»Links frei, alles klar, wir können gehen. Stopp! Da kommt ja was von rechts.«
An die `spiegelverkehrten´ Gegebenheiten mussten wir uns erst gewöhnen.
Der fast leere Tank wurde gefüllt, die Reisegarderobe aus dem Hostel geholt und alles schön ordentlich in den riesigen Laderaum des Stationwagons gestapelt.
Die Nacht verbrachten wir in einen nahegelegenen Caravan Park. Matthias hatte uns den Tipp gegeben, dass man dort kostenlos übernachten könne. Man müsse nur spät genug kommen und früh gleich wieder verduften. So taten wir es. Im Park bauten wir das mitgebrachte Zelt auf und bereiteten unser Schlafgemach. Dann setzten wir uns zu unseren Nachbarn, zu denen, welch ein Zufall, auch Matthias gehörte. Er übernachtete hier ebenfalls. Wir schmiedeten Reisepläne, ließen uns von den anderen beraten und markierten auf unserer Landkarte einige Punkte, die uns wärmstens empfohlen wurden. Ein angenehmer Abend am Lagerfeuer neigte sich seinem Ende. Die erste Nachtruhe im Zelt verlief ohne erwähnenswerte zwischenmenschliche Kontakte. Wir waren ja `nur´ gute Freunde. Jedenfalls noch!
Recht früh packten wir zusammen und fuhren zum vorerst letzten Mal ins Zentrum von Cairns. Das Ziel: die Post - oder besser gesagt - mein Führerschein.
»Irgendwas für Stein da?« fragte ich die Postangestellte.
»No, nothing«, erklang als eindeutige Antwort.
Ich drehte mich zu Anne und sagte: »Ach, drauf gepfiffen! Jetzt ist es Zeit, hier abzuhauen. Das Ding können wir auch später noch holen. Wird uns schon keiner anhalten.«
Wir ließen es uns natürlich nicht nehmen, noch einmal bei Familie Schneider vorbeizuschauen, um uns mit einer Flasche Wein und Blumen für ihre Hilfe zu bedanken.
Jetzt konnte es losgehen. Rein ins Auto, Motor an und weg. Wir waren glücklich und aufgeregt. Was würden wir alles erleben? Was zu sehen bekommen? Wen würden wir kennenlernen? Endlich sahen wir kilometerlange Strände und unendliche Wälder. Wir kamen aus dem Staunen kaum noch heraus. Die wunderschöne Küstenstraße entlang der Coral Sea, ihres Zeichens Teil des Südpazifischen Ozeans, führte uns Richtung Norden in den etwas nobleren Urlaubsort Port Douglas. Diesen erkundeten wir zu Fuß, bevor wir uns, ohne auf das Geld zu achten, in ein feines Restaurant setzten. Dort ließen wir uns zur Feier des Tages kulinarisch verwöhnen.
Die von Matthias vorgeschlagene Caravan-Park-Übernachtungstechnik verschaffte uns auch hier eine kostenlose Nacht. Wir hatten ein bisschen Schiss, erwischt zu werden. Doch niemand bemerkte etwas, als wir kurz nach 22 Uhr im Caravan Park ankamen. Langsam fanden wir Geschmack an dieser Methode. Das machte uns zwar zu Kleinkriminellen, doch so konnten wir, als arme Backpacker, einen Haufen australische Dollar sparen.
Eine Übernachtung in Port Douglas reichte Anne und mir völlig aus. Unser Ziel hieß Cape Tribulation, etwas weiter nördlich. Dort wollten wir ein paar Tage zeltend am Strand verbringen. Auf dem Weg dorthin überquert man den Daintree River, einen sehr großen Fluss mit noch größeren Krokodilen darin. Wir buchten eine Expedition mit dem Boot, um die gepanzerten Riesen in freier Wildbahn sehen zu können. Auf über fünf Meter Länge brachte es das größte Exemplar. Beeindruckend. Wenn so ein Bursche zuschnappt, bleibt nicht viel von einem übrig. Hier sollte man also lieber nicht dem Badespaß frönen. Doch nicht nur das stattliche Salzwasserkrokodil wusste sich von seiner besten Seite zu präsentieren, sondern auch die restliche kreuchende, fleuchende und fliegende Tier- und Pflanzenwelt.
Vom Daintree River aus war es nicht mehr allzu weit bis zum Cape Trib, wie die Einheimischen es nennen. Hier suchten wir uns einen Platz zum Zelten, den wir diesmal sogar bezahlten. Anne und ich faulenzten einige Zeit am Strand. Frische Kokosnüsse fielen von den gut bestückten Palmen. Damit ließen wir es uns gutgehen. Überall flatterten blau leuchtende Schmetterlinge herum, die in mir die Leidenschaft des Fotografierens weckten. Normalerweise war das Annes Job, da sie mit ihrer Kamera professioneller umgehen konnte. Ich musste erst mal ausprobieren, was ich mit meinem Fotoapparat, den ich zum Abschied von Freunden bekommen hatte, so alles machen konnte. Die Schmetterlinge waren eine echte Herausforderung und brachten mich schnell zur Verzweiflung. Sie blieben nie lange genug sitzen.
Zu unserer Erkundungstour rund um das Cape Tribulation gehörte auch eine Jeepsafari. Je nördlicher man kam, desto mehr war man auf Fahrzeuge mit Vierradantrieb angewiesen. Der uns begleitende Ranger entführte uns in die bizarre und aufregende Welt des Regenwaldes. Er zeigte uns stattliche Wasserfälle, gelbgrüne Ameisen, deren Sekret wie Zitronensaft schmeckte, eine Aboriginegemeinde, verschiedenste tropische Baumarten, die Wurzelgeflechte der Mangroven und vieles mehr. Ganz nebenbei erzählte er einige Geschichten aus vergangenen Captain-Cook-Zeiten. Mit dem robusten Jeep durchquerten wir flache Flüsse, durch die man, aufgrund eines gewissen Krokodilaufkommens, lieber nicht zu Fuß stiefeln sollte - wie es vor einigen Jahren ein paar Motorradfreaks vorgemacht hatten. Trotz der Warnschilder schoben sie ihre mit Motorschnorcheln bestückten Maschinen durch das brusttiefe Wasser. Fast alle kamen am anderen Ufer an. Für einen von ihnen wurde die leichtsinnige Schiebetour durch den Fluss jedoch zu einer Reise direkt ins offene Maul der lauernden Panzerechse.
Wir kamen an ein großes Wasserbecken inmitten eines Baches.
»Kaffeepause! Wer gern baden will, kann dies hier tun. Die Lage ist zu hoch und zu steinig für Krokodile«, meinte der Naturhüter.
Gesagt, getan - Klamotten aus und rein.
Leider sah das nur ich so. Während ich im kalten Wasser planschte, saßen alle anderen schön auf dem Trockenen. Die Angsthasen. Wenige Meter von unserer Gruppe entfernt, hockte ein mit extrem langen Rastazöpfen bestückter Eigenbrötler, der auf mich interessant wirkte. Er machte sein eigenes Ding und es kam zu keiner Konversation. Bald nachdem die Gruppe alle Kaffeebecher geleert hatte, ging es zurück ins Camp. Alles in allem verlief die Jeepsafari sehr spannend, es sollte jedoch unsere erste und letzte geführte Tour bleiben. Wir wollten von nun an alles auf eigene Faust erkunden, ohne nervende Touris.
Die Dunkelheit setze äußerst früh ein, wie immer um diese Jahreszeit. Anne und ich brutzelten uns etwas auf dem Gemeinschaftsgrill des Zeltplatzes. Später wurde ein großes Lagerfeuer entfacht. Alle versammelten sich um das brennende Holz. Plötzlich tauchte der Eigenbrötler vom Fluss wieder auf. Wir kamen ins Gespräch. Der Mann stammte aus Auckland/Neuseeland. Er war vor fünfundzwanzig Jahren aus Deutschland dorthin gekommen und hieß, man glaubt es kaum, ebenfalls Matthias. Mit ihm konnte ich mich sehr gut über alle möglichen Themen unterhalten. Und so ronnen die Stunden dahin. Und die Flammen des Feuers erloschen. Und nach endlosen Geschichten und Diskussionen fielen wir müde vom vielen Reden in die Betten.
Der nächste Tag brachte einen aufbrausenden Sturm, mit dem das Wetter nichts zu tun hatte. Aus unerklärlichen Gründen gab es zwischen Anne und mir immer wieder Zeiten, an denen wir uns gegenseitig mächtig auf die Nerven gingen. Dann redeten wir nicht viel miteinander und dachten beide vom jeweils anderen: »Wieso ist der beziehungsweise die denn so komisch drauf?«
Sich aneinander zu gewöhnen, wenn man vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche miteinander verbringt, ist eben doch nicht ohne. Wie auch immer, die Stimmung war schon nicht die beste und ich wollte unbedingt eine ziemlich schwierige und lange Wanderung durch den Busch zu einem grandiosen Aussichtspunkt durchführen. Dieses Vorhaben stank Anne gewaltig. Zum einen schien es nicht ganz ungefährlich, zum anderen war das Wandern zwar des Müllers, nicht aber Annes Lust. Und dann gab es da ja noch die Urangst vor den Schlangen, diesen ekelhaften Geschöpfen, denen Frauen sowieso etwas skeptischer als Männer gegenüberstehen. Beste Voraussetzungen also für einen friedlichen Wandertag.
Als Anne zur Vorbereitung auf die Strapazen ihre Spezialstrümpfe anzog, bemerkte ich durch einen kurzen Blick über ihre Schulter, dass sie den mit L, also LINKS, gekennzeichneten Strumpf über den rechten Fuß zog. Daraufhin erlaubte ich mir anzumerken:
»Der ist doch aber für den linken Fuß!«
Auweia, das hätte ich nicht sagen dürfen. Wenn Blicke töten könnten, hätte in diesem Moment mein letztes Stündchen geschlagen. Mit teufelsgleichem Gesicht drehte sie ihr feurig glühendes Haupt zu mir. Zähneknirschend