Wieder anders gestaltet sich die Zusammenarbeit mit seinem Schulfreund und heutigen Autor und Agenten Dieter Winkler. Vor allem bei der “Enwor”-Saga ist es so, dass der eine die Rohfassung eines Teiles schreibt. Ohne Rücksicht auf Details. Wolfgang Hohlbein spricht von “runterfetzen”. Nicht „schreiben“, sondern „tippen“ könnte man sagen. Bei diesem ersten Wurf geht es nur darum, dass man die Idee erkennt. Es ist eine Skizze, über die dann der andere “herfällt” und den Text lesbar macht. Das wechselt hin und her, weil manchmal Wolfgang Hohlbein mehr Lust hat, etwas zu überarbeiten, manchmal Dieter Winkler. Fast traurig ist Wolfgang Hohlbein, wenn der Text schon in seiner ersten Fassung so gelungen ist, dass er kaum noch Verbesserungen daran vornehmen kann.
Aber solche Kooperationen sind die Ausnahme. Wolfgang Hohlbeins Solo-Arbeit findet sehr selten mit Exposés statt. Falls er wirklich mal eines vorliegen hat, dann entspricht das Endprodukt fast überhaupt nicht mehr der im Exposé geplanten Geschichte.
Die Anfangsideen Wolfgang Hohlbeins haben normalerweise auf einer Viertelseite Platz. Es sind Initialzündungen, originelle Einstiege in phantastische Welten, die sich später so vielfältig verzweigen werden.
Am Anfang hat Wolfgang Hohlbein also meist nur einen Arbeitstitel, der sich dann oft bewährt und stehen bleibt. Hinzu kommen einige mögliche Einstiegssätze und einige Stichworte, in welche Richtung sich die Geschichte bewegen könnte. Bemerkenswert ist, dass ein kleiner Teil dieses kargen Gerüsts das Ende bildet. Wolfgang Hohlbein weiß fast immer von Anfang an, wie der Schluss seiner Geschichten aussehen wird. Das gibt ihm den Halt, mit aller Kraft loszulegen. Es ist meist ein wildes Schreiben, überbordend und voller Imaginationskraft, das seine Leser und ihn selbst so fasziniert.
Schreibblockade
Wolfgang Hohlbein unterteilt seine Geschichten in zwei Kategorien. Da sind einerseits Texte, die er schreibt, weil er damit Geld verdient. Selbstverständlich verdient er mit all seinen veröffentlichten Geschichten Geld, aber manche entstehen als Auftragsarbeiten in enger Absprache mit den Verlagen.
Die andere Kategorie der Hohlbein-Texte besteht aus Eingebungen. Da sind Storys, die kommen irgendwo her - das ist die berühmt berüchtigte Inspiration - und wollen einfach raus. Dann setzt sich Wolfgang Hohlbein hin und schreibt bis zu 16 Stunden am Tag. Und das mehrere Tage hintereinander. Das geht schnell und erreicht eine hohe Intensität. Und diese Heftigkeit, mit der die Phantasien Wolfgang Hohlbeins den Weg auf das Papier finden, merkt man manchmal den Texten an. Müßig zu sagen, dass viele große Werke der Literatur dank solcher Eruptionen entstanden sind: Jean Cocteaus “Kinder der Nacht” ebenso wie Jack Kerouacs “On the Road”. Literarisch und wirkungsgeschichtlich können Hohlbeins Romane natürlich nicht mit den oben genannten verglichen werden. Das mag auch damit zusammenhängen, dass Wolfgang Hohlbein sich keine Pausen gönnt. Er hält nicht inne. Er erlaubt sich keine Zeit des Schweigens oder der Stille. Es scheint kaum Phasen in seinem Leben zu geben, in denen sich etwas aufstauen könnte. Wie auch? Wolfgang Hohlbeins “furor scribendi” ist von einer erstaunlichen Kontinuität. Dies ist für das Verständnis des Phänomens Hohlbein ein wichtiger Punkt. Wir sitzen am massiven Wohnzimmertisch im Hohlbein-Heim in Neuss. Ob es das nie gab? Einen writer’s-block? Eine Schreibblockade? Eine lange Auszeit?
Es könnte sie geben und es gab sie ansatzweise, gesteht Wolfgang Hohlbein ein. Am gefährlichsten sind Zeiten, in denen er alleine zu Hause ist. Wenn Heike Hohlbein auf Kur ist und die Kinder und Enkelkinder im Urlaub und keine Abgabetermine drohen – was ja ohnehin fast nie der Fall ist -, öffnet sich Wolfgang Hohlbein öfter als sonst ein Bier, reduziert den Kaffee- und erhöht den TV-Konsum. Dann kann es schon mal vorkommen, dass er einige Tage vor der Glotze versumpft. Er lässt sich einlullen von Filmen, die ihm normalerweise als Inspiration dienen. Es ist, als würde das Kraftwerk Hohlbein plötzlich stillstehen. Antriebsschwach, strom- und ziellos sitzt Wolfgang Hohlbein alleine zu Hause und die Produktion liegt lahm. Nach kurzer Zeit aber wird klar, dass dieser Zustand sich verschlimmert und unerwünscht ist. Wolfgang Hohlbein fühlt sich viel besser, wenn er etwas schafft, wenn er eine seiner eigenen Fantasiewelten zu Papier bringt. Das tut ihm gut, das macht ihn glücklich. Aktivität statt Passivität. Weil er das genau weiß, gibt es solche Durchhänger nur sehr selten.
Bemerkenswert ist, dass Wolfgang Hohlbein für seine umfangreichsten Bücher verhältnismäßig gesehen die wenigste Zeit braucht. Das heißt, je dicker der Roman, desto höher das Schreibtempo.
Das gilt beispielsweise für den Roman “Unterland”. Er geht auf eine Idee Heike Hohlbeins zurück. Wolfgang Hohlbein war damals nicht besonders angetan von dieser Vorstellung einer lokal genau definierten und historisch begründeten unterirdischen Zweitwelt. Aber seither war die Idee im Raum und konnte langsam heranreifen. Als der Ueberreuter Verlag wieder einen originellen Roman von ihm erwartete, erinnerte er sich an diese Idee, wonach alles sehr schnell ging. In weniger als drei Monaten schrieb Wolfgang Hohlbein über tausend Manuskriptseiten.
Scheitern in der Unendlichkeit
Bei den rund 200 Büchern Wolfgang Hohlbeins stellt sich immer wieder die Frage nach der schwankenden Qualität. Nicht jedes Buch kann so begeistern wie die Hohlbein-Highlights. Daher musste er sich oft den Ratschlag anhören, sich doch einmal für das kommende Buch mehr Zeit zu nehmen. Er hat es versucht. Ernsthaft und mehrfach. Doch das Ergebnis ist ernüchternd. Lässt sich Wolfgang Hohlbein für seine Bücher mehr Zeit, so werden sie nicht besser, sondern länger, nicht literarischer, sondern wuchtiger. Und gerade der gelegentliche Kontrollverlust über die zahllosen Roman-Figuren verstärkt sich und ausufernde Kampf- und Verfolgungsszenen driften noch weiter ab in die Finsternis fremder Welten. Durch aufgezwungene Geduld und Muße werden also bestehende Schwächen des Erzählers Wolfgang Hohlbein gravierender. Statt konzentrierter, dichter, knapper zu schreiben, lässt es Wolfgang Hohlbein noch mehr laufen – nicht immer zur Freude der Leser. Daher lässt er die Finger von solchen vergeblichen Versuchen der Qualitätssteigerung und macht immer wieder das, was er am besten kann. Aber auch hier kann es zu Fehlschlägen kommen, wie sein aktuelles und gescheitertes Großprojekt von 2011 „Infinity – Der Turm“ zeigt. „Ich hatte den Eindruck, dass hier wahllos Fragmente zusammengeschustert worden sind, die hinterher irgendwie eine zusammenhängende Story ergeben sollten. Im Gegensatz zu ‚Der Greif‘ konnte ‚Infinity‘ nichts mehr herausreißen. Vieles wirkte auf mich unschlüssig und mehr als einmal blieben beim Lesen der Passagen offene Fragen“, schreibt eine amzon-Kritikerin treffend.
Der dunkle Teil der Seele
Neben seinen verschiedenen Buchprojekten kümmerte sich Wolfgang Hohlbein auch um seine Helden. So übersetzte er u.a. C.S. Lewis’ Narnia-Chroniken neu. Außerdem betätigte er sich als Herausgeber, was zu einem Gipfeltreffen der Schauergeschichte führte. H. P. Lovecraft, der Meister des klassischen Horrors und Wolfgang Hohlbein, sein bedeutendster und erfolgreichster deutschsprachiger Nachfahre, bilden eine lesenswerte Mischung. Wolfgang Hohlbein, der Lovecrafts Cthulhu-Mythos fortgeschrieben hat, stellte für das Buch “Horror”, das 2008 bei S. Fischer erschien, die besten und wichtigsten Erzählungen Lovecrafts zusammen und kommentierte sie. Das Buch ist geeignet für Einsteiger in das Werk des Mannes, der Autoren von Stephen King bis Michel Houellebecq geprägt hat. Und interessant für alle eingeweihten Fans, die hier den persönlichen Zugang eines der meistgelesenen deutschen Autoren zu Lovecraft kennenlernen können. Was Wolfgang Hohlbein im Vorwort über Lovecraft schreibt, sollt idealerweise auch für Hohlbein-Texte gelten: „Die Faszination, die von seinen Werken ausgeht, lässt sich schwer in Worte und möglicherweise gar nicht in Bilder fassen. Seine Geschichten berühren etwas in uns, vielleicht eine Urangst, die wir alle tief in uns tragen und die uns an Dinge erinnert, an die wir nicht erinnert werden wollen, vielleicht den dunklen Teil unserer Seele.“
Teil Zwei: Motive von