Carina warf einen kurzen Blick auf die Karte in ihrer Hand – neben Mazins Namen war die Adresse eines Amtes oder einer anderen behördlichen Institution abgedruckt. Er schien für die Stadt oder die Regierung hier in Dubai zu arbeiten. Carina grinste zufrieden. Diese Karte würde sie gut aufheben; wer wusste schon, ob sie nicht für ihre Recherchen beim Schreiben des Buches noch einmal darauf zurückgreifen musste.
Der Mann mit dem Mazin vorher gesprochen hatte, hatte einen Hotelpagen herbeigewinkt, der mit keiner Miene verriet, ob er sich über ihr fehlendes Gepäck wunderte. Er wirkte, als ob es auch in Ordnung gewesen wäre, wenn sie nackt herumgelaufen wäre.
Sie sah sich im Hotel um. Von außen hatte sie schon gesehen, dass es fünf Sterne plus war und kurz überlegt, was sie tun sollte, falls man von ihr erwartete, dass sie das Zimmer selbst bezahlte. Aber nachdem offenbar die komplette Reise für sie organisiert worden war, machte sie sich keine allzu großen Sorgen. Nachdem Mazin sie wieder abholte, konnte der sie notfalls „auslösen“.
Sie folgte dem Pagen durch die marmorne Halle bis zum Aufzug. Der junge Mann händigte ihr eine Chipkarte aus und erklärte ihr, dass der Lift nur zusammen mit der Karte funktionierte. Dann drückte er auf „P“ und die Lifttüren schlossen sich geräuschlos.
Alle sieben Stockwerke hinauf und noch weiter. Mit offenem Mund stellte sie fest, dass sie im Penthouse gelandet war.
Es gab einen kleinen Vorraum, der mit einem schweren Teppich ausgestatten war, der jedes Geräusch schluckte.
Dann öffnete der Hotelangestellte für sie die Doppeltür und führte sie in ihr „Zimmer“.
„Die Owner-Suite“, informierte sie ihr Begleiter, diesmal mit einem Lächeln. „160 Quadratmeter“, fügte er hinzu. Es schien ihm zu gefallen, dass endlich einmal jemand wirklich beeindruckt war, und da sie ganz offensichtlich nicht regelmäßig in derartigen Räumlichkeiten untergebracht zu sein schien, taute er richtig auf und zeigte ihr all die Annehmlichkeiten des Zimmers.
Es gab einen großen Kühlschrank mit verschiedenen Weinen, Champagner, Säften und sogar mehrere verschiedene Sorten Wasser. Ein üppiger Obstkorb, ein Teller mit Pralinen und ein Strauß frischer Rosen prangten auf dem Tisch in der Mitte des riesigen Raumes. Auf dem Tisch der großzügigen Sofalandschaft stand ein elegantes Blumengesteck.
Das Doppelbett war ebenfalls riesig, mit zwei 140m breiten Matratzen, dazu mit Satin bezogene, feine Bettwäsche.
Als der Page ihr den begehbaren Kleiderschrank zeigte, war sie bei all den Annehmlichkeiten nicht überrascht, auch Kleidungsstücke darin vorzufinden. Natürlich in ihrer Größe. „Der Kleiderschrank ist größer als mein Schlafzimmer daheim“, dachte sie. „Wer braucht so viel Platz?“
Als er sie durch eine Doppeltüre in der breiten Glasfront auf die Terrasse hinaus führte, sah sie zu ihrem Entzücken ein etwa vier mal sieben Meter großes Schwimmbecken im Freien, das im Dunkeln durch Unterwasserscheinwerfer erleuchtet wurde. Der Hotelangestellte zeigte ihr, wo sie die Beleuchtung an- und ausstellen konnte und ließ ihr einen Moment Zeit, um den Ausblick auf die Stadt zu genießen, dann gingen sie wieder nach drinnen.
Eine gewundene Freitreppe führte hinauf in eine zweite Etage, in der sich nochmals Sitzgelegenheiten und ein riesiger Flachbildschirm befanden. Weiter hinten noch ein weiteres Schlafzimmer, wie selbstverständlich mit dazugehörigem Badezimmer.
Carinas Staunen wurde durch die Worte des jungen Hotelboys unterbrochen: „Wir haben für Sie auch ihre Tasche holen lassen. Die Kleidungsstücke wurden alle frisch gereinigt und in den Schrank gehängt.“
Das schlug nun doch dem Fass den Boden aus! Auch wenn es für sie so natürlich viel bequemer war, aber wieso gab ihr altes Hotel einfach so ihre Tasche an Fremde weiter? Und dann diese auch noch auszupacken? Was war mit Privatsphäre? Ein wenig beschämt dachte sie an ihre schmutzige Wäsche, die sie vor Wochen achtlos hineingestopft hatte, sicher kein Vergnügen, diese schmutzige Kleidung nach all der Zeit auszupacken!
Sie öffnete den Mund um ihren Protest loszuwerden, doch dann wurde ihr bewusst, dass der freundliche junge Mann sicher nichts dafür konnte. Außerdem erklärte er ihr nach wie vor alles so begeistert, dass es einfach nur ansteckend war. Er wirkte derart stolz, als hätte er es persönlich für sie organisiert oder erledigt und wer weiß, vielleicht hatte er das sogar.
Nachdem er ihr auch noch die Technik im unteren Schlafraum und im dort angrenzenden Badezimmer erklärt hatte, überließ er sie sich selbst. Beim Verlassen des Zimmers fügte er noch hinzu: „Wenn etwas nicht nach ihren Wünschen ist, dann wählen Sie einfach die Nummer der Rezeption und fragen sie nach Kareem. Das bin ich“, informierte er sie grinsend.
Sie war einen Moment verunsichert, ob es wohl üblich wäre, dass sie ihm ein Trinkgeld für seine Bemühungen gab, aber er war so schnell verschwunden, dass das wohl nicht der Fall war. Sie fühlte Erleichterung, denn sie hätte keine Ahnung gehabt, welche Höhe angemessen war.
Nach kurzer Untersuchung der vielen kleinen Glasfläschchen im Badezimmer, die Badesalze und -öle enthielten, entschied sie sich für Rosenduft und lies Wasser in die große Wanne ein. Durch ein ausgeklügeltes System war ihr Bad innerhalb weniger Minuten bis zum Rand gefüllt. Ein wohliger Duft breitete sich aus. Natürlich hatte man ihr auch einen wunderbar weichen Bademantel bereitgelegt.
Bei all dem Luxus um sich herum konnte sie aber zuerst noch der Versuchung nicht widerstehen, und machte den Laptop an, der auf dem Schreibtisch in der Ecke stand. Innerhalb kürzester Zeit gelang es ihr, sich ins Internet einzuloggen. Schnell fand sie dieses Hotel und auch die Zimmerpreise. 400 Euro waren normal, eine der kleineren Suiten, von der sich offenbar vier Stück auf dem Flur unter ihr befanden lag bei „schlappen“ 1000 Euro pro Nacht, aber Informationen über die „Owner-Suite“ fand sie nicht. Sie grübelte kurz, bis ihr auf einmal ein Verdacht kam: „Owner“ – das englische Wort für „Inhaber, Eigentümer“ – aber wer war das? Nach längerem Suchen fand sie heraus, dass als Eigentümer „Taib Riad“ gemeldet war. Der Anwalt. Schlagartig wurde ihr klar, wem das Hotel gehören musste, und am liebsten hätte sie sofort ihre Sachen gepackt. Sie hätte es sich ja eigentlich denken können.
Dann siegten die Vernunft und ihre Müdigkeit und sie gab sich für lange Zeit ihrem heißen Bad, inklusive Rosenduft hin und aktivierte die (natürlich!) eingebaute Whirlpool Funktion.
Danach fiel sie todmüde ins Bett.
Mai 2002 – Große Wüste – Der Sklavenmarkt
Wie geplant waren sie in drei Gruppen früh am Morgen von ihrem Lager aus in Richtung Markt losgeritten. Rayan und Hanif ritten an der etwa acht Meter hohen Stadtmauer entlang, bis sie auf der anderen Seite an das Südtor kamen.
Im Inneren hatten sich bereits etwa zwölf Männer mit ihrem Gefolge versammelt, die auf die Ausstellung der Sklavinnen warteten.
Rayan sah in Hanifs Gesicht, dass dessen Selbstbeherrschung auf eine harte Probe gestellt wurde, und raunte ihm ins Ohr: „Hör zu! Du wirst dich zusammennehmen, wenn wir da drin sind, verstanden? Ich verstehe deinen Schmerz, doch dies sind nicht die Mörder deiner Familie. Die haben damals Allah sei dank – und meinem Vater – ihr unrühmliches Ende gefunden. Wenn wir gleich nicht sehr vorsichtig sind, werden wir alle gegen uns haben: die Entführer, was alleine fast dreißig Mann sind! Und noch dazu die Käufer, die mindestens genauso gewissenlos sind, wie die Verbrecher – wenn nicht sogar noch schlimmer! Aber auch die Stadtbewohner, die ihren Profit durch den Markt nicht verlieren wollen. Das ist ein Kampf, den wir nicht gewinnen können!“
Hanif nickte stumm, sein Gesicht war blasser als sonst und er schaute noch grimmiger drein, als es ohnehin seine Art war.
Drinnen angekommen suchten sie sich einen Platz im Hintergrund. Sie hielten unauffällig Ausschau nach ihren Stammesbrüdern, ohne sich jedoch zu erkennen zu geben. Schnell füllte sich er Platz mit potenziellen Käufern und Schaulustigen.
Rayans