fig, als nächstes Reiseziel festgelegt hatte. Australien kann kaum mit für Europäer interessanten, geschichtsträchtigen Bauten aufwarten, umso mehr werden die hiesigen Naturwunder angepriesen. Ist ja auch logisch. Dazu gehört alles, was einmalig, unglaublich groß oder in irgendeiner Hinsicht anders ist. So auch die Cathedral Fig, ein Feigenbaum mächtig wie eine Kathedrale. Dagegen wirkt man als 1,83 Meter großer Mensch so winzig wie eine Ameise. Nicht schlecht für eine Schmarotzerpflanze, die ursprünglich als Samen, wahrscheinlich verpackt in einen kleinen Tropfen Vogelkot, im Wipfel des Baumwirtes landete, von